modernisierungsreport 2022/23

modernisierungs report 2022/23 Aktuelle Themen • Energie- und Wasserpolitik • Klärwerk und Energiewerk • Wasserelektrolyse • Sektorkopplung Expertenwissen • Konzepte • Technologieentwicklung • Projektberichte • Betriebserfahrungen Sonderausgabe der Fachzeitschrift wwt wasserwirtschaft wassertechnik Energiewende in der Wasserwirtschaft

Gemeinsam zum optimalen Druckmanagement BESEITIGEN SIE WASSERVERLUSTE UND DRUCKPROBLEME IN IHREM NETZ Indem Sie Ihr Netz überwachen und Ihre Pumpen intelligent steuern, können Sie den Wasserdruck regulieren, Leckagen reduzieren, die Betriebssicherheit verbessern, die Leistung steigern und die Betriebskosten Ihrer Wasserverteilung senken. Bei Grundfos nennen wir das „Demand Driven Distribution“. Mit Demand Driven Distribution werden Pumpen, Steuerungen und Systemüberwachung zu einer einzigartigen Druckmanagementlösung zusammengefasst, die ein stabiles Wasserversorgungssystem sichert. Erfahren Sie, wie Grundfos iSOLUTIONS Ihr Systemmit Demand Driven Distribution und intelligenter Pumpentechnik optimieren kann: grundfos.de Druckerhöhungsanlage mit neuer CR-Baureihe für Wasserversorgungsunternehmen mit Schaltschrank und Demand Driven Distribution. WASSERVERTEILUNG: Durchschnittswerte basierend auf abgeschlossenen Projekten 15 % WENIGER LECKAGEN 35 % WENIGER ROHRBRÜCHE 25 % ENERGIEEINSPARUNG

1 modernisierungsreport 2022/23 Die durch den russischen Angriffskrieg ausgelösten wirtschaftlichen Verwerfungen treffen die Energie- und Wasserwirtschaft mehrfach: zum einen direkt, was die Energieversorgung und Energiesicherheit angeht, zum anderen indirekt, was etwa die Verfügbarkeit von Roh- und Hilfsstoffen für die Wasseraufbereitung angeht. Auf der anderen Seite birgt diese Krise auch Chancen, Potenziale zu heben und neue Verbindungen zwischen Energie und Wasser zu schaffen. Auch wenn die Wasserver- und Abwasserentsorgung insgesamt nur einen geringen Anteil am Gesamtprimärenergieverbrauch in Deutschland hat, können und sollten beide Sparten ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten. In der Wasserversorgung wird ein Großteil an Energie für Förderpumpen benötigt. Wenn man z. B. die Kreislaufführung des zu nutzenden Wassers in der Industrie noch weiter erhöht, würde dies die benötigte Energie für die Förderpumpen reduzieren. Das wäre ein wichtiger Beitrag zum Klimaschutz. Ebenso können durch den Einsatz moderner Förderpumpen Energieeffizienzpotenziale gehoben werden, da moderne Pumpen gegenüber denen aus den 1990er-Jahren deutlich höhere Wirkungsgrade aufweisen. Aktuell beginnt die Diskussion zum Ausbau von Photovoltaik- und Windenergieanlagen in Wasserschutzgebieten. Hier gilt es grundsätzlich, die Belange zum Schutz der Trinkwasserressourcen nicht aus den Augen zu verlieren. Der DVGW wird hierzu in Kürze seine Position veröffentlichen. Über die Absenkung der Warmwassertemperatur in der Trinkwasserinstallation als Beitrag zur Energieeinsparung wird derzeit häufig diskutiert. Senkt man die Temperatur im System jedoch unter 55 °C, besteht die Gefahr einer starken Vermehrung von Legionellen. Dennoch gibt es eine Reihe von Maßnahmen, die helfen, Energie einzusparen, ohne die Gesundheit zu gefährden. Zentrales Element einer klimaneutralen Energieversorgung Deutschlands ist der Hochlauf einer Wasserstoffwirtschaft. Die Wasserelektrolyse wird dabei eine Schlüsselrolle einnehmen. Derzeit fragt der Energiesektor rund 13 Mrd. m3 Wasser nach, meist für Prozesswasser und Kühlzwecke in Großkraftwerken. Erste Untersuchungen des DVGW zeigen, dass für Elektrolyseure in ambitionierten Szenarien ca. 25 Mio. m3 Prozesswasser bis 2045 benötigt werden. Weil Großkraftwerke weiter vom Netz gehen und Elektrolyseurstandorte offshore in der Nordsee entwickelt werden, wird die Situation beim Wasserverbrauch künftig deutlich entschärft. Stichwort Kreislaufführung: Bei der Elektrolyse fällt bezogen auf die Wasserstoffproduktion die achtfache Menge Sauerstoff an. Er könnte künftig für die Wasser- aufbereitung oder Abwasserbehandlung genutzt werden. Damit werden Energie und Wasser nicht nur durch das energetische, sondern auch durch das stoffliche Element verbunden. Insgesamt wird deutlich, dass Energie und Wasser einen starken Nexus aufweisen, der zukünftig noch deutlicher als bislang in Erscheinung treten wird. Gehen wir diesen Weg gemeinsam. Berthold Niehues, Leiter Wasserversorgung beim DVGW e. V. Quelle: DVGW Energie und Wasser – die Schnittpunkte mehren sich Selbst bei steigenden Zubauplänen für Elektrolyseure werden die benötigen Wasser- mengen deutlich unter 1 % dessen liegen, was der Energiesektor aktuell nachfragt. Kommentar Frank Gröschl, Leiter Technologie und Innovationsmanagement beim DVGW e. V. Quelle: DVGW

2 www.umweltwirtschaft.com Editorial 1 Energie und Wasser – die Schnitt- punkte mehren sich Berthold Niehues Frank Gröschl 4 Die Experten im Überblick Die Energiewende in der Wasserwirtschaft voranbringen 6 Energie- und Wasserpolitik – Panik, Populismus oder planmäßiges Handeln? Prof. Dr.-Ing. Markus Schröder 11 Energieeffizienz – wer weckt den schlafenden Riesen? Dr.-Ing. Gerhard Seibert-Erling 16 Neue Rolle für Kläranlagen Im Gespräch mit Dr.-Ing. Dieter Thöle Titelbild: Einfach gut vernetzt: Innovative Lösungen, (energie)optimierte Prozesse, robuste Anlagen und sichere Netze zur Abwasserbewältigung. Quelle: Xylem Abwasserreinigung und Energieerzeugung – neue Rolle für Kläranlagen in einem lokalen Energiemanagementsystem Quelle: OOWV ab S. 16 Wasserelektrolyse – zukunftsfähige Technologie mit viel Potenzial Quelle: SE Hannover ab S. 37 Energiewende in der Wasserwirtschaft

