Entsorga 5/2022

1 5/2022 5 Oktober 2022 Abwassermonitoring Virus unter Beobachtung Das Fachmagaz i n für Kre i s l aufwi r tschaf t Kompostierung Bioplastik in der Schurkenrolle K-Recycling Es geht immer mehr Müllverbrennung bleibt ein Streitfall: Kein Gewinn fürs Klima Foto: Pixabay

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3 5/2022 Editorial Wir Bürger machen es uns nicht gerade leicht mit den Kunststoffen. Wir lieben seine Produkte, kaufen sie ungehemmt und sehen gleichzeitig deutlich die Probleme des Plastiks als ewig dauerhafte Hinterlassenschaft auf der Erde, im Wasser…im Menschen. Die deutschen Unternehmen machen es sich nicht gerade leicht mit den Kunststoffen. Sie lieben seine Vielfalt, nutzen die nahezu unendlichen Möglichkeiten und ließen die Umweltprobleme lange außer Acht. Wir stecken deshalb in einer verfahrenen Situation. Immer neue Möglichkeiten werden für den Kunststoff erschlossen. Vor allem im Verpackungsbereich mit seiner kurzen Lebensdauer findet er Tag für Tag neue Anwender. Das Plastik ist leicht, unendlich vielfältig und in großen Mengen verfügbar. Wenn da nicht die Umwelt wäre. Denn diese Frage ist, so muss man es sehen, ungelöst. Schon in den 90er-Jahren zeigte uns ZDF-Frontal mit Kienzle und Hauser den profitmaximierenden Export der Kunststoffabfälle. Die nötigen Konsequenzen brachte das eigentlich nicht mit sich. Vor wenigen Monaten sendete die ARD einen 45-Minuten-Streifen mit dem provokanten Titel „Die Recyclinglüge“. Die Reaktionen waren einhellig: „Ziemlicher Blödsinn“ titelte der BDE; beim bvse hieß es ähnlich drastisch: „journalistisches Armutszeugnis“. Die Branchenverbände vermissen, schrieben sie, in erster Linie die Dokumentation des Fortschritts. In der Tat, der Streifen war rückwärtsgewandt. Aber nicht ohne Relevanz. Es waren nunmehr 30 Jahre Zeit, das Kunststoffrecycling technisch und wirtschaftlich in den Griff zu bekommen. Geschehen ist aber lange zu wenig. Denn der Export der Plastikmüllmengen zum Beispiel nach China und Malaysia war ein rasches und billiges Geschäft. Das ist den Entsorgern vorzuhalten, wiewohl auch zu betonen ist, dass es Bemühungen um Recycling und die Fortentwicklung stets gegeben hat, wenngleich die anfangs entstandenen Parkbänke auch später wenig zu einem positiven Image der Recycling-Kunststoffe beizutragen vermochten. Ein weltweit beachtetes Thema wurde die Verschmutzung mit Kunststoffen aber erst mit den Plastikinseln in den Meeren. Zur Ehrenrettung der deutschen Wirtschaft sei hinzugefügt: Die entscheidenden Eintragsquellen sind eigentlich an zwei Händen abzuzählen – einige asiatische Flüsse und die maritime Fischereiwirtschaft. Auf der zurückliegenden Ifat war Kunststoffrecycling eines der entscheidenden Buzzwords. Die einschlägigen Technologieanbieter überboten sich beim Fortschritt. Wenn sich das, was in München angekündigt wurde, in der Praxis bewahrheitet, sollte niemandem um die Zukunft einer funktionierenden Recyclingprozess bange sein. Voraussetzung ist eine gewisse Technologieoffenheit, an der es an mancher Stelle noch fehlt: Chemisches Recycling als Beispiel sei genannt. Das Schlüsselproblem, die ausreichende Erfassung der Kunststoffe im Abfall, krankt immer noch. Zuviel landet im Restmüll; die Entsorgungspfade sind noch immer nicht in der breiten Bevölkerung geübt oder gewollt. Das in den Griff zu bekommen, scheint eine Herkulesaufgabe. Sie will nichtsdestotrotz angegangen sein. Bernd Waßmann _______________________________________________ In eigener Sache: Nach gut einem Jahr verabschiede ich mich schon wieder von Ihnen: Mit Pascal Hugo hat der dfv einen hochqualifizierten neuen Redakteur gefunden, der Entsorga am 1.9.2022 redaktionell übernommen hat. Vielen wird der Name vom Branchendienst Euwid bereits geläufig sein, der schon lange eine solide nachrichtliche Wissensbasis in die Branche vermittelt. Pascal Hugo war dort viele Jahr tätig und kommt so von Beginn mit den notwendigen spezifischen Kenntnissen zu Ihnen. Der dfv und ich wünschen viel Erfolg bei der Handschrift des Magazins. In den Griff bekommen privat Pascal Hugo (v) übernimmt die Redaktion von Bernd Waßmann ab der nächsten Ausgabe.

4 5/2022 Streitfall Abfallverbrennung In den Müllbunkern der MVA versammeln sich nach Ansicht der DUH zu viele Wertstoffe und hohe Mengen an CO2-relevanten Abfällen. Elena Schägg von der DUH sieht deswegen den Verbrennungsprozess sehr kritisch – vor allem auch in Hinblick auf den Klimaschutz. Foto: © Imago/Rupert Oberhäuser Editorial 3 In den Griff bekommen Bernd Waßmann über Zukunft und Vergangenheit des Kunststoffrecyclings und seine Schwächen. Und: Kurze Vorstellung des neuen Entsorga-Redakteurs. Titel 10 Streitfall Abfallverbrennung Verbrennung vernichtet Ressourcen, setzt CO2 frei und behindert eine Verminderung der Abfallmengen in den Haushalten, reklamiert Elena Schägg von der Deutschen Umwelthilfe. Abfallwirtschaft 14 Abbruch als Ressource Bauschutt und Baustellenabfälle geraten immer stärker in den Blickpunkt. Lösungen sind gefragt – und bereits da. 16 Der Schurke im Trauerspiel Bioabfälle sind auch ein Problem der Ekelschwelle. Deswegen landet noch zuviel Wertstoff im Restmüll. Lösen könnten das Problem Bioplastik-Beutel – aber die sind zumindest umstritten, wenn nicht verboten. 19 Innovation auf Sammeltour Wasserstofffahrzeuge spielen ihre Vorteile vor allem bei ländlichen, länglichen Sammeltouren aus. Faun geht nun mit einem Fahrzeug in Serie – mit einer eigenen Unternehmenstochter. 22 Die Sensorbox, weiß was kommt Wissen, was im Mischabfall steckt: Mit KI lässt sich ziemlich genau klassifizieren, welche Stoffe in die MVA gehen. Zur K: Special Kunststoffe 26 Mehr Kreislauf bei Kunststoffen Das Kunststoffrecycling nimmt zu – und damit auch die Recyclinganteile in den Produkten, hat Plastics Europe ermittelt. 28 Der Input ist teuer – Energie auch Tadeus Ungefug vom Grünen Punkt sieht Deutschland an der Spitze des K-Recyclings. Er sieht für diesen Wirtschaftszweig weiterhin große Chancen. 31 Da geht noch was… Noch viel Luft nach oben vermutet Dr. Dirk Textor vom bvse bei der getrennten Erfassung der Kunststoffabfälle. 34 Pluspunkt Verbraucher: Sie stützen die Nachhaltigkeit Dr. Volker Rehrmann vom Sortierspezialisten Tomra sieht in einer getrennten Erfassung den Schlüssel zum Erfolg. Anderenfalls hilft Komplettsortierung. Das wird bereits erfolgreich praktiziert. Inhalt 10

