wwt 11-12/2021

8 www.umweltwirtschaft.com Wasserszene Im Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. Adolf Eisenträger Spurenstoffe: Politische und gesellschaftliche Entscheidung gefragt Seit Jahren wird die Spurenstoffforschung intensiviert. In Folge der Entwicklung einer Spurenstoffstrategie gründete sich 2021 das Bundeszentrum für Spurenstoffe. Auf der Agenda stehen Dialog, Forschung und die Entwicklung von Minderungsmaßnahmen. Etwa 22.000 Chemikalien erfasst derzeit die REACH-Verordnung, jedoch keine Pflanzenschutzmittel, Biozide und Arzneimittel. Eine Vielzahl neuer Verbindungen wird ständig entwickelt. Auf verschiedenen Wegen gelangen diese Stoffe, wenn auch in geringen Mengen, beispielsweise über Kläranlagen in die Gewässer. Einige der identifizierten Stoffe sind persistent, reichern sich über längere Zeiträume in Böden und Gewässern an und können so für die Ökosysteme und die Trinkwasserversorgung längerfristig eine Herausforderung darstellen. wwt befragte Professor Adolf Eisenträger, der mit dem Aufbau des Spurenstoffzentrums betraut ist, zu Anspruch und Aktivitäten der neuen Institution. wwt: Seit 2016 läuft ein langer Stakeholder-Dialogprozess des Bundes zum Umgang mit Spurenstoffen in Gewässern. Unzählige „Runde Tische“ wurden durchgeführt, Policy Paper und Maßnahmenkataloge entwickelt. Wenn Sie bilanzieren, was wurde seitdem erreicht? Eisenträger: Zunächst: Der Stakeholder-Dialogprozess ist das, was der Name besagt: Ein „Dialog“ zwischen Institutionen und Verbänden. Im Gegensatz zur Europäischen Wasserrahmenrichtlinie und zu den stoffgesetzlichen Regelungen wie der REACH-Verordnung hat er keine Rechtskraft. Es handelt sich also um einen Verständigungsprozess, bei dem Einvernehmlichkeit zwischen Institutionen angestrebt wird, die sehr unterschiedliche Ziele verfolgen. Nicht „unzählige“, sondern drei so genannte „Runde Tische“ wurden eingerichtet. In diesen Runden Tischen befassen sich derzeit betroffene Stakeholder mit Röntgenkontrastmitteln (RKM), Diclofenac und mit 1HBenzotriazol. Also eine Industriechemikalie und zwei Arzneimittel. Im Runden Tisch zu den RKMs sind u. a. neben der Herstellerseite die Deutsche Krankenhausgesellschaft e. V. und die Deutsche Röntgengesellschaft vertreten. Die RKMs bereiten den für die Trinkwasserversorgung zuständigen Verbänden seit vielen Jahren große Sorge. Hier haben sich erstmals alle betroffenen Seiten zusammengefunden, um die Maßnahmen voranzubringen, die zur Vermeidung des Eintrags von RKMs möglich sind – wissend, dass wir auf sie in der medizinischen Diagnostik nicht verzichten können. Angestrebt wird nun, in mehreren Regionen Modellvorhaben zur Praxistauglichkeit der Verwendung von Urinauffangsystemen durchzuführen, die im Erfolgsfall in die Fläche gebracht werden sollen. wwt: Wie bewerten Sie die erzielten Effekte in der Praxis? Eisenträger: Es ist generell schwer, den Effekt einer einzelnen Aktivität auf den Schutz von Umwelt oder Menschen zu quantifizieren. So kennen wir nicht den Effekt einer Informationskampagne zur sachgerechten Entsorgung von Medikamenten, und wir wissen nicht, ob durch die Diskussionen im Stakeholder-Prozess mehr Abwasserbehandlungsanlagen ertüchtigt werden als ohne diesen Prozess. Der Dialogprozess hat sicher dazu beigetragen, dass die Möglichkeiten und Grenzen konkreter Maßnahmen den Akteuren nun bekannt sind. Als Beispiel sei hier die Tatsache erwähnt, dass es keine Möglichkeit der Nichtzulassung von Humanarzneimitteln aus Gründen des Umweltschutzes und des Schutzes des Rohwassers für die Trinkwasserherstellung gibt. In diesen Fällen müssen also abwasserseitige Maßnahmen ergriffen werden. Die existierenden stoffgesetzlichen Regelungen sind teilweise lückenhaft, da viele Chemikalien hinsichtlich des Umweltschutzes nicht reguliert sind und viele Anwendungen von an sich regulierten Chemikalien nicht erfasst werden. Es gibt hier also „Blinde Flecken“. Die Runden Tische befinden sich vor dem Abschluss. Hier sind wir gespannt, wie konkret die Vereinbarungen sein werden und ob ihre Effekte erfasst werden können. Substanzielle Effekte für die Umwelt werden sich erst einstellen, wenn für eine größere Anzahl von Stoffen Maßnahmen umgesetzt werden. wwt: Seit fast 10 Jahren leistet vor allem das KomS in Baden-Württemberg Pionierarbeit Bild 1 Prof. Dr.-Ing. Adolf Eisenträger leitet den Aufbau des Spurenstoffzentrum des Bundes beim Umweltbundesamt. Quelle: UBA

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