3 modernisierungsreport 2022/23 18 Energiekrise, Wassereinsparung und Anpassung von Infrastruktur Prof. Dr. Manuela Wimmer, Prof. Günter Müller-Czygan 22 Auf dem Weg zur Energieautarkie Oliver Thiele 28 Energie- und Risikomanagement auf Kläranlagen Sebastian Chalupczok, Nora Pankow, Christian Hubert, Prof. Dr.-Ing. Steffen Krause, Prof. Dr.-Ing. Christian Schaum 34 Adaptiver Kennfeldregler für eine optimale Sollwertvorgabe Tim Hogeback, Dr.-Ing. Marian Sander, Prof. Dr.-Ing. Kai Michels, Christian Nölker 37 Sauerstoffversorgung der Be- lebung mittels Wasserelektrolyse Sebastian Büttner 44 Vom Klärwerk zum Energiewerk – Sektorkopplung neu gedacht Gernot Hagemann 47 Das Beispiel Bergatreute – Abwasser zu Biogas für die Stromwärmeerzeugung Bernd Genath 52 Vera 1 und 2 – Stoffliche und energetische Verwertung von Klärschlamm Anojan Santhirasegaran, Günter Nebocat 58 Assistenzsystem Wasserwerke – optimierter Betrieb von Trink- wasserpumpen Marcel König 63 Kosteneffiziente Ausrüstung zum Erreichen der Energieautarkie Dr. Rolf Schwen, Florian Bleffert 68 Offene Klärbecken als Solarkraft- werke nutzen Carmen Scheuber, Sabina Schlosser 72 Förderhilfen zum Energiesparen für die Wasserwirtschaft Lisa Müller, Petra Reinecke Projektberichte und Firmenprofile 75 Projektberichte 98 Firmenprofile 104 Impressum WWW. INVENT-UV.DE INVENT Umwelt- und Verfahrenstechnik AG Am Pestalozziring 21 91058 Erlangen Tel 09131 690 98-0 Email info@invent-uv.de WAS S ER- UND ABWAS S ERRE INIGUNG Rührwerke Rühr- und Begasungssysteme Membran-Belüftungssysteme Wasserfilter &Dekanter Systemlösungen Strömungssimulation & Engineering Wasser ist der Ursprung und Quell des Lebens. Die Bereitstellung von Wasser in hoher Qualität und die Reinigung verschmutzten Wassers ist eine der wichtigsten Aufgaben unserer Zeit. INVENT entwickelt, produziert und vertreibt weltweit innovative Maschinentechnik und verfahrenstechnische Anlagen zur Reinigung und Aufbereitung von Wasser. E XC E L L ENC E I N WAT ER Inhalt

4 www.umweltwirtschaft.com Die Experten im Überblick Sebastian Büttner Bauhaus-Universität Weimar, Bauhaus-Institut für zukunftsweisende Infrastruktursysteme wissenschaftlicher Mitarbeiter Beitrag auf S. 37 Bernd Genath Fachjournalist Beitrag auf S. 47 Prof. Günter Müller Czygan Hochschule Hof, Institut für Wasser- und Energiemanagement Stiftungsprofessor Beitrag auf S. 18 Sebastian Chalupczok Universität der Bundeswehr München, Lehrstuhl für Siedlungswasserwirtschaft und Abfalltechnik wissenschaftlicher Mitarbeiter Beitrag auf S. 28 Energiewende in der Wasserwirtschaft Prof. Dr.-Ing. Kai Michels Universität Bremen, Institut für Automatisierungstechnik Institutsleiter Beitrag auf S. 34 Berthold Niehues DVGW e. V. Leiter Wasserversorgung Beitrag auf S. 1 Günter Nebocat Hamburg Wasser Leiter thermische Projekte Beitrag auf S. 52 Prof. Dr.-Ing. Steffen Krause Universität der Bundeswehr München Professur für Siedlungswasserwirtschaft und Abfalltechnik Beitrag auf S. 28 Marcel König Gelsenwasser AG Projektleiter AsWa Beitrag auf S. 58 Christian Hubert Universität der Bundeswehr München, Lehrstuhl für Siedlungswasserwirtschaft und Abfalltechnik wissenschaftlicher Mitarbeiter Beitrag auf S. 28 Dipl.-Ing. Tim Hogeback Universität Bremen Institut für Automatisierungstechnik wissenschaftlicher Mitarbeiter Beitrag auf S. 34 Gernot Hagemann Stadtentwässerung Hannover Kaufmännischer Leiter Beitrag auf S. 44 Frank Gröschl DVGW e. V. Leiter Technologie und Innovationsmanagement Beitrag auf S. 1 Florian Bleffert HST Systemtechnik GmbH & Co. KG Projektingenieur Kommunal 4.0 Beitrag auf S. 63

5 modernisierungsreport 2022/23 Die Experten Christian Nölker Hermes Systeme GmbH Prokurist und Projekt- manager Beitrag auf S. 34 Prof. Dr.-Ing. Markus Schröder Tuttahs & Meyer Ing.-gesell. für Wasser-, Abwasser- und Energiewirtschaft mbH Geschäftsführer Beitrag auf S. 6 Dr. Rolf Schwen HST Systemtechnik GmbH & Co. KG Bereichsleiter Information und Kommunikation Beitrag auf S. 63 Dr.-Ing. Gerhard Seibert-Erling Setacon GmbH Geschäftsführer Beitrag auf S. 11 Oliver Thiele Wasser- und Ab- wasserzweckverband „Eichsfelder Kessel“ Geschäftsleiter Beitrag auf S. 22 Dr.-Ing. Dieter Thöle Ruhrverband Abteilungsleiter Betriebstechnik und Energie- managementbeauftragter Beitrag auf S. 16 Prof. Dr. Manuela Wimmer Hochschule Hof, Institut für Wasser- und Energiemanagement Professorin Beitrag auf S. 18 Prof. Dr.-Ing. Christian Schaum Universität der Bundeswehr München, Professur für Siedlungswasserwirtschaft und Abfalltechnik Beitrag auf S. 28 Carmen Scheuber dhp technology AG Leiterin Akquise und Projektentwicklung Beitrag auf S. 68 Sabina Schlosser dhp technology AG Marketing und Kommunikation Beitrag auf S. 68 Nora Pankow Universität der Bundeswehr München, Lehrstuhl für Siedlungswasserwirtschaft und Abfalltechnik wissenschaftliche Mitarbeiterin Beitrag auf S. 28 Dr.-Ing. Marian Sander Oldenburgisch-Ostfriesischer Wasserverband (OOWV) Strategischer Asset-Manager Beitrag auf S. 34 Anojan Santhirasegaran Steinmüller Engineering GmbH Abteilungsleiter Incineration Systems Beitrag auf S. 52

6 www.umweltwirtschaft.com Prof. Dr.-Ing. Markus Schröder Energie- und Wasserpolitik – Panik, Populismus oder planmäßiges Handeln? Durch den Krieg in der Ukraine, die Dürre und Überschwemmungskatastrophen ist die Pro- blematik einer stabilen Energie- und Wasserversorgung im Fokus der Öffentlichkeit und Politik. Letztere muss jetzt die Entwicklung einer aus dem Blickwinkel Klimawandel und Ressourcenschutz notwendigen Zukunftsstrategie vorantreiben. Die momentane geopolitische und wirtschaftliche Situation erfordert kurzfristig politische Maßnahmen, die einer nachhaltigen Energie- und Wasserwirtschaft zum Teil konträr gegenüberstehen. Die verantwortlichen Politiker sind in dieser Krise nicht zu beneiden! Aber warum sind wir in einer derart kritischen Lage? Letztlich, weil seit Jahrzehnten ein verlässlicher, an Nachhaltigkeit ausgerichteter, umfassender Masterplan „Zukunftsstadt“ überfällig ist, an dem sich die Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaft orientieren können. „Verlässlich“ meint in diesem Fall, dass eine belastbare langfristige Strategie vorliegt, an die sich alle demokratischen Parteien, trotz sicherlich vorhandener Meinungsunterschiede, über Jahrzehnte gebunden fühlen. Insbesondere Anlagen der Energie- und Wasser- wirtschaft haben Reinvestitionszeiträume von Jahrzehnten, teilweise sogar von über 100 Jahren. Eine ständige Änderung politischer Vorgaben und die „Schnellschüsse aus der Hüfte“ führen hier zu immensen volkswirtschaftlichen Schäden, wenn diese Langfristinvestitionen durch tages- aktuelle Entscheidungen hinfällig werden. „An Nachhaltigkeit ausgerichtet“ heißt, dass für unsere nachfolgenden Generationen ernsthaft mitgedacht wird und sich das Thema nicht nur in Sonntagsreden wiederfindet, sondern in tatsächlichem, planmäßigem Handeln mündet. Was ist zu tun? Die von einer modernen Industriegesellschaft eingesetzten Ressourcen unseres Planeten und hier speziell die fossilen Energieträger sind bekanntermaßen endlich. Dies gilt im Übrigen auch für Uran, dessen Reichweite je nach Ansatz zwischen 25 und 150 Jahren liegt /1/. Auch für den menschlichen Gebrauch verwendbares Wasser ist insofern eine begrenzte Ressource, als eine weitere Verschmutzung irreparable Schäden hervorrufen kann und damit zu massiven Nutzungseinschränkungen führen wird. Zudem zeigen die weltweit zunehmenden Dürreperioden, dass auch die quantitative Verfügbarkeit von Wasser zumindest regional und temporär eingeschränkt wird. Die Ressourcenproblematik hat uns bereits der erste Bericht an den Club of Rome aus dem Jahr 1972 deutlich aufgezeigt. Und im 33. Bericht an den Club of Rome aus dem Jahr 2013 heißt es: „Für eine kurze Epoche glaubten die Menschen, sie seien die Herren eines ganzen Planeten. Doch am Ende des Anthropozäns haben wir den Planeten bis an die äußerste Grenze seiner Belastbarkeit Energiewende in der Wasserwirtschaft Bild 1 Energiepotenziale der deutschen Wasserwirtschaft: Ein wesentliches Element dieser zukünftigen Infrastruktur ist die Wasserstofftechnologie. Quelle: /4/ Faulung Wärmerück- gewinnung Kraft-Wärme- Kälte-Kopplung Wasserstoff Biogasanlagen Geothermie Windkraft Solaranlagen Wasserkraft Gezeitenkraftwerk Wasser & Energie Wasserkraftanlagen in Kanälen Biotreibstoff Co-Fermentation Pumpspeicherwerke