5 5/2022 40 Nicht gleichwertig Der Gesetzgeber behandelt das Chemische Recycling noch immer nachrangig, auch bei der Berechnung der Quoten. 42 Unternehmensmeldungen zur K: Steinert und Vecoplan zeigen neueste Entwicklungen. Abwasser 43 Woher nehmen in Zeiten der Dürre Bewässerung von Grünflächen und Sportplätzen in Trockenphasen. 45 Drei Kanalsysteme unter Kontrolle Gewässerschutz im Industriepark Höchst. 47 Den Kosten geht die Luft aus Streifenbelüfter tragen erheblich zur Energieeffizienz in Kläranlagen bei. Management 50 Daten ändern die Zukunft Datenwissenschaftler in Ausbildung widmen sich dem Klimawandel. 51 Ein Recycler in Balance Die schweizerische Thommen-Gruppe profitiert von einem Managementsystem durch hohe Unterneh- menstransparenz. Rubriken 03 Editorial 06 Nachrichten 61 Wirtschaft 64 Industrie 66 Zu guter Letzt/ Impressum Inhalt Die Sensorbox weiß, was kommt Was steckt im Müll? Das fragen sich die Verbrenner, um die Anlagen optimiert zu steuern. Nun kann KI Anlagenbetreibern auf die Sprünge helfen. Foto: WasteAnt 22 55 Investieren in die Zukunft Revision der Firmenstrategie: Prozesse neu denken, Ressourceneffizienz fördern, Finanzierung sichern. 59 Mitarbeiterschutz ist in ein Basic Vier Schritte für erhöhte Arbeitssicherheit in der Entsorgungsbranche. Zu guter Letzt 66 Eine neue Runde für alte Bikes In den Niederlanden werden herrenlose Drahtesel aufgemöbelt und verkauft. Zur K in Düsseldorf: Special Kunststoffe Kunststoffe waren auf der Ifat eines der Schlüsselbegriffe. Zahl- reiche Aussteller boten hier Lösungen an. Nun steht die Messe K vor der Tür. Wie steht es um das Recycling des alltäglichen Plastiks? Foto: © IMAGO / Christian Ohde 26

6 5/2022 Nachrichten Rheinverschmutzung Maßnahmen verstärken Der Verband Niederländischer Trinkwasserversorger RIWA-Rijn plädiert für zusätzliche Anstrengungen zur Erreichung des Ziels, die Emissionen von Schadstoffen in den Rhein bis 2040 um 30 % zu reduzieren, da nun klar ist, dass dieses Ziel für 41 % der Stoffe nicht erreicht wird. Im letzten Jahr wurden erneut mehrere Dutzend Stoffe im Rhein nachgewiesen, die über den im Europäischen Flussmemorandum (ERM2020) geforderten Konzentrationen lagen. Es handelt sich um Industriechemikalien, Arzneimittelrückstände, Pestizide und deren Abbauprodukte. Dies geht aus dem Jahresbericht 2021 von RIWA-Rijn hervor, in dem die Wasserqualität im niederländischen Teil des Rheineinzugsgebiets beschrieben wird. Im Februar 2020 kam die Rhein-Ministerkonferenz zu dem Schluss, dass Mikroverunreinigungen eine zunehmende Herausforderung für aquatische Ökosysteme und die Trinkwassergewinnung darstellen. Daher wurde das Ziel festgelegt, die Emissionen von Mikroschadstoffen in den Rhein bis Rhein in den Niederlanden: Mehr Anstrengungen für die Reinhaltung sind notwendig. Foto: Pixabay 2040 um mindestens 30 % im Vergleich zum Zeitraum 2016-2018 zu verringern. Um die Verringerung der Emissionen in regelmäßigen Abständen quantitativ überwachen zu können, wurde die Internationale Kommission zum Schutz des Rheins (IKSR) mit der Entwicklung eines Bewertungssystems beauftragt. Stoffe, deren Belastung jedes Jahr um durchschnittlich 1,5 % oder mehr reduziert wird, werden die 30 % Reduktion in 20 Jahren erreichen, andere Stoffe jedoch nicht. Eine erste Bewertung zeigt, dass 23 der 56 bewerteten Parameter (41 %) das Reduktionsziel ohne zusätzliche Anstrengungen nicht erreichen werden, weil die Emissionen nicht ausreichend zurückgehen oder sogar zunehmen. Bei 20 der 56 bewerteten Parameter (36 %) wird das Reduktionsziel bei der derzeitigen Rate mehr als erreicht. Im Zeitraum 2016-2021 ist bei diesen Stoffen ein Rückgang um mehr als 30 % zu verzeichnen, und es ist zu erwarten, dass dieser Rückgang noch einige Zeit anhalten wird. Daher wäre es angebracht, ein zusätzliches Reduktionsziel für diese Stoffe festzulegen, wie von der Rhein-Ministerkonferenz gefordert. www.riwa-rijn.org Gewerbeabfälle Trennung mangelhaft Sechs Jahre nach der Novellierung der Gewerbeabfallverordnung kontrollieren Behörden die Vorgaben zur getrennten Sammlung von Wertstoffen unzureichend. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Umfrage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) unter den für den Vollzug verantwortlichen Bundesländern. Aufgrund weniger Kontrollen sammeln viele Gewerbetreibende ihre Abfälle ordnungswidrig gemischt, was das Recycling erschwert und dafür sorgt, dass wertvolle Rohstoffe verbrannt werden. Seit vielen Jahren sind die Mengen der gewerblichen Abfallgemische und der Materialien, die deshalb verbrannt werden, sehr hoch und sinken nicht. Wenn die Vollzugsbehörden die bestehenden Regeln der Gewerbeabfallverordnung konsequent durchsetzen würden, dann könnten nach Einschätzung des Umwelt- und Verbraucherschutzverbandes zusätzlich bis zu 1,4 Millionen Tonnen gemischte Gewerbeabfälle pro Jahr recycelt werden. Das entspräche einem weiteren Einsparpotential von bis zu 2,9 Millionen Tonnen CO2 im Jahr. www.duh.de

7 5/2022 Umweltaktivisten und Landwirte überwinden Gräben ser und Abfall e. V. (DWA) in diesem Jahr aus: Dipl.-Ing. Gert Bamler (Dresden), Dipl.-Ing. Jürgen Bolder (Freiburg im Breisgau), Prof. Dr.-Ing. Markus Disse (München), Dr. sc. agr. Hartwig Drechsler (Göttingen), Prof. Dr.-Ing. Bernhard Falter (Münster), Dipl.-Ing. Ulrich Fitzthum (Nürnberg), Abwassermeister Albrecht Hamm (Bönnigheim), Dipl.-Ing. Andreas Jessen (Bamberg), Dr.-Ing. Martin Keding (Rheinbach), Dipl.-Ing. Dipl.-Wirtsch.-Ing. Marq Redeker (Düsseldorf), Abwassermeister Josef Uhl (Pleinfeld) wird die Ehrennadel verliehen. Ausgesprochen wurden die Ehrungen Ende September im Rahmen der Mitgliederversammlung in Berlin. Dr. Alexander Wagner wird Geschäftsführer von Infraserv Höchst. Er tritt zum 1. November in die Geschäftsführung der Infraserv Verwaltungs GmbH sowie der Infraserv GmbH & Co. Höchst KG ein und wird als Nachfolger von Jürgen Vormann in Zukunft gemeinsam mit Dr. Joachim Kreysing den Industriepark Höchst lenken. Jürgen Vormann hatte im Frühjahr angekündigt, das Unternehmen auf eigenen Wunsch zu verlassen, und scheidet zum Jahresende nach 18 Jahren an der Spitze aus dem Unternehmen aus. Zur Person 1 Herausragenden Leistungen würdigt die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) mit dem Deutschen Umweltpreis in Höhe von insgesamt 500.000 Euro, einer der höchstdotierten Auszeichnungen in Europa. Zudem wird bei der 30. Auflage 2022 ein Ehrenpreis über insgesamt 20.000 Euro verliehen. Den Deutschen Umweltpreis 2022 teilen sich Friedrich Mewis und Dirk Lehmann mit dem Biologen Dr. Christof Schenck. Der Ehrenpreis geht zu gleichen Teilen an ein Duo: Myriam Rapior vom Umweltverband BUND und Kathrin Muus als Vertreterin der Landwirtschaft. DBU-Generalsekretär Alexander Bonde: „Mewis und Lehmann haben zusammen den Becker Mewis Duct geschaffen. Das ist ein Daniel Düsentrieb-Moment für den Schiffbau.“ Seit Markteinführung 2008 seien dadurch in der Schifffahrt weltweit neben Brennstoff und Energie auch umweltschädliche Treibhausgase (THG) eingespart worden, rund zwölf Millionen Tonnen Kohlendioxid (CO2) – so viel wie der jährliche CO2-Ausstoß Tansanias oder Hamburgs. Bonde: „Frau Rapior als Vertreterin der jungen Umweltbewegung und Frau Muus als junge Engagierte aus der Landwirtschaft sind ein tolles Beispiel dafür, wie Grabenkämpfe zu überwinden sind. Sie haben in der Zukunftskommission Landwirtschaft Brücken gebaut zwischen Umwelt und Landwirtschaft.“ Hauptaufgabe der 2020 von der Bundesregierung ins Leben gerufenen Kommission: Lösungsansätze für eine nachhaltigere Landwirtschaft zu finden, die auf ökonomisch tragfähigem Fundament steht. Im Juli 2021 folgte der Abschlussbericht. Bonde: „Die beiden Frauen haben maßgeblich zum Einigungsprozess beigetragen.“ Die DAW Deutsche Abfallwirtschafts Gesellschaft mbH, Bad Schwartau, hat Jens Raabe zum neuen Geschaftsfuhrer berufen. Der Diplom-Ingenieur fur Verfahrens- und Umwelttechnik erganzt das Geschaftsfuhrerteam mit Karsten Panow und Peter Adam, mit seiner Vertriebserfahrung. Jens Raabe, der bei verschiedenen Entsorgungsunternehmen in leitender Funktion tatig war, will die strategische Entwicklung der DAW Gruppe vorantreiben. Elf Wasserwirtschaftler zeichnet die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, AbwasDr. Alexander Wagner Foto: Infraserv