7 modernisierungsreport 2022/23 geplündert und was uns bleiben wird, ist nichts als die Asche eines gigantischen Feuers. [...] Die Erde wird nie wieder sein wie vorher; sie ist im Begriff, in einen neuen und anderen Planeten umgeformt zu werden [...] Wir werden uns an die neuen Bedingungen anpassen müssen.“ Die Problemlage ist also vielfältig und immens. Unsere Ziele müssen daher sein: • Klimawandel – Vermeidung und Folgenbeherrschung, • Umsetzung der Energiewende, • Sicherung der Wasserversorgung, • Schutz der Gewässer als grundlegendes Element des Umweltschutzes und • nachhaltige Sicherung der Verfügbarkeit von Ressourcen durch eine konsequente Kreislaufwirtschaft nach dem Cradle- to-Cradle(C2C)-Prinzip, d. h. ein Stoff muss nach erfolgter Nutzung eins zu eins wiederverwertbar sein. In diesem Zusammenhang sind erneuerbare Energien der Schlüssel. Die Sonne liefert uns rund 6.000-mal so viel Energie, wie wir weltweit verbrauchen /2/. Wir müssen sie endlich konsequent nutzen. Die einzigen limitierenden Faktoren sind die Volatilität der erneuerbaren Energien und die Kosten. Letztere wären aber bei konsequenter Umlage insbesondere aller Nachsorgekosten auf die Primärenergieträger (Ewigkeitskosten der Kohleförderung, Lagerung von Atommüll, Kosten des Klimawandels) gegenüber den Kosten der Nutzung von erneuerbaren Energien unbedeutend und zweitrangig. Problematisch ist die Kostensituation zurzeit nur, weil wir zu lange einen politischen Stillstand bzw. eine Entwicklung im Schneckentempo bei der Nutzung erneuerbarer Energien hatten und nicht die richtigen Entscheidungen trafen. Dies zu beklagen, ist allerdings wenig hilfreich. Wie bereits aufgezeigt, muss ein Masterplan „Zukunftsstadt“ aufgestellt werden, der insbesondere auch eine Leitlinie für die zukünftige Energie- und Wasserpolitik enthalten muss, denn Energie und Wasser sind die Lebensgrundlage für unsere Gesellschaft. Der zurzeit in der Ressortabstimmung befindliche Entwurf der Nationalen Wasserstrategie des Bundesumweltministeriums /3/ ist ein erster, wichtiger Schritt bzw. Baustein, allerdings im Sinne der Sicherung einer dauerhaften Verfügbarkeit von WasEnergie- und Wasserpolitik Wirtschaft auf Grundlage fossiler Brennstoffe wasserstofforientierte Wirtschaft 2000 2010 2020 2030 2040 2050 2000 2010 2020 2030 2040 2050 Direkte H2-Erzeugung aus erneuerbaren Energiequellen; Wasserstoff- statt Kohlenstoffgesellschaft Zunehmende Dekarbonisierung der H2-Erzeugung; erneuer- bare Energiequellen, f ossiler Brennstoff mit Sequestrierung, neue Nukleartechnik Ausgedehnte H2-Pipeline-Infrastruktur Verflechtung örtlicher H2-Verteilungsnetzte; signifikante H2-Erzeugung aus erneuerbaren Energiequellen H2-Verwendung in der Luftfahrt Brennstoffzellen (BZ) werden dominante Technologie im Verkehr, bei verteilter Energieerzeugung und Mikroanwendungen H2 ist Kraftstoff 1. Wahl für BZ-Fahrzeuge Signifikantes Wachstum verteilter Energieerzeugung mit wesentlicher Marktdurchdringung von BZ 2. Generation mit bordeigener Speicherung (Fernstrecke) Kostengünstige Hochtemperatur-Brennstoffzellensysteme; BZ in Mikroanwendungen kommerziel eingeführt. BZ-Fahrzeuge für Personenwagen wettbewerbsfähig Atmosphärisch und als Hybridanlage betriebene SOFC-Systeme sind kommerziell eingeführt (< 10 MW) Erste H2-Flotten (1. Generation mit H2-Speicherung) Serienproduktion von BZ-Fahrzeugen für Fahrzeug-Flotten (H2 direkt oder bordeigene Reformierung) und anderem Verkehr (Schiffe); BZ für Hilfsstromaggregate (einschließlich Reformer) Ortsfeste Niedertemperatur-Brennstoffzellensysteme (PEM) (< 300 kW) Ortsfeste Hochtemperatur-Brennstoffzellensysteme (MCFC/SOFC) (< 500 kW); H2-Verbrennungsmotoren entwickelt; Demonstrationsflotten von BZ-Bussen Ortsfeste Niedertemperatur-Brennstoffzellensysteme für Marktnischen kommerziell eingeführt (<50 kW) einschließlich Biomassevergasung H2, der aus fossilen Brennstoffen mit Kohlenstoff-Sequestierung erzeugt wird Cluster örtliche H2-Verteilungsnetze Örtliche Cluster von H2-Befüllstationen H2-Transport auf dem Landweg und örtliche H2-Erzeugung an Tankstellen (Reformie rung und Elektrolyse) H2, der durch Reformierung von Erdgas und Elektrolyse erzeugt wird BZ- und H2-Systeme Entwicklung und Einführung Erzeugung und Verteilung von H2 Bild 2 Rahmenvorschlag für eine europäische Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Marschroute Quelle: /6/