8 5/2022 Nachrichten Öffentliche Plätze Maßnahmen gegen Littering Öffentliche Flächen zu reinigen, kostet die Kommunen in Deutschland jährlich etwa 700 Millionen Euro. Ein Großteil des Mülls entsteht durch Verpackungen wie Einwegbecher, Getränkeflaschen oder To-go-Schachteln. Das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) und das Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu) zeigen im Forschungsprojekt „Innoredux“: Kommunen sind nicht wehrlos; Städte haben zahlreiche Möglichkeiten, auf Unternehmen, Handel und Verbraucher:innen einzuwirken, damit diese weniger Verpackungen einsetzen und verbrauchen. Mit Förderung durch das Bundesforschungsministerium im Programm „Plastik in der Umwelt“ stellen die Forschenden in einem speziellen Leitfaden (shorturl.at/aJK37) 28 Maßnahmen und zahlreiche Beispiele vor. Die Forschenden empfehlen, eine zentrale Anlaufstelle für die Umsetzung der Verpackungsstrategie zu schaffen, die verwaltungsintern verschiedene Maßnahmen koordiniert und Beratung anbietet. Damit Städte selbst mit gutem Beispiel vorangehen, geben die Forschenden in ihrem Leitfaden außerdem Tipps für das Beschaffungswesen der Kommunen und deren Eigenbetriebe. www.ioew.de Tipps für Kommunen. GGS-Gefahrgutmesse Idealer November-Termin Anbieter und Anwender aus der Gefahrgut- und Gefahrstofflogistik können sich vom 8. bis 10. November 2022 wieder im Rahmen der GGS – Fachmesse Gefahrgut // Gefahrstoff auf der Leipziger Messe austauschen. „Der Termin im Herbst der geraden Jahre ist ideal, da die zum 1. Januar 2023 turnusmäßig in Kraft tretenden Änderungsverordnungen der ADR und RID auf der GGS thematisiert werden können“, unterstreicht Projektdirektor Matthias Kober. Auf der GGS 2022 soll ein attraktives Ausstellerspektrum vertreten sein. Unter anderem präsentieren sich Asecos, Becker Umweltdienste, Denios, Finsterwalder Transport und Logistik, Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, Linde Material Handling, Prodinger Verpackung, Quentic sowie Stöbich technology, ebenso wie der Logistiker Dachser. Ein Highlight wird dort die Präsentation der durch Dachser Chem Logistics unterstützten Studie ‚Einkauf von Logistikdienstleistungen in der Chemie – Wie der Einkauf vor dem Hintergrund von Kapazitätsengpässen im Transport zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit beitragen kann‘ am ersten Veranstaltungstag.“ Einblicke in die Studienergebnisse Wenn‘s qualmt und stinkt ist Gefahrgut meist nicht weit. Foto: Messe Leipzig gibt Prof. Dr. Christian Kille (FHWS, Würzburg). Im Fachprogramm setzen praxisorientierte Beiträge Impulse: Die Aussteller bieten mit Kurzvorträgen im Offenen Forum und mit Produktvorführungen im Aktionsforum inmitten des Messegeschehens. Im „Treffpunkt Gefahrgut“ gestaltet der Gefahrgutverband Deutschland (GGVD), der ideelle Träger der GGS, täglich wechselnde Vortragsblöcke zu Themen der Gefahrgutlogistik. Ein Bestandteil des Fachprogramms ist der am 9. November zum ersten Mal auf der GGS stattfindende Denios Gefahrstofftag. Hier werden unter anderem die Rahmenbedingungen für das Sammeln von Lithium-Ionen-Batterien in Behältern und die Übergabe an Entsorger, die neuen Vorschriften für die Lagerung von Gefahrstoffen sowie Best Practices aus der Gefahrstofflagerung behandelt. www.ggs-messe.de

9 5/2022 Nachrichten Additive Fertigung Spreu zu handfesten Teilen „Ziel ist es, eine nachhaltige und ökologische Wertschöpfung für die sächsische Industrie zu ermöglichen – 3D-Druck bietet dieses Potenzial“, sagt Prof. Henning Zeidler, Professor für Additive Fertigung an der TU Bergakademie Freiberg. Gemeinsam mit den Technischen Universitäten in Chemnitz und Dresden möchte das neue Reallabor Vorhaben aus der Praxis umsetzen: Die Forschenden zeigen, wie eine Kreislaufwirtschaft mit nachwachsenden Rohstoffen, aber auch lokalen Reststoffen aus Industrie und Landwirtschaft durch Nutzung der Additiven Fertigung umgesetzt werden kann. Zum Einsatz kommen könnten beispielsweise Holzspäne und -staub aus Sägewerken oder Spreustroh aus Erntemaschinen. Um das Ziel einer umfassenden und nachhaltigen Kreislaufwirtschaft zu erreichen, bauen die Forschenden zudem eine digitale Wissensmanagement-Plattform auf. Vertreterinnen und Vertreter von kleinen und mittelständischen Unternehmen können sich dort informieren, vernetzen und weiterbilden. Im Rahmen dieser Innnovationsgemeinschaft sollen Methoden der Digitalisierung im Reallabor anhand von Praxisvorhaben demonstriert werden. Digitale Entscheidungshilfen, wie beispielsweise stoffliche Zusammensetzungen jedes einzelnen Produkts oder Informationen zu Technologien und Prozessketten sollen zur Verfügung gestellt werden, um nicht nur Roh- und Reststoffe in den sächsischen kleinen und mittelProf. Henning Zeidler mit einem additiv gefertigten Bauteil aus Aprikosenkernmehl. Foto: TU Freiberg / D. Müller ständischen Unternehmen als Potenziale zu identifizieren, sondern auch Unternehmen innerhalb des Wirtschaftskreislaufes zuzuordnen und die sächsische Industrie zu vernetzen. www.tu-freiberg.de

10 5/2022 Titel Zur richtigen abfallpolitischen Weichenstellung gehört eine Aufnahme der MVA in den Emissionshandel. Foto: © IMAGO / Michael Schick MVA: Keine Säule der Kreislaufwirtschaft Streitfall Abfallverbrennung Die thermische Abfallverwertung gehört den Kerndisziplinen der Abfallbehandlung von Rest- und Sperrmüll oder Verwertungsresten. Das ist nicht unumstritten. Besonders die Deutsche Umwelthilfe (DUH) sieht diese Methode betont kritisch. Unsere Autorin, Elena Schägg, ist Projektmanagerin ‚Circular Economy‘ bei der DUH und ebenfalls beim BUND aktiv.

11 5/2022 Abfallverbrennung konterkariert Klimaschutzziele: Oberstes Ziel der Kreislaufwirtschaft sollte sein, Abfälle zu vermeiden und unvermeidbare Abfälle stofflich hochwertig wiederzuverwerten. Dies schreibt die geltende Abfallhierarchie in Artikel 6 des Kreislaufwirtschaftsgesetzes vor. Aus Gründen des Ressourcen- und Klimaschutzes steht die stoffliche Verwertung über der energetischen. Dennoch sind derzeit immer noch bis zu zwei Drittel des Inhalts der deutschen Restmülltonne recycelbare Abfälle, die verbrannt werden. Die Verbrennung von Abfällen konterkariert somit die gesellschaftlichen Anstrengungen, eine ressourcensparende Kreislaufwirtschaft zu etablieren sowie das vertraglich in Paris vereinbarte 1,5-Grad-Klimaschutzziel umzusetzen. Statt deshalb Verbrennungskapazitäten zu reduzieren, geht der Trend europaweit in die falsche Richtung. Derzeit gibt es in Europa mehr als 500 Verbrennungsanlagen für feste Siedlungsabfälle – viele weitere sind im Bau oder in Planung. Heute werden über 61 Millionen Tonnen Siedlungsabfälle in der EU verbrannt, 1995 waren es noch 29 Millionen Tonnen. Durch die Freisetzung von CO2 bei der Verbrennung wird nicht nur das Klima belastet, sondern es entstehen auch giftige Rückstände wie Schlacken und Filterstäube, die Untertage deponiert werden müssen. Für eine klimaneutrale EU bis 2050 müssen Verbrennungskapazitäten abgebaut und Klimaschutzpotenziale einer stofflichen Verwertung vollständig genutzt werden. Klimaauswirkungen der Abfallverbrennung: Mit jährlich über 95 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten heizen die Abfallverbrenner in der EU den Klimawandel an. Die Menge der ausgestoßenen Klimagase ist vergleichbar mit den jährlichen Emissionen von 13,4 Kohlekraftwerken. Aufgrund der Bau- und Planungsvorhaben in vielen EU-Ländern ist damit zu rechnen, dass die CO2-Emissionen aus diesem Sektor weiter zunehmen werden, wenn nicht entsprechende Gegenmaßnahmen ergriffen werden. In Deutschland entstehen durch die Abfallverbrennung jährlich fast 24 Millionen Tonnen CO2. Dies hat nachweislich massive Auswirkungen auf unser Klima und führt zu einem unwiederbringlichen Verlust an Rohstoffen. Verbrennungsanlagen sorgen für hohe Siedlungsabfallmengen: Darüber hinaus hat der EU-Taxonomiebericht bestätigt: Der aufwendige Bau von Abfallverbrennungsanlagen sowie eine Modernisierung bestehender Müllverbrennungsanlagen unter Erhalt der aktuellen Kapazitäten bergen das Risiko von langfristigen Abhängigkeiten in Form von Lock-in-Effekten, die effektive Maßnahmen für mehr Wiederverwendung und Recycling und somit einem größeren Nutzen für den Klimaschutz verzögern. Dies zeigen Zahlen aus Deutschland beispielhaft: So fallen in städtischen Kreisen mit Müllverbrennungsanlage durchschnittlich pro Kopf knapp Wärmegewinnung durch Abfallverbrennung sei eine klimaschädliche Form der Energieerzeugung, klagt Autorin Elena Schägg. Foto: © IMAGO / Michael Schick Titel Vergärung und Kompostierung vor Verbrennung spart hohe Mengen an CO2. Foto: © DUH

12 5/2022 Titel 190 Kilogramm Restmüll an, in städtischen Kreisen ohne Verbrennungsanlage hingegen „nur“ gut 140 Kilogramm. Damit sich der Bau und der Betrieb von neuen Müllverbrennungsanlagen lohnt, müssen diese mindestens 50 Jahre betrieben werden. Zudem werden in naher Zukunft dreistellige Millionenbeträge für die Modernisierung bestehender Anlagen benötigt, da bis 2030 49 der 66 deutschen Müllverbrennungsanlagen erneuert werden müssen. Da große Mengen an Restmüll vermeid- und recycelbar sind, sollte stattdessen in zukunftsfähige Infrastrukturen investiert werden. Abfallverbrennung verlangsamt Wärmewende: Über die Nutzung der Verbrennungsabwärme von Müllverbrennungsanlagen, um Strom und Wärme zu erzeugen, wird häufig die Nachhaltigkeitsbilanz der Anlagen aufgewertet. Der Müllverbrennung wird sogar das Potenzial zugeschrieben, die Fernwärmenetze zu dekarbonisieren, indem diese fälschlicherweise als klimaschonend bzw. -neutral eingestuft werden. Im Zuge der Energiewende und insbesondere aufgrund des beschlossenen Ausstiegs aus der Kohleverbrennung steht die langfristige Wärmeversorgung vor großen Herausforderungen. In einem Energiesystem, das zunehmend von erneuerbaren Energien getragen wird, stellt aber die Strom- und Wärmegewinnung durch Abfallverbrennung eine klimaschädliche Form der Energieerzeugung dar. Die Verbrennung von „normalem“ Hausmüll weist eine mehr als doppelt so hohe CO2-Last pro erzeugter Kilowattstunde auf als etwa die Verbrennung von Erdgas. Was wir benötigen, ist eine klimaneutrale Wärmeversorgung, bei der gedämmte Häuser mit Wärme aus nachweislich erneuerbaren Quellen beheizt werden. Abfallverbrennung gehört in den Emissionshandel: Damit die Transformation zu einer Kreislaufwirtschaft gelingt, müssen die richtigen politischen Weichen gestellt werden. Neben der Förderung der Langlebigkeit, Wiederverwendung sowie der Recyclingfähigkeit von Produkten, ist es ebenso wichtig die Deponierung sowie die Verbrennung von Abfällen als Entsorgungsszenarien weniger attraktiv zu machen. Deshalb ist es folgerichtig, dass nach Plänen der EU-Kommission im Rahmen der Taxonomie-Verordnung künftig Investitionen in Verbrennungsanlagen für Haushaltsabfälle nicht als nachhaltig gelten. Die DUH hält dieses Vorhaben für ein sinnvolles Mittel, um die Verbrennung aus wirtschaftlicher Sicht gegenüber der stofflichen Verwertung zu benachteiligen. Eine weitere Maßnahme ist die längst überfällige Bepreisung der Emissionen aus Verbrennungsanlagen für Siedlungsabfälle. In ihren Plänen zur Ausweitung des EU-weiten Emissionshandels (EU ETS) vom 14. Juli 2021 hat die EU-Kommission jedoch CO2-Emissionen aus Abfallverbrennungsanlagen nicht mit einem Preis belegt. Die bisherige Ausnahmeregelung im Anhang I der Emissionshandelsrichtlinie (2003/87/EC) ist im Sinne des Klimaschutzes nicht nachvollziehbar. Eine Nicht-Bepreisung der Abfallverbrennung kommt sogar einer Subventionierung von Anlagen gleich, deren Emissionen mit der Verbrennung konventioneller fossiler Kraftstoffe vergleichbar sind. Dies führt zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen, da beispielsweise die Verbrennung von abfallbasierten Ersatzbrennstoffen, etwa in Zementwerken, über den EU-Emissionshandel bereits CO2-bepreist wird. Sogar Recyclinganlagen fallen bereits unter den Emissionshandel. Um die CO2-Emissionen in diesem Bereich nachhaltig zu reduzieren, muss die EU die Verbrennung von Siedlungsabfällen in den Emissionshandel aufnehmen. Ein verbindlicher CO2-Preis für die Abfallverbrennung setzt wirtschaftliche Anreize, Abfälle zu vermeiden, die getrennte Erfassung von Wertstoffen zu verbessern oder gar erst einzuführen und die Recyclingmengen insgesamt zu erhöhen. Darüber hinaus würde eine bessere technische Vorsortierung gemischter Abfälle gefördert. Laut einer Studie der CE Delft könnte eine solche Einbeziehung der Abfallverbrennung zu einer Reduzierung des Abfalls bei Haushalten und Unternehmen von jeweils bis zu 5 bzw. 25 Prozent führen. Das Beispiel Schweden zeigt zudem, dass ein solcher Einbezug Anreize schafft, die Getrennterfassung insbesondere von Kunststoffen zu verbessern. In Stockholm werden mittlerweile 75 Prozent des Plastiks nicht mehr verbrannt, sondern dem Recycling zugeführt. Die DUH setzt sich bei den derzeit noch laufenden Verhandlungen für eine baldige Aufnahme der Abfallverbrennung in den Emissionshandel ein. Auch die Bundesregierung sollte sich im Ministerrat für eine baldige Aufnahme aussprechen. Darüber hinaus sollte für die Verbrennung von organischen Abfällen (siehe Anhang IV der Richtlinie 2003/87/EC) nicht der Emissionsfaktor Null festgesetzt werden. Bei der Verfeuerung von Bioabfällen gehen wichtige Mineralstoffe wie Stickstoff und Phosphor als mögliche Pflanzennährstoffe verloren. Durch die Vergärung und Kompostierung dieser Abfälle kann hingegen ein wichtiger Beitrag zur Entlastung des Klimas geleistet werden. Laut einer Studie