8 www.umweltwirtschaft.com ser, Energie und lebenswichtigen Rohstoffen nicht umfassend genug. Energie und Wasser müssen ganzheitlich betrachtet werden. Der Wasser-Energie-Nexus „Der Wasser-Energie-Nexus ist weltweit ein Thema von zentraler Bedeutung. Beide Ressourcen sind Grundlage für das menschliche Leben in unserer heutigen industriell und technisch geprägten Zeit“ /5/. Und die Verknüpfung zwischen Anlagen zur Energie- umwandlung und Wasser ist vielfältig. So ergibt sich eine intensive Wassernutzung durch Kühlwasser zur Verstromung von Kohle und Uran in Großkraftwerken, die aber zunehmend durch Dürreperioden eingeschränkt oder sogar gefährdet wird. Umgekehrt ist auch der Einfluss der Nutzung fossiler Energieträger problematisch für das Wasser, zum Beispiel durch Aufwärmung der Gewässer oder die massive Beeinträchtigung der Grundwasserkörper durch den Kohleabbau oder Erdgas-Fracking. Aber auch in einer zukünftigen, nachhaltigen Energieinfrastruktur gibt es eine starke Wechselwirkung und gegenseitige Abhängigkeit von Anlagen der Energieumwandlung und der Wasserwirtschaft (Bild 1). Weiterführende Aussagen finden sich dazu auch im DWA-Report „Keine Energie ohne Wasser“ /5/. Wasserstoff – ein wichtiger Baustein der zukünftigen Energie- und Infrastruktur Gegen Ende der 1990er- und zu Beginn der 2000er-Jahre begann eine intensive Auseinandersetzung mit der Wasserstofftechnologie, verbunden mit entsprechenden Forschungs- und Entwicklungsvorhaben. Einen wichtigen Anstoß lieferte auch die Europäische Kommission mit dem sogenannten Hydrogen Vision Report aus dem Jahr 2003 /6/. In dem Bericht wurde unter anderem ein Rahmenvorschlag für eine europäische Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Marschroute aufgestellt (Bild 2). Ziel war die Entwicklung von einer auf fossilen Brennstoffen basierten Wirtschaft zu einer wasserstoff- orientierten Wirtschaft beginnend im Jahr 2000, umgesetzt bis 2050. Dabei wurde der Spruch „It’s HY-Time“ geprägt – mit dem Doppelsinn „Es ist Wasserstoffzeit“ und „Es ist höchste Zeit“. Statt entsprechend zu handeln, wurde dieser zwingend notwendige Umbau der Energiewirtschaft insbesondere in den zurückliegenden 10 Jahren politisch in eine Nische verdrängt und auch die westlichen Industrieunternehmen haben die Entwicklung – wenn überhaupt – nur mit geringem Ressourceneinsatz und schleppend vollzogen. Die Gründe hierfür zu erläutern, ist wenig hilfreich. Wichtiger erscheint die Erkenntnis, warum Wasserstoff von so wesentlicher Bedeutung ist. Und hier liegt die einfache Erklärung darin, dass Wasserstoff das umfassende Bindeglied zwischen Energieversorgung und Energiebedarf ist (Bild 3). Die Gewinnung von Wasserstoff aus fossilen Energieträgern stellt dabei maximal eine Brückentechnologie dar, dauerhaft muss der Wasserstoff aus erneuerbaren Energien gewonnen werden („grüner Wasserstoff“). Wie Bild 3 zeigt, können wasserwirtschaftliche Anlagen, insbesondere Kläranlagen, diesbezüglich einen zwar kleinen, aber sehr wichtigen Beitrag leisten. Energiewende in der Wasserwirtschaft Biomasse Erdgas Kohle Verbrennungs- motoren Brennstoff- zellen- motoren Gewerbe Haushalte Dienstleistungs- sektor Turbinen, Verbrennungsmotoren Verarbeitungsindustrie, Synthesen Nuklearwärme Nuklearstrom Solarwärme Solar-PV Wasser Wind Erneuerbare Energien Transport Industrie Gebäude Brennstoffzellen Kläranlage Poly? Elektrolyse H2 Versorgung Bedarf Abwasserreinigung (Haupt- oder Nebenstrom) Luft Gebläsestation Klärschlamm Gaserzeugung z. B. Faulung, neue Verfahren EVU-Netz Interner Wärmeverbrauch Wasserstoffverbrennung Brennstoffzelle, Gasmotor, Gasturbine Wasserstoffspeicher Gasaufbereitung Reinigung Reformierung Elektrolyseur Sauerstoffspeicher Sonne Wasser Wind Erdgas Externe Verbraucher (Hausbrennstoffzelle) Biomasse Bioabfall Biodiesel Gas DreistoffTankstelle Wasserstoff Biogas Wärme Strom Sauerstoff Sonstige Stoffströme Wasserstoff Legende Bild 3 Wasserstoff – Primärenergiequellen Energiewandler und -anwendungen Quelle: /6, 7 modifiziert/ Bild 4 Abwasser – Klärschlamm – Energie: Konzept einer zukunftsorientierten Kläranlage Quelle: /8/

9 modernisierungsreport 2022/23 Wasserstoff auf Kläranlagen Wasserstoff kann auf Kläranlagen auf mehreren Wegen erzeugt und verwendet werden (Bild 4): • Wasserelektrolyse, • Reinigung und Reformierung von Faulgas, • stationäre Brennstoffzellen, • Fahrzeugbetankung. Bei der Wasserelektrolyse entsteht durch die Zerlegung von Wasser Wasserstoff und Sauerstoff. Damit haben Kläranlagen gegenüber allen anderen Standorten einen synergetischen Vorteil, weil der Sauerstoff in der biologischen Stufe oder in der Ozonung verwendet werden kann (Infobox). Anzumerken ist, dass auch der Wasserbedarf und die benötigte Wasserqualität der Wasserelektrolyse nicht zu unterschätzen sind. In der Entwicklung sind allerdings auch mikrobielle Elektrolyseure, bei denen das Ausgangsprodukt Abwasser ist. Die Forschung und Pilotierung im Bereich Wasserstoff auf Kläranlagen wurde trotz der geschilderten eher widrigen Rahmenbedingung auch in den letzten Jahren in verschiedenen Projekten weiterentwickelt (Tab. 1). Auch das zuständige Fachgremium der DWA, die Arbeitsgruppe KEK-7.1 „Wasserstoffbasierte Energiekonzepte“, das bereits im Jahr 2006 das Merkblatt DWA-M 299 „Einsatz von Brennstoffzellen auf Kläranlagen“ /10/ erstellt hat, beschäftigt sich weiEnergie- und Wasserpolitik Beispielhafte F&E-Projekte zum Wasserstoff (2000–2010) • Kläranlage Köln-Rodenkirchen (H2 aus Faulgas ==> Stationäres H2-BHKW, PAFC, 2000) • Kläranlage Barth (PEM-Wasserelektrolyseur, Sauerstoffnutzung im Belebungsbecken, Wasserstoff- nutzung im PEMFC-Bus, 2003) • Kläranlage Kohlfurth (H2 aus Faulgas ==> Stationärer MCFC-Teststand, 2004) • Kläranlage Ahlen (H2 aus Faulgas ==> Stationäres H2-BHKW, MCFC, 2005) • Kläranlage Moosburg/Leonberg (Stationäres H2-BHKW, MCFC, 2006) • Kläranlage Stuttgart-Möhringen (H2 aus Faulgas ==> Stationäres H2-BHKW, MCFC, 2007) • Kläranlage Bottrop, Projekt EuWaK (H2 und Biomethan aus Faulgas, Methan- und Wasserstofftankstelle, Wasserstoffpipeline zu einem H2-Motor-BHKW an einer Schule, 2007) Abkürzungen: BHKW = Blockheizkraftwerk MCFC = Molten Carbonate Fuel Cell (Schmelzkarbonatbrennstoffzelle) PAFC = Phosphoric Acid Fuel Cell (Phosphorsäurebrennstoffzelle) PEMFC = Proton Exchange Membrane Fuel Cell (Protonenaustauschmembran-Brennstoffzelle) Quelle: /9/ DIE INTELLIGENZ DER PUMPE PUMP MONITOR SEEPEX GmbH T +49 2041 996-0 www.seepex.com Der Pump Monitor bringt Intelligenz in die Exzenterschneckenpumpe und sichert einen effizienten Betrieb. y Grenzwertüberwachung durch Alarmierungen y Performance Analysen zur Betriebsoptimierung y Mehr Sicherheit durch kontinuierliche Überwachung y Transparenz der Pumpenleistung y Optimierung der Betriebskosten