13 5/2022 Titel des Öko-Instituts könnten allein in Deutschland jährlich 740.000 Tonnen CO2 eingespart werden, wenn Bioabfälle getrennt gesammelt und kaskadenartig mit vorgeschalteter Vergärung verwertet würden. Derzeit liegen Pläne des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz vor, Emissionen aus Abfallverbrennungsanlagen ab 2023 in das Brennstoffemissionshandelsgesetzes (BEHG) aufzunehmen. Angesichts der mit der Verbrennung von Siedlungsabfällen verbundenen CO2-Emissionen ist dies ein richtiger Schritt. Bei der Ausgestaltung ist es in Anbetracht einer möglichen Regelung auf EU-Ebene wichtig eine Harmonisierung beider Ansätze anzustreben. Außerdem sollten auch beim BEHG die Klimaauswirkungen der Verbrennung des biogenen Kohlenstoffs berücksichtigt werden, was bislang noch nicht der Fall ist. Laut der CE Delft-Studie können dadurch die CO2-Emissionen um etwa die Hälfte reduziert werden. Kreislaufwirtschaft muss politisch gestärkt werden: Kreislaufwirtschaft wird immer noch viel zu sehr als Abfallwirtschaftsthema begriffen. Eine unabdingbare Maßnahme, um Ressourcenverbräuche und Treibhausgasemissionen tatsächlich zu mindern, sind deshalb verbindliche Abfallvermeidungsziele für alle Abfallarten. Diese sollten unbedingt in die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung angekündigten Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie Eingang finden. Um frühzeitig Zielvorgaben zu konkretisieren, sollte die Kreislaufwirtschaftsstrategie noch 2022 beschlossen werden. Elektrogeräte, Textilien und Sperrmüll sollten durch verbesserte Sammelinfrastrukturen, gezielte Prüfpflichten und Wiederverwendungsquoten (mindestens für Elektroaltgeräte) vermehrt in eine Wiederverwendung anstelle eines Recyclings oder der Verbrennung gehen. Gebrauchte Produkte sollten lediglich mit einem Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent besteuert werden, um einen finanziellen Anreiz zu bieten, keine neuen Produkte zu kaufen. Auch die öffentliche Beschaffung sollte zur Bevorzugung gebrauchter Produkte verpflichtet werden. Insgesamt ist das Aufkommen an Restmüll in Deutschland immer noch zu hoch, obwohl sie mithilfe politischer Mittel signifikant reduziert werden können. In Städten und Kreisen mit flächendeckender Bioabfallsammlung landen pro Kopf gut 20 Kilogramm weniger Abfälle im Restmüll als in Kreisen ohne Biotonne oder mit einem Bringsystem, bei dem Verbraucher:innen ihre Bioabfälle zu Sammelstationen bringen müssen. Zudemwürde ein konsequenter Vollzug der Gewerbeabfallverordnung dazu führen, dass mehr gewerbliche Abfälle von der Verbrennung DUH-Mitarbeiterin Elena Schägg fordert: Restmüll vermeiden und wenn nötig recyceln. Foto: © DUH in ein Recycling gelenkt und somit bis zu 3,5 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr eingespart würden. Mit einer konsequenten Förderung einer kreislaufbasierten Wirtschaft könnten jährlich bis zu 50 Prozent aller Emissionen aus dem europäischen Industriesektor vermieden werden. Auch die wirtschaftlichen Potentiale sind enorm: Die Umstellung auf eine zirkuläre Wirtschaft würde 177.000 neue Arbeitsplätze schaffen und eine zusätzliche Bruttowertschöpfung von circa zwölf Milliarden Euro bis 2030 generieren. Allein durch Aufnahme der Abfallverbrennung in das europäische ETS-System könnten bis 2030 20.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Die DUH fordert deshalb von der neuen Bundesregierung den schnellstmöglichen Vollzug bestehender Gesetze sowie weitere übergeordnete Maßnahmen wie Abfallvermeidungsziele und besseres Produktdesign, um die Restmüllmengen konsequent zu senken. Statt neuer Abfallverbrennungsanlagen werden daher Investitionen in eine nutzungsfreundliche Abfallgetrennterfassung, moderne Wertstoffhöfe und Sortier- und Recyclinganlagen sowie in eine echte erneuerbare Wärmeversorgung benötigt. www.duh.de

14 5/2022 Abfallwirtschaft Das Bauherrenmodell der Zukunft Abbruch als Ressource Für die Bauindustrie wird das Verwerten von Rohstoffen immer dringlicher. Nachhaltiges Bauen durch Wiederverwendung und Recycling stehen dabei im Fokus. Ein Beispiel aus Würzburg zeigt begrüßenswerten Fortschritt. Das lichtdurchflutete Gebäude der Umweltstation Würzburg trägt etwas Eigenes in sich: eine marode Autobahnbrücke aus der Nähe von Helmstadt. Für den Neubau der Umweltstation wurde nämlich der Beton der abgerissenen Brücke zerkleinert, sortiert, gewaschen und zur Herstellung von Frischbeton genutzt. Damit ist die Umweltbildungseinrichtung ein öffentliches Gebäude, das zu drei Vierteln aus Recyclingbeton besteht. Dieses erfolgreiche Beispiel zeigt, wie sich Wertstoffe in Mehrwertstoffe verwandeln lassen und dass Kreislaufwirtschaft auch im ressourcenintensiven Bausektor möglich ist. Zwar ist das Thema nicht neu, denn historische Bauwerke wie zum Beispiel der Aachener Hohe Dom (um 800) sind mit der Verwertung von Steinen römischer Bauten langlebige Beweise dafür, dass Recycling und Kreislaufwirtschaft bereits im Mittelalter funktionierten. Der zukünftige Umgang mit Baustoffen fordert jedoch ein ganzheitliches Umdenken, beispielsweise durch selektiven Rückbau von Gebäuden und Wiederverwendung der gewonnenen Teile. Der zurückliegende Bauboom führt zu Rohstoffknappheit und Entsorgungsengpässen für Bauschutt. Laut Bayerischem Landesamt für Umwelt verursachen Straßenaufbruch, Bodenaushub und Steine sowohl in Deutschland als auch in Bayern den größten Abfallstrom. In Bayern fielen im Jahr 2018 rund 53,2 Mio. Tonnen zu entsorgende Abfälle aus Bau- und Abbruchmaßnahmen an. Diese Menge unterstreicht einprägsam, wie bedeutsam ein effizienter Umgang mit Rohstoffen ist. Für das Bauens ist es daher unerlässlich, ganzheitliche Gebäudekonzepte zu entwickeln, damit Materialien beim Abriss getrennt und in neuen Objekten verbaut werden können. So kann mit jedem Recyclingbaustoff Primärrohstoff geschont und Deponieraum gespart werden. Auch schließen Recyclingmaterialien Stoffkreisläufe, da sie aus Restmassen wie Asphalt, Beton oder Ziegel bestehen und als Füllmasse oder Straßenbaumaterial verwendet werden können. Diese Restmassen könnten nach Angaben von Prof. Dr. Angelika Mettke effizienter genutzt werden. Die Leiterin der Fachgruppe für Bauliches Recycling an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg ist Expertin für die Aufbereitung des Abbruchmaterials und die richtige Mischung von Recyclingbeton. Gemeinsam mit namhaften Spezialisten unterstützte sie das Projekt der Würzburger Das war eine Autobahnbrücke: Die Umweltstation Würzburg entstand zu 70 Prozent aus recyceltem Brückbeton. Illustration: Firmengruppe Goebel

5/2022 15 Abfallwirtschaft Umweltstation. Ihr Wissen teilte sie auch in einem Web-Seminar, das der Umweltcluster Bayern zusammen mit der IHK Aschaffenburg, der IHK Würzburg-Schweinfurt und mit Unterstützung des BIHK e.V. organisierte. Mit aktuellen Beispielen referierte sie über den selektiven Rückbau von Gebäuden und die Wiederverwendung der dabei gewonnenen Betonteile. Schonung von Primärrohstoffen Dr. Angelika Mettke wurde 2016 mit dem deutschen Umweltpreis für ihre Arbeit im Bereich Baustoff-Recycling ausgezeichnet – ein Bereich, der nach ihrer Einschätzung noch nicht den richtigen Stellenwert besitzt. „Ein klares Ziel ist der Einsatz von Sekundärbauteilen“, erklärte sie im Web-Seminar. „Dafür sprechen neben der Rohbaukostenreduzierung eine verbesserte Auslastung der Langlebigkeit der Betonbauteile und die Substitution von Primärrohstoffen - und damit verbunden die Reduzierung des Energieaufwandes für Neuproduktionen. Aktuell ist jedoch der Markt für Altbetonbauteile in Deutschland noch nicht ausreichend entwickelt. Auch halten fehlende Förderanreize oder aufwendige Genehmigungs- und Zulassungsverfahren viele Projekte von der Wiederverwendung von Bauteilen ab. Daran muss sich etwas ändern. Dass nachhaltiges Bauen die Bauindustrie bewegt, zeigte auch nachdrücklich die IFAT 2022 in München. Die Messeschwerpunkte lagen unter anderem auf Nachhaltigkeit im Straßenbau, Sanierung von Kontaminationen im Untergrund sowie Gebäudeabbruch und -rückbau. Gezieltes Expertenwissen wurde auch im Rahmen des Thementages Baustoffrecycling geteilt. Hier organisierte der Umweltcluster Bayern zusammen mit dem Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz einen Vertiefungsworkshop zum Einsatz von Sekundärbaustoffen in Bayern und weiteren ARGE ALP Regionen. Alfred Mayr, Geschäftsführer des Umweltcluster Bayern: „Sekundärbaustoffe sind wichtiges Baumaterial der Zukunft. Derzeit werden jedoch Bauabfälle in Deutschland unzureichend recycelt. Auch werden die meisten Recyclingmaterialien nur als Füllmasse im Straßenbau eingesetzt, was viel zu wenig ist. Demgegenüber stehen steigende Abfallmengen und sinkende Deponiekapazitäten. Aus diesen Gründen brauchen wir ein Umdenken im gesamten Bauwesen. Ein abbruchreifes Gebäude darf nicht mehr als Abfallprodukt betrachtet werden, sondern als wertvolle Ressourcenquelle. Der gesamte Lebenszyklus eines Gebäudes von der Planung über den Bau, die anschließende Nutzungsphase und vor allem der Rückbau stehen dabei im Fokus.“ Zwei entscheidende Hebel beeinflussen die Zukunft der Bauindustrie maßgeblich: die Betrachtung der gesamten Gebäude-Lebensdauer und die Digitalisierung der damit verbundenen Prozesse. Für die Zukunft der Bauindustrie bedeutet dies auch einen höheren Einsatz schadstofffreier Produkte in Verbindung mit intelligenter Circular Economy. Auch die Vernetzung der beteiligten Branchen und die Verzahnung von Expertenwissen sind elementar, um entlang der Wertschöpfungsketten neue Geschäftsmodelle für die Kreislaufwirtschaft des Bauwesens zu finden. www.umweltcluster.net Die Bauwirtschaft muss sich verstärkt neben Neubauten mit der Verwertung von Abrissbauten befassen. Foto: Umweltcluster Bayern

16 5/2022 Abfallwirtschaft Emotionen verrotten nicht mit dem Biomüll Der Schurke im Trauerspiel Bioabfälle werden noch immer unzureichend gesammelt. Zu vieles landet im Restmüll – und das hat Gründe. Bei vielen Konsumenten sitzt die Ekelschwelle für modrige Küchenabfülle recht niedrig. Die Lösung könnten Biomülltüten aus Plastik sein. Doch das wiederum schmeckt den Entsorgern nicht. Neben Fakten sind vor allem auch Emotionen im Spiel. Der Gesetzgeber schrieb schon im Jahr 2015 in das Kreislaufwirtschaftsgesetz, dass „überlassungspflichtige Bioabfälle flächendeckend getrennt zu sammeln sind“. Ungeachtet der Tatsache, dass es noch immer Kommunen gibt, die sich mit unterschiedlichen Argumenten über die gesetzlichen Vorgaben hinwegsetzen, funktioniert in Deutschland die Biomüllsammlung und -verwertung ganz gut. „Im Prinzip“ müsste man freilich ergänzen, denn von den 30 bis 40 Prozent Bioabfällen im gesamten Siedlungsabfall-Aufkommen schaffen es bei Weitem nicht alle in die Vergärung und Kompostierung. Im Durchschnitt wurden 2017 je Einwohner rund 125 kg Bioabfälle getrennt gesammelt. „Es besteht noch ein erhebliches Steigerungspotential bei den häuslichen Bioabfallmengen von mehr als 3 Mio. Tonnen pro Jahr“, kritisiert auch Hans-Peter Ewens vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Doch wo landet der Biomüll aus den privaten Haushalten? Das Umweltbundesamt (UBA) beauftragte eine Projektgruppe mit der Erstellung einer bundesweiten Erhebung über die Zusammensetzung von Restabfall auf Basis repräsentativer Stichproben. Die Gruppe bestand aus Mitgliedern des Instituts für Abfall, Abwasser und Infrastruktur-Management GmbH (INFA), der ARGUS – Statistik und Informationssysteme in Umwelt und Gesundheit, Wissenschaftlern des Witzenhausen-Institut und dem Ingenieurbüro Manfred Kanthak (Berlin). Demnach bestehen 39,3 % des Restabfalls, von dem jeder Bundesbürger pro Jahr 128 kg in seine Restmülltonne packt, aus nativ-organischen Abfällen. Wesentlicher Bestandteil sind Küchen- und Nahrungsabfälle. „Diese Stoffgruppe stellt das größte Wertstoffpotential im Restabfall dar“, meint Dr.- Ing. Michael Kern, Geschäftsführer des Witzenhausen-Instituts. Regional gibt es deutliche Unterschiede, fanden die Restmüll-Analysten heraus. Dort, wo es eine getrennte Bioabfallsammlung über die Biotonne gibt, ist weniger Biomüll im Restabfall, als in den anderen Gebieten. Und es spielt eine Rolle, ob die Restmülltonne über ein gebührenrelevantes System entleert wird, der Bürger also volumenabhängig für jede Leerung zahlt oder nicht – was auch nicht weiter verwunderlich ist. Den „biogenen Schatz“ in der Restmülltonne zu bergen, haben sich Entsorger beispielsweise über die Aktion Biotonne zum Ziel gesetzt. Abfallberater und Öffentlichkeitsarbeiter machen sich die Methoden des sogenannten Ecotainment zu Nutze. Nachhaltigkeit und ökologischer Nutzen sollen mit positiven Emotionen verbunden Ist von Restmüll praktisch nicht zu unterscheiden – der Input der Biomüll-Verwertungsanlage der Zentralen Abfallwirtschaft Kaiserslautern (ZAK). Zur Entfernung von Störstoffen muss bei der ZAK ein großer Aufwand betrieben werden. Fotos: M. Boeckh Foto: © IMAGO / blickwinkel Neuerdings mit Zertifikat und DIN/EN-Zeichen: die biologisch abbaubare Biomüll-Sammeltüte aus nachwachsenden Rohstoffen.