10 www.umweltwirtschaft.com terhin intensiv mit der Thematik. Die Ergebnisse dieser Arbeit wurden im Juli 2022 im Arbeitsbericht „Wasserstoff trifft Abwasser“ /11/ sehr gut zusammengefasst. Schlussbemerkung Durch die Dürreperioden und Hochwasserkatastrophen der letzten Jahre sowie die Energiekrise sind Wasser und Energie auf der Agenda von Öffentlichkeit und Politik. Dass sich aus diesen Krisen ein kurzfristiger Handlungsbedarf ergibt, ist unbestritten. Aber parallel muss endlich eine langfristig verlässliche Strategie für die Infrastruktur der Zukunft entwickelt werden. Die Wasserwirtschaft ist im Sinne einer solchen Strategieentwicklung bereits seit Langem mit dem Thema Zukunftsstadt beschäftigt. Dabei ist die Diskussion von großen He- rausforderungen geprägt, wie • Klimawandel, • Sicherung der Energie- und Wasserversorgung, • nachhaltiger Landwirtschaft, • wassersensibler Stadtentwicklung, • Elektromobilität, • Ressourcenschutz, • Nachhaltigkeit, • IT-Sicherheit / Kritis. Alle diese Bereiche sind eng miteinander verwoben und haben gegenseitige Abhängigkeiten und Einflüsse. Aktivitäten finden aber oftmals nebeneinander und isoliert statt. Hier ist die Politik gefragt, mit einem Masterplan „Zukunftsstadt“ einen politischen Rahmen zu schaffen, der für alle Handelnden Verlässlichkeit bietet und vernetztes Handeln fördert.  Prof. Dr.-Ing. Markus Schröder Tuttahs & Meyer Ingenieurgesellschaft für Wasser-, Abwasser- und Energiewirtschaft mbH m.schroeder@tum-ingenieure.de www.tuttahs-meyer.de Literatur: /1/ Deutscher Bundestag,Wissenschaftliche Dienste (2006): Uran als Kernbrennstoff: Vorräte und Reich- weite. Info-Brief WF VIII G – 069/06, Berlin, März 2006 /2/ Plöger, Sven: Zieht Euch warm an, es wird heiß. Vortrag St. Andreas, Aachen, 2020 /3/ Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (2021): NationaleWasserstrate- gie, Entwurf des Bundesumweltministeriums. Online unter www.bmuv.de/download/nationale-wasser strategie, zuletzt abgerufen am 10.10.2022 /4/ Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Ab- wasser und Abfall e. V. (2010): Energiepotenziale der deutschenWasserwirtschaft. Hennef, ISBN: 3940173916 /5/ Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Ab- wasser und Abfall e. V. (2020): DWA-Report „Keine Energie ohneWasser – Zukunftsszenarien und Emp- fehlungen für dieWeiterentwicklung der Wasserwirt- schaft unter gravierend veränderten energiewirt- schaftlichen Rahmenbedingungen. Erstellt durch TU Clausthal und die Tuttahs & Meyer Ing.-gesell- schaft mbH, Hennef, ISBN 978-3-96862-000-8 /6/ Europäische Kommission (2003):Wasserstoffenergie und Brennstoffzellen – Eine Zukunftsvision. Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, Luxemburg, ISBN 92-894-6283-3 /7/ Schröder, Markus (2007): Zukunftsvision einer wasserstoffbasierten Energiewirtschaft. Stuttgarter Berichte zur Siedlungswasserwirtschaft, Institut für Siedlungswasserbau,Wassergüte und Abfallwirt- schaft der Universität Stuttgart (Hrsg.), Bd. 174, S. 163–176 /8/ Schröder, Markus et al. (2004): Einsatz vonWasser- stoff- und Brennstoffzellentechnik auf Kläranlagen. Essener Tagung 2004, Gesellschaft zur Förderung der Siedlungswasserwirtschaft an der RWTH Aachen, ISBN 3-932-590-86-4 /9/ Tuttahs & Meyer Ing.-GmbH, et. al. (2012):WaStraK NRW „Einsatz der Wasserstofftechnologie in der Abwasserbeseitigung“ Band I: KompendiumWasser- stoff. Forschungsbericht Aktenzeichen IV-7 – 042 600 003 imAuftrag des Ministeriums für Klima- schutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur und Verbrau- cherschutz des Landes NRW, Aachen /10/ Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Ab- wasser und Abfall e. V. (2006): Merkblatt DWA-M 299 Einsatz von Brennstoffzellen auf Klär- anlagen. Hennef, ISBN 978-3-939057-25-3 /11/ DWA-Arbeitsgruppe KEK 7.1:Wasserstoff trifft Ab- wasser. In: KA Korrespondenz Abwasser – Abfall, Heft 7/22, S. 597–605, Gesellschaft zur Förderung der Abwassertechnik e. V. (GFA) Energiewende in der Wasserwirtschaft Projekt Zeitraum Inhalt eloise 2018–2020 Innovative Verfahrenskette aus Elektrolyse und Ozonung zur Spurenstoffelimination auf kommunalen Klärwerken LocalHy 2015–2018 Dezentrale Wasserelektrolyse aus erneuerbarer Energie mit kombinierter Wasserstoffnutzung für Mobilitätsanwendungen, Rückverstromung und Sauerstoffnutzung zur Belüftung auf Klärwerken WaStrak 2012 Methanolsynthese aus Faulgas und Untersuchungen zur Wasserstofftechnologie auf Klärwerken KESTro 2014–2017 Klärwerke als Energiepuffer durch Biobrennstoffzelle und Spurenstoff-Elektrolyse Biomethanol 2014–2017 Methanolgewinnung aus kommunalem Abwasser mit mikrobieller Elektrolyse und Methanolsynthese BioBZ 2014–2017 Bioelektrochemische Brennstoffzelle als Bausatein einer energieerzeugenden Abwasserbehandlungsanlage HYPOS 2017–2020 Wirtschaftliche Energieumwandlung, -speicherung und -transport mittels Wasserstoff ELEKTRA 2017–2019 Alternative emissionsarme Energieversorgungssysteme auf Binnenschiffen arrivee 2014–2017 Abwasserreinigungsanlagen als Regelbaustein in intelligenten Verteilnetzen mit erneuerbarer Energieerzeugung arrived seit 2020 Klimafreundliche und ressourceneffiziente Anwendung der Wasserelektrolyse zur Erzeugung von regenerativen Speichergasen kombiniert mit einer weitergehenden Abwasserbehandlung zur Mikrostoffelimination auf Klärwerken SEWAGE PLANT H seit 2021 Blaupause für die Sektorenkopplung – ein Klärwerk wird mit grünem Wasserstoff zum Innovationstreiber der Energie- wende Tab. 1: Projekte zur Wasserstofftechnologie und Faulgasverwertung auf Klärwerken in den Jahren 2012 bis heute

11 modernisierungsreport 2022/23 Energieeffizienz Dr.-Ing. Gerhard Seibert-Erling Energieeffizienz – wer weckt den schlafenden Riesen? Die vier Säulen einer nachhaltigen Energieverwendung sind nach Prioritäten geordnet das Energiesparen, die Effizienzsteigerung, die Kraft-Wärme-Kopplung und die erneuerbaren Energien. Ein vollständiger und durchdachter Systemumbau im Sinne einer echten Energiewende kann nur so gelingen. Die Entwicklungen der letzten Jahre sprechen aber eine andere Sprache. Die energetische Situation der Kläranlagen ist seit über 30 Jahren im Fokus der Betreiber. Die heute übliche Systematik der Energieanalysen wurde in den 1990er-Jahren in der Schweiz entwickelt und in einem Handbuch zusammengefasst. Das damalige Umweltministerium in Nordrhein-Westfalen (NRW) hat 1999 mit Unterstützung der Spezialisten aus der Schweiz ein auf deutsche Verhältnisse angepasstes Handbuch herausgegeben. Dieses wurde nach fast 20 Jahren überarbeitet und erschien 2018 in einer vollständig überarbeiteten Fassung /1/. Eine Verankerung im technischen Regelwerk erfolgte 2015 mit dem Arbeitsblatt DWA-A 216 „Energiecheck und Energieanalyse“. Das Handbuch und das Arbeitsblatt sind heute die maßgeblichen Grundlagen für die energetische Optimierung von Abwasseranlagen. Ergänzend wurden von mehreren Bundesländern Leitfäden für die Durchführung von Untersuchungen herausgegeben. Das grundlegende Fachwissen steht somit zur Verfügung und es mangelt nicht an Anreizen für die Umsetzung. Die Erstellung des ersten Handbuches NRW fiel in eine Phase sehr niedriger Strompreise. Seit 2005 sind sie jedoch jährlich im Mittel um sieben Prozent angestiegen, was einer Verdopplung alle 10 Jahre entspricht. Mit der seit 2021 eskalierenden Versorgungslage ergibt sich eine völlig neue Situation, was vor allem den Kostendruck auf die Betreiber erhöht und sie zum Handeln zwingt. Was passiert auf der politischen Ebene? Jetzt auf einmal, da Energie wirklich knapp zu werden droht, soll holterdiepolter auf gesetzlich verordnetem Weg gespart (!) werden. Die Steigerung der Effizienz wird ebenfalls beschworen, jedoch geht das nicht ohne eine vorherige Analyse. Eine Effizienzsteigerung lässt sich eben nicht einfach „verordnen“. Folglich wird das verfügbare Expertenwissen ignoriert und stattdessen am „grünen Tisch“ bestimmt, wo es lang geht. Dann wird eben ab sofort die Duschzeit der Klärwerksmitarbeiter verkürzt und die Flure der Betriebsgebäude werden nicht mehr beheizt. Für die dann nicht genutzte Wärme gibt es schließlich Notkühler. Betrachtungen zum Energierecht Einen nicht zu unterschätzenden Einfluss hat die Entwicklung des Energierechts. Der Umfang ist von fünf Seiten in den 1990er-Jahren auf ca. 2.000 Seiten angewachsen und zu einem unübersehbaren Labyrinth geworden, in dem sich selbst spezialisierte Rechtsanwälte kaum noch zurechtfinden /2/. Diese bedenkliche Entwicklung nimmt weiter ihren Lauf, obwohl von allen Seiten zur Mäßigung und Vereinfachung gemahnt wird. Inhaltlich stand dabei zunächst die politisch motivierte Förderung erneuerbarer Energien durch das EEG im Vordergrund. Aus technischer Sicht hätte man sich zeitgleich mit dem Umbau der Stromversorgung beschäftigen und entsprechende Rahmenbedingungen schaffen müssen. Schließlich sollte die zentrale Versorgung mit Großkraftwerken durch eine dezentrale Versorgung mit kleinen Erzeugungseinheiten (Windkraft, PV-Anlagen, Biogasanlagen) ersetzt werden, was aus technischer Sicht eine gravierende Umstellung vor allem hinsichtlich der Stabilität des Stromnetzes bedeutet. Weil diese Entwicklung verschlafen wurde und die Förderkosten zu immer höheren Strompreisen führten, wurde seit etwa 2012 die bisher lukrative finanzielle Förderung der erneuerbaren Energien zurückgeschraubt und zudem die Einspeisung bürokratisch erschwert. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte diese Entwicklung 2018 mit der Einführung der EEG-Umlage auf den selbst erzeugten und genutzten Strom, was insbesondere von den Betreibern der Kläranlagen wie eine Bestrafung des Betriebs ihrer BHKW-Anlagen wahrgenommen wurde. Diese „Belastung“ wurde Mitte 2022 aufgehoben, offenbar aber nur vorübergehend. Energieeffizienz Die vier Säulen einer nachhaltigen Energieverwendung sind in der Reihenfolge ihrer Priorität das Energiesparen, die Effizienzsteigerung, die Kraft-Wärme-Kopplung und die erneuerbaren Energien. Ein vollständiger und durchdachter Systemumbau im Sinne einer echten Energiewende hätte nur so gelingen können. Im Rückblick auf 20 Jahre Energiewende wurden die Prioritäten jedoch genau andersherum gesetzt. Von politischer Seite wird nun zum Sparen aufgerufen, sogar zwangsweise auf dem Wege von Verordnungen. Bei den Kläranlagen dürfte das entsprechende Potenzial allerdings gering sein, weil die einfachen Sparmaßnahmen unter dem Druck der gestiegenen Stromkosten schon umgesetzt wurden.

12 www.umweltwirtschaft.com Energiewende in der Wasserwirtschaft Anders sieht es bei der energetischen Effizienz aus. Bekanntlich ist sie der schlafende Riese der energetischen Optimierung. Der seit etwa 15 Jahren stagnierende spezifische Stromverbrauch der Kläranlagen von ca. 33 kWh/(E*a) /3/ deutet darauf hin, dass die entsprechenden Potenziale nicht abgerufen wurden. Es gibt sehr wohl wenige Anlagen, auf denen die Umsetzung gut vorangekommen ist. Diese Anlagen erreichen spezifische Verbrauchswerte im Bereich von 20 kWh/ (E*a). Natürlich darf daraus nicht gefolgert werden, dass jede Kläranlage diesen Wert erreichen muss, sondern es gehört zu den wichtigsten Erkenntnissen aus der 20-jährigen Befassung mit dem Thema, dass jede Kläranlage individuell zu betrachten ist. Andererseits darf nicht bestritten werden, dass noch große Potenziale vorhanden sind und abgerufen werden können. Die Hebung der Potenziale effizienter Lösungen und deren Umsetzung braucht allerdings etwas Zeit und kluge Köpfe. Der emeritierte Professor Kroiss aus Wien empfahl schon vor ca. 15 Jahren, nicht am Energieeinsatz für kreatives Denken zu sparen /4/. Diesen taxierte er in einer Tabelle auf ca. 1 W/E, während der Primärleistungseinsatz des durchschnittlichen Österreichers 6 kW/E beträgt. Er riet dazu, die Energie für kreatives Denken mindestens zu verdoppeln. Gerade jetzt wird der Erzeugung von zusätzlicher Energie mit PV-Anlagen und Wind wieder der Vorzug gegeben. Die schöne, neue, blaue PV-Anlage auf dem Dach einer Sandfanghalle lässt sich eben politisch besser verkaufen als die energetisch gleichwertige Erneuerung des Sandfanggebläses, die außerdem deutlich wirtschaftlicher ist. Die Bedeutung der Energieeffizienz bei der Abwasserreinigung Die Hauptaufgabe der Kläranlagen ist die Reinigung des Abwassers und die Einhaltung der Überwachungswerte; dies soll hier keinesfalls bestritten werden. Gleichwohl muss mit dem Vorurteil, dass die Reduzierung des Energieverbrauchs zu Lasten der Reinigungsleistung geht, endlich aufgeräumt werden. Eine verbesserte energetische Effizienz bedeutet, dass die geforderte Pump- oder Förderleistung mit weniger Energie erbracht wird. Der Prozess wird dabei in keiner Weise nachteilig beeinflusst; das wird in den Diskussionen oft missverständlich dargestellt. Die Steigerung der Effizienz sollte jedoch nicht als eine isolierte Aufgabe gesehen werden: • Bei der Strategie „Faktor 4“ /5/ wird gefordert, dass im Zusammenhang mit dem Einsatz regenerativer Energiequellen stets auch eine Steigerung der Energieeffizienz, mindestens um den Faktor 2, verbunden sein soll. • Mit der heute verfügbaren Technik sind viele Kläranlagen vom Zustand der vollständigen Eigenversorgung mit Strom (Autarkie) nicht weit entfernt, wenn als erster Schritt schon die Steigerung der Energieeffizienz auf der Verbraucherseite in Angriff genommen wurde. • An kaum einem anderen Objekt lassen sich die Möglichkeiten eines modernen nachhaltigen Umgangs mit der Energie besser darstellen als an einer Kläranlage. Hier sind mehrere unterschiedliche Energiearten bzw. Energieträger vorhanden (Klärgas, Strom, Wärme, Kälte, Druckluft, Wasserkraft, Sonnenenergie etc.), mit denen auch die zukünftigen Anforderungen (Schlammtrocknung, 4. Reinigungsstufe) möglichst aus eigenen energetischen Quellen gedeckt werden können. Energieeffizienz bei der Belüftung Von den unterschiedlichen Belüftungssys- temen kommt auf Kläranlagen am häufigsten die Druckbelüftung zum Einsatz. Sie besteht aus der Drucklufterzeugung, dem Rohrleitungsnetz mit den Armaturen zur Luftverteilung und den in den Becken eingebauten Belüfterelementen. Eine Optimierung des Gesamtsystems gelingt nur, wenn alle Komponenten und Teilsysteme gut aufeinander abgestimmt sind. Das gilt nicht nur für die Auslegung, sondern insbesondere für den Betrieb in seiner ganzen Bandbreite der Belastungsschwankungen /6/. Das größte Potenzial liegt bei der Drucklufterzeugung. Die stürmische Entwicklung des Marktes in diesem Bereich hat dazu geführt, dass heute für den gesamten Bereich bis zu den größten Kläranlagen ein Generationswechsel der Verdichter möglich ist. Wie hoch die Effizienzsteigerung ausfällt, hängt vom Geschick und von der Vorgehensweise des Planers ab. Das Betriebsverhalten der neuen modernen Maschinen und die energetischen Kennlinien weichen bauartbedingt stark von denen der alten Aggregate ab. Wenn dann nach dem alten Schema (Bild 1) geplant wird, dann kann die Effizienzsteigerung bzw. die Einsparung trotzdem sehr gering ausfallen. Die Energieeffizienz muss heute an erster Stelle stehen. Schließlich kauft der Betreiber eigentlich die „Dienstleistung“ Druckluft und die Kosten dafür teilen sich bei einer Lebensdauer von 10–15 Jahren in 10 % für die Verdichter und 90 % Stromkosten. Als Kennzahl für die Energieeffizienz hat sich die spezifische Leistung etabliert. Diese ist sowohl im Energiehandbuch /1/ als auch im DWA-Regelwerk (DWA-M 229) verankert. Der Wertebereich reicht von ca. 30–80 W(Nm³/h bar). Drehkolbengebläse liegen bauartbedingt immer über einem Wert von 40. Hingegen erreichen die neueren Niederdruckschraubenverdichter und die drehzahlverstellbaren Turboverdichter Werte zwischen 30 und 40 W(Nm³/h bar) (Bild 2). Die Schraubenverdichter haben eine konventionelle Kennlinie mit Verschlechterung bei Teillast. Die Turboverdichter haben eine parabelförmige Kennlinie und erreichen Prioritäten bisher • Bemessungswert (genaue Einhaltung) • Redundanz (n+1) • Ersatzteilhaltung (möglichst gleiche Aggregate) • Robustheit • Energieeffizienz einmalige projektorientierte Beschaffung Prioritäten zukünftig • Energieeffizienz • Robustheit • Verfügbarkeit (u. a. durch Redundanz) • Instandhaltung (Wartung) • Bemessungswert ... auch einhalten • flexible Programmierung fließende bedarfsorientiere Beschaffung Bild 1 Paradigmenwechsel in der Planung Quelle: Seibert-Erling