17 5/2022 Abfallwirtschaft werden. „Kompostierbare Küchenabfälle sind der wohl unbeliebteste Abfall in den eigenen vier Wänden“, formulierte es das UBA in einer Studie zu den Verwertungsmöglichkeiten von Bioabfällen. Das führt dazu, dass Hausfrau oder -mann sich der überflüssigen oder verdorbenen Lebensmittel lieber im Restmüll entsorgt. Die Bevorratung im Mülleimer führt rasch zu Geruchsproblemen, und der Eimer und sein Inhalt werden rasch unappetitlich. Hygieneaspekte und der „Ekelfaktor“ machen die Biotonne zu einem hochemotionalen Thema, stellt auch das UBA fest. Den Restmüll in kompostierbaren Papiertüten zu sammeln, ist nur bedingt eine Lösung. Hier könnten nun Plastiktüten ins Spiel kommen, wenn nicht auch dieses Thema von Emotionen besetzt wäre – wenn auch von ganz anderer Seite. „Sammelmedien wie Beutel aus biologisch abbaubaren Werkstoffen (BAW-Beutel) oder wachsbeschichtete Papiertüten könnten eine Lösung zur Vermeidung der Verunreinigung kommunaler Bioabfälle durch Fehlwürfe darstellen“, stellen Wissenschaftler einer Gemeinschaftsstudie des Fraunhofer-Instituts für Chemische Technologie ICT, der Universitäten Bayreuth und Hohenheim sowie der BEM Umweltservice GmbH fest. Shit in – shit out Unterstützung erhält die Aussage vom Witzenhausen-Institut. Unter Federführung von Michael Kern wurden in verschiedenen Versuchsgebieten mit insgesamt ca. 3.300 Einwohnern in der Stadt Vellmar im Landkreis Kassel biologisch abbaubare Biobeutel aus Mater-Bi, einem Material auf der Basis von Maisstärke des italienischen Herstellers Novamont SpA zur komfortablen und hygienischen Erfassung von Biogut ausgegeben. „Durch die Ausgabe der Biobeutel konnte der Anteil an haushaltsstämmigen Bioabfällen im Mittel um 23 % gesteigert werden; gleichzeitig ging der Anteil an Störstoffen im Biogut zurück, was wesentlich auf die Substitution von PE-Beuteln durch biologisch abbaubare Beutel zurückzuführen war“, fasst Kern die Ergebnisse der Studie zusammen. Doch diese BAW-Beutel gehören seit Jahren zu den strittigsten Themen der Recyclingbranche überhaupt. Uns kommt „Kein Plastik in die Biotonne“. So verweist beispielsweise Katja Deschner auf die Imagekampagne der Abfallverwertungsgesellschaft des Rhein-Neckar-Kreises (AVR). Die Vorständin macht aus ihrer Meinung keinen Hehl: „Wir entsorgen jährlich etwa 53.000 Tonnen Biomüll über die braune Bioenergie-Tonne“, so Deschner. Ihr stelle sich die zentrale Frage, ob eine Vergärungsanlage solche Kunststoffe verarbeiten könne. „Und sie kann es nicht!“, kritisiert Deschner.

18 5/2022 Abfallwirtschaft Die Durchlaufzeiten einer Vergärungsanlage seien zu kurz, und die Plastiktüten machten in der Technik unglaubliche Probleme. Da die Technik zudem nicht zwischen abbaubaren BAW- und Polyethylen (PE)-Tüten unterscheiden könne, würden grundsätzlich alle Tüten teils von Hand als Störstoffe aussortiert, denn es gelte das Prinzip „Shit in – shit out“. Das kann Michael Kern überhaupt nicht nachvollziehen. Er unterzog die Bestandteile des Kompostes verschiedener Bioabfall-Behandlungsanlagen mit vorgeschalteter Vergärung einer genauen Analyse: „In sieben von zehn Komposten konnten wir überhaupt keine BAW-Partikel mehr nachweisen. Und wenn wir Plastik-Folienschnipsel gefunden haben, stammten sie zu 98 % aus PE.“ Bei diesem Ergebnis stellt sich die Frage, warum zunehmend Kunststoffhersteller auf biologisch abbaubare Werkstoffe setzen, wenn es doch auch mit PE-Tüten gelänge, dem Biomüll sein Schmuddel-Image zu nehmen und die Sortenreinheit von Biomüll zu verbessern und den Restmüll gleichzeitig davon zu entfrachten. „Wir brauchen die Polizeifunktion der biologischen Abbaubarkeit im Biomüll, weil die Technik nicht in der Lage ist, Störstoffe vollständig innerhalb der Prozesskette abzutrennen“, sagt Kern. Wenigstens in diesem Punkt scheint er mit der AVR-Vorständin einer Meinung. Allerdings setzt Deschner eher auf Emotionen: „Meiner Meinung nach erhöhen BAW-Tüten in keiner Weise die Akzeptanz in den Privathaushalten. Wir müssen Überzeugungsarbeit leisten, und vermitteln, dass der Bürger mit der Mülltrennung etwas Gutes tut. Und dann klappt das auch mit Papiertüten.“ Es werde auch künftig Menschen geben, die partout keine Biotonne haben wollen. Daran werde auch eine abbaubare Plastiktüte nichts ändern, meint Deschner, was Michael Kern aber so nicht stehen lassen möchte. Die wissenschaftlichen Ergebnisse sprächen eindeutig für den Einsatz von Plastiktüten in der Biomüllsammlung – vorausgesetzt, sie seien aus biologisch abbaubarem Material. Und was sagt der Gesetzgeber? In Deutschland wird in der Bioabfallverordnung (BioabfV) geregelt, welche Stoffe in der Bioabfalltonne erlaubt sind. Mit einer entsprechenden Zertifizierung geeigneter Mülltüten könnten, so sagen nicht nur die Hersteller abbaubarer Kunststoffe, etwa 5 Mio. Tonnen Bioabfall zusätzlich sortenrein gesammelt und verwertet werden. Für Bioabfall-Beutel ist hier eine dreifache Zertifizierung vorgesehen: DIN EN 13432/DIN EN 14995, nachwachsender Rohstoffanteil > 50 % und vollständige Kompostierbarkeit – also 100 % – innerhalb von sechs Wochen. Dies kann durch das Zertifizierungsprogramm „DINplus Bioabfall-Beutel“ und dem entsprechenden Konformitätszeichen nachgewiesen werden. Grundsätzlich spricht die DIN EN 13432:2000 von „Packmitteln“ und „Packstoffen“, aber nicht von Kunststoffen. Das bedeutet, dass auch Taschen oder Beutel aus anderen Materialien den Anforderungen genügen müssen. Dazu gehört eine mindestens 90%ige biologische Abbaubarkeit nach maximal sechs Monaten, eine mindestens 90 %ige Desintegration nach maximal zwölf Wochen nach Sieben über 2 mm gemäß vorgegebenem Temperaturprofil, eine mindestens 90%ige Keimrate und pflanzliche Biomasse zweier verschiedener Pflanzentypen (nach OECD 208) sowie eine Regulierung von Schwermetallen bei 50% derjenigen Grenzwerte für das EU-Ecolabel. Auch wenn gefordert wird, dass auch Papiertüten zur Bioabfallsammlung entsprechend zertifiziert sein sollen, so wird das Akzeptanzproblem beim Bürger dadurch nicht wirklich gelöst, denn die Zulassung durch den Gesetzgeber nach einer Zertifizierung nach DIN EN 13432:2000-12 hängt immer noch von einem entscheidenden Umstand ab: der finalen Entscheidung der Kommune oder des öffentlich-rechtlichen Entsorgers (örE) Pro oder Contra Plastik-Biomülltüte. Martin Boeckh Ein klassischer Fehlwurf? Biologisch abbaubare Mülltüten im Biomüll erhöhen zwar die Akzeptanz beim Bürger und verbessern die Sammelquote, doch viele Recycler sehen Plastik im Biomüll sehr kritisch.