13 modernisierungsreport 2022/23 Energieeffizienz ihren Bestwert nur in einem engen Bereich in der Mitte des Regelbereichs. Insofern besteht das Kunststück der Auslegung darin, die am Markt verfügbaren Maschinen so auszuwählen und zu betreiben, dass über die gesamte Bandbreite und insbesondere in dem Betriebsbereich mit der größten Häufigkeit der Luftmenge eine hohe Effizienz erzielt wird. Bei üblichen Anforderungen sollte heute ein Wert zwischen 30–35 W/(Nm³/h bar) im Betrieb einzuhalten sein. Energieeffizienz beim Heben, Fördern und Pumpen Beim Durchfließen einer Kläranlage muss das flüssige Medium – Rohabwasser, Belebtschlamm-Wasser-Suspension, gereinigtes Abwasser – auf vielfältige Art und Weise bewegt und transportiert werden. Übliche Stationen oder Aggregategruppen sind ein Zulaufpumpwerk, Rohschlammpumpwerk, Rücklaufschlamm-/Überschussschlammpumpwerk, die Rezirkulationspumpen und diverse Pumpen im Bereich der Schlammbehandlung. Für alle genannten Aufgabenstellungen gibt es heute geeignete Pumpen. Ausführliche Hinweise zu diesen Grundlagen finden sich im Energiehandbuch /1/ und in der Literatur /7, 8/. Insgesamt ist anzustreben, dass einerseits eine möglichst hohe 0 0,30 0,45 0,60 0,90 1,20 1 10 100 1.000 10.000 100.000 90 80 70 60 50 40 30 20 Niederdruckschraubenverdichter (SV) Turboverdichter (TV) mit Leiteinrichtungen (LE) Turboverdichter (TV) ohne Leiteinrichtungen (LE) Drehkolbengebläse (DKG) erreichbares Optimum des Gesamtsystems (2022) Luftmenge [Nm3/h] Spez. Leistung [W/(Nm3/h x bar)] Druck [bar] Berechnungsgrundlage: ca. 550 mbar Druckdifferenz DKG min. DKG max. SV min. SV max. TV o. LE min. TV o. LE max. TV m. LE min. TV m. LE max. Bild 2 Effizienz bei der Drucklufterzeugung (Stand 2017) Quelle: /1/ modifiziert www.huber.de info@huber.de HUBER WEBINAR Entdecken Sie unsere Webinare: huber.de/webinar HUBER ‒ Seit Jahrzehnten bewährte, energieeffiziente Maschinen und Lösungen Mechanische Vorreinigung: ROTAMAT®-Maschinen Kombination von Rechengutentfernung und -entwässerung in einem Aggregat Mechanische Schlammbehandlung: S-DISC /Q-PRESS® Optimale Eindickungs- bzw. Entwässerungsleistung bei minimalem Energieverbrauch Thermische Schlammbehandlung: SOLSTICE® Solare und regenerative Klärschlammtrocknung Auch für Ihren Anwendungsfall bieten wir die energieeffizienteste Lösung bei optimierten Life Cycle Kosten.

14 www.umweltwirtschaft.com Energiewende in der Wasserwirtschaft Prozess- und Betriebssicherheit und auf der anderen Seite ein niedriger Energieverbrauch erreicht wird. Wo im Einzelfall die Schwerpunkte zu setzen sind, ergibt sich aus der individuellen Aufgabenstellung. Auf die energetische Effizienz muss grundsätzlich umso mehr geachtet werden, je länger die Pumpe dauernd in Betrieb ist. Bei einem Hochwasserpumpwerk, das nur ein- bis zweimal pro Jahr anspringt, ist die Effizienz sicherlich zweitrangig; hier steht ganz klar die Betriebssicherheit im Vordergrund. Dagegen ist bei dauernd laufenden Zulaufpumpwerken, Rücklaufschlamm- und Rezirkulationspumpen sowie Umwälzpumpen im Bereich der Schlammbehandlung ein sparsamer Umgang mit der Energie in jedem Fall angezeigt. Als Kennwert für die Effizienz eignet sich auch hier die spezifische Leistung. Der theoretische Energieverbrauch für das Pumpen von 2,7 Wh(m³ m) ergibt sich aus den physikalischen Grundgleichungen. In der Praxis findet man leider noch Werte im Bereich bis zu 40 W/(m³ m). Als Maßstab für die Effizienz im Abwasserbereich sollten heute folgende Werte gelten: • gut: 4–5 W/(m3/h m), • üblich: 5–7 W/(m3/h m), • erhöht: > 8 W/(m3/h m). Die größten Fehler werden immer noch bei der Auslegung von Pumpen gemacht. Das gilt nicht nur für die energetische Effizienz, sondern auch für die Zuverlässigkeit, das Betriebsverhalten und den Verschleiß. Eine Pumpe läuft insgesamt gut in einem engen Bereich von 10–20 % um den Auslegungspunkt. Bei größeren Abweichungen kommt es zu den bekannten Schadensbildern (Bild 3). Eine ausreichende Reserve sollte nicht bei einer einzelnen Pumpe, sondern muss bei der Staffelung der Pumpengruppe berücksichtigt werden. . Energieeffizienz beim Umwälzen Im Bereich der Belebung muss das Belebtschlamm-Abwasser-Gemisch ständig umgewälzt werden, um ein Absetzen des belebten Schlamms zu verhindern. Bei den belüfteten Becken ist durch den Lufteintrag eine hinreichende Durchmischung gewährleistet. In den unbelüfteten Becken kommen spezielle Umwälzaggregate zum Einsatz. Weiterhin muss der Schlamm in den Faulbehältern umgewälzt werden. Nach der Wasserbewegungsrichtung unterscheidet man Horizontal- und Vertikalrührwerke. Bei der Bauform gibt es Varianten hinsichtlich der Drehzahl (langsam laufend, mittelschnell und schnell laufend) und der Zahl der Flügel des Laufrades. Die überwiegende Anzahl ist zweiflügelig aufgebaut; seltener kommen dreiflügelige Aggregate zum Einsatz. Die Auslegung wurde lange Zeit allein nach dem Energieeintrag vorgenommen. Im Arbeitsblatt A 131 wurde noch Anfang der 1990er-Jahre ein Wert von 3–8 W/m³ vorgegeben. Dieser wurde später auf 1,5–3 W/m³ reduziert. An dieser Angabe orientiert sich die Auslegung auch heute noch. Der Energieeintrag ist jedoch nicht die entscheidende Auslegungsgröße, viel wichtiger ist der Propellerschub /9/. Wesentliche Voraussetzungen für den energieeffizienten Betrieb sind die Anordnung im Becken und die Berücksichtigung der betrieblichen Randbedingungen (Belüftung, Schlammindex etc.). Eine Strömungssimulation zur Absicherung der Auslegung ist zu empfehlen, wenn ein Becken neu bestückt oder angepasst werden muss. Gute Effizienzwerte liegen bei großen Becken durchaus im Bereich von 0,8–1,5 W/ m³. In kleinen Becken lassen sich solche Werte aufgrund der Mindestgröße von Rührwerken im Dauerbetrieb nicht erreichen. Dann kann aber auf einen zeitlich getakteten Betrieb umgestellt werden. Faulbehälter wurden bisher mit außenliegenden Pumpen oder mit innenliegenden Mischern umgewälzt. Eine Gaseinpressung ist nur noch in wenigen Fällen im Einsatz. Mit diesen Systemen werden spezifische Leistungen im Bereich von 3–6 W/m³ erreicht. Eine betriebliche und energetische Verbesserung ist von einem Umwälzsystem in der Bauart und Funktionsweise einer Mammutpumpe zu erwarten, die mit einem Gasverdichter gespeist wird. Damit sind Werte um 1 W/ m³ /10/ zu erzielen. Das ist eine deutliche Steigerung der Effizienz bei weitestgehender Unempfindlichkeit gegen Verzopfungen, die bei konventionellen Mischern immer wieder zu Schäden und Problemen führen. Zusammenfassung und Ausblick Vor mehr als 15 Jahren haben die in der Gesellschaft für Energietechnik im VDI organisierten Fachleute ein Leitbild für die nationalen Energieziele entworfen /11/. Es wird durch die von Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Umweltverträglichkeit aufgespannte Zieltrias (Bild 4) geprägt. Damals wurde die nationale energetische Situation durch Importabhängigkeit, Umweltprobleme und hohe Kosten beschrieben. Für das Jahr 2030 setzte man sich zum Ziel, sichere und preiswerte Energie zu liefern, wobei höhere Preise in Kauf genommen wurden. Als Hebel sollte allerdings eine hohe Energieeffizienz dienen. „Was nicht verbraucht wird, muss nicht erzeugt und verteilt werden.“ Dies ist einer der Kernsätze im Abschlussbericht zu dem vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Vorhaben EnEffAH /12/. Verbrauch lässt sich durch die Verbesserung der Effizienz und der Effektivität vermeiden, wozu dann weiter ausgeführt wird: „Technik und Methodik spielen bei der Optimierung des Energieeinsatzes eine wichtige Rolle. Die richtige Wahl der Technik (Effizienz) sowie der richtige Betrieb (Effektivität) bestimmen, wie viel Primär- bzw. Endenergie notwendig ist, um die Bild 3 Abweichendes Betriebsverhalten bei falscher Auslegung Quelle: /1/ modifiziert

15 modernisierungsreport 2022/23 Energieeffizienz in Produktionsprozessen geforderten Energiedienstleistungen (Wärme, Kraft, Licht und Information) bereitzustellen.“ Dieser gesamtheitliche Blick ist sowohl auf der politischen Ebene als auch in der energetischen Fachwelt trotz der sich zuspitzenden Lage nicht zu erkennen. Die Politik ergeht sich wie immer in der Mikrosteuerung in Form von neuen Verordnungen zu Sparmaßnahmen, obwohl hier die Potenziale längst infolge der gestiegenen Energiekosten gehoben sind – zumindest bei Privatpersonen und bei wirtschaftlich denkenden Unternehmen. Fehlender direkter Kostendruck führt allenfalls zu Alibi-Berichten auf Hochglanzpapier. Die energetische Fachwelt setzt nach wie vor ihre Schwerpunkte bei der Energieerzeugung und -bereitstellung, wie aus einem aktuellen Tagungsprogramm zum Norddeutschen Ingenieurtag 2022 hervorgeht. Fazit: Der „Riese Energieeffizienz“ wird in Ruhe gelassen und kann weiterschlafen. Die Abwasserbranche muss im Vergleich mit privatwirtschaftlichen Unternehmen gleicher (energetischer) Größenordnung die benötigte Energie, insbesondere den Strom, ohne jede Vergünstigung am Markt einkaufen. Das hat in den vergangenen Jahren zu einer deutlichen Erhöhung der Strom-Eigenerzeugung aus Klärgas und damit zu einer Dämpfung der Kosten geführt. Hingegen stagniert der Stromverbrauch der deutschen Kläranlagen seit etwa 15 Jahren. Die vorhandenen Einsparpotenziale im Sinne nicht benötigter Energie sind vermutlich umgesetzt, vor allem wenn dazu keine größeren Kosten aufzuwenden waren. Effizienzmaßnahmen werden aber nach wie vor nicht priorisiert, sondern werden allenfalls im Zuge notwendiger Sanierungsmaßnahmen umgesetzt. Eine konsequente und allein durch die Effizienzsteigerung begründete Modernisierungsmaßnahme ist immer noch die Ausnahme. Einem Betriebsleiter wurde deshalb bei einer Tagung sogar „bescheinigt“, er sei übermotiviert. Sofern der schlafende Riese mitgehört hat, muss er sich also nur auf ganz wenigen Kläranlagen Sorgen um seine Nachtruhe machen. Obwohl es nicht an Kenntnissen über die energetischen Zusammenhänge auf Kläranlagen mangelt, stellt sich gleichwohl die Frage, wer sich diese Kenntnisse aneignet, verinnerlicht und im Tagesgeschäft anwendet. Werden die entsprechenden Grundlagen im Rahmen der Aus- und Weiterbildung vermittelt? Eigentlich fehlt dem Betriebspersonal ein „energetisches Koordinatensystem“ für die tägliche Anwendung. Diese Lücke könnte mit Online-Kennzahlen geschlossen werden, die zudem dabei helfen würden, die immer größere Datenflut nicht nur beherrschbar, sondern auch im Sinne der energetischen Optimierung nutzbar zu machen.  Dr.-Ing. Gerhard Seibert-Erling Setacon GmbH g.seibert-erling@setacon.de www.setacon.