5/2022 19 Abfallwirtschaft Serienproduktion für Wasserstoff-Brennstoffzellen-Fahrzeuge Innovation auf Sammeltour Die Abkehr von fossilen Brennstoffen ist in diesen Tagen das Gesprächsthema Nummer Eins. Auch in der Entsorgungsbranche zählen Klima- und Emissionsschutz. Aber es geht auch um Kosten. Der Wasserstoffantrieb scheint hier zum Überholvorgang angesetzt zu haben. Und der Staat hilft ordentlich dabei. Unternehmen wie Faun präsentieren schon seit Jahren immer neue Ideen, wie man den Erfordernissen einer zukunftsorientierten Transportwirtschaft vor allem im innerstädtischen Bereich gerecht wird. Hybridantriebe, Elektroantriebe und seit einiger Zeit reine Wasserstoff-Fahrzeuge auf Brennstoffzellenbasis – Faun schickt sich an, auch der übrigen Transportwirtschaft eine Orientierung in Sachen Wasserstoff zu liefern. So wurde im Frühjahr am Standort Bremen mit der neuen Marke ‚Enginius‘ eine Serienproduktion für Wasserstoff-Fahrzeuge vorgestellt – keine Fließbandfertigung im üblichen Sinne, sondern eine handgefertigte Einzelproduktion von Lkw. Diese erfolgt zunächst auf Basis der dreiachsigen Econic-Fahrgestelle von Daimler Trucks, später aber auch auf Basis der Zweiachser Atego, die unter der Bezeichnung ‚Citypower‘ ein Transportfahrzeug für den Waren- und Gütertransport auch im stadtnahen Bereich ergeben. „Gerade für diese Fahrzeugvariante sehen wir aufgrund seiner Vielseitigkeit und Flexibilität ein immenses Potential“, so Patrick Hermanspann, CEO der Faun Gruppe. Das bedeutet, dass die Produktionskapazitäten am Standort Bremen sukzessive ausgebaut werden muss. Derzeit liegt sie bei etwa 350 Fahrzeuge pro Jahr. Die Fahrgestelle werden montagefertig angeliefert. „Wir sind Integrator und Montierer“, erklärt Dr. Johannes F. Kirchhoff, GeIn Bremen eröffnete der Aufbauhersteller Faun die weltweit erste Serienproduktion für wasserstoffbetriebene Brennstoffzellen-Lkw. Fotos: M. Boeckh

20 5/2022 Abfallwirtschaft schäftsführender Gesellschafter der Kirchhoff Gruppe, zu der auch Faun gehört. Alle Komponenten werden zugekauft. Dazu zählen die Brennstoffzellen von Hydrogenics aus Kanada oder die Elektromotoren von Aradex aus dem deutschen Lorch oder die Fahrgestelle von Daimler Trucks. Das Endprodukt dient dann beispielsweise unter der Bezeichnung ‚Bluepower‘ als Trägerfahrzeug für Müllsammel- oder Kehrmaschinen-Fahrzeuge. Entsorgungs- und Reinigungsfahrzeuge mit reinem Batterieantrieb kommen rasch an ihre Grenzen, wenn es über die lange Strecke geht und der Energievorrat an Bord ausschlaggebend wird und gleichzeitig die Nutzlast durch hohes Batteriegewicht nicht eingeschränkt werden soll. Hier hat der Wasserstoffantrieb deutliche Vorteile. „Der Güterverkehr trägt zu rund zehn Prozent zu den globalen CO2-Emissionen bei. Unsere Vision ist der klimaneutrale Lastverkehr, und wir wollen mit Enginius bis 2030 europäischer Marktführer für wasserstoffbetriebene Lastkraftwagen auf der Kurz- und Mittelstrecke werden“, so Patrick Hermanspann. Dass sich Wasserstoff hervorragend eigne, um schwere Fahrzeuge anzutreiben, habe das Unternehmen mit seinen Kommunalfahrzeugen bewiesen: In zahlreichen Städten wie Berlin, Duisburg, Bochum und Brüssel seien bereits wasserstoffbetriebene Abfallsammelfahrzeuge unterwegs, die nicht nur helfen, Abfall und Reststoffe zu beseitigen, sondern gleichzeitig die Luft in den Städten sauber und die Lärmbelastung niedrig halten. In Hochdrucktanks wird Wasserstoff gelagert und transportiert, der mittels Brennstoffzellen in Strom umgewandelt wird, der einen Elektromotor antreibt und gleichzeitig eine Puffer-Batterie auflädt. So schaffen die Fahrzeuge – je nach Ausstattung – eine Reichweite von 240 bis zu 500 Kilometern bei einer Nutzlast ähnlich einem Dieselfahrzeug. Das Befüllen der Wasserstofftanks dauert dabei weniger als 15 Minuten. „Bis zu drei 700-V-Brennstoffzellen mit einer Leistung von je 30 kW werden von bis zu vier Wasserstoff-Druckspeichertanks versorgt, die auf eine Gesamtkapazität von 16 kg Wasserstoff kommen“, erklärt Georg Sandkühler, Entwicklungsleiter bei Enginius. „Die Reichweite des Dreiachsers liegt je nach Revier bei 240 km, bestimmt nach dem internationalen World Harmonized Vehicle Cycle (WHVC)-Standard“, erklärt Georg Sandkühler, Entwicklungsleiter bei Enginius. Bis zu drei 700-V-Brennstoffzellen mit einer Leistung von je 30 kW werden von bis zu vier Wasserstoff-Druckspeichertanks versorgt, die auf eine Gesamtkapazität von 16 kg Wasserstoff kommen. 130 Bluepower wurden bereits verkauft, und davon fahren bereits 20 Fahrzeuge auf deutschen Straßen. Mit über 100 weiteren Bestellungen rechnet Sandkühler noch für 2022 – auch dank staatlicher Hilfe für die Kunden. Die Anschaffungskosten liegen bei 650.000 bis 900.000 Euro, je nach Ausstattung und damit in etwa beim Doppelten eines Dieselfahrzeugs. Doch die Mehrkosten gegenüber der Dieselvariante übernimmt bis zu 80 % der Staat über die ‚Nationale Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NOW GmbH)‘, eine Programmgesellschaft zur Forschungsförderung, die für das Bundesverkehrsministerium (MVI) und das Bundesumweltministerium Förderprogramme im Bereich nachhaltiger Mobilität koordiniert. Der Käufer hat damit nur Mehrkosten in Höhe von rund 20 % zu tragen. Martin Boeckh Mit dem Zweiachser Atego, der unter der Bezeichnung ‚Citypower‘ läuft, zielt Faun auf das Marktsegment des Waren- und Gütertransport auch im stadt- nahen Bereich.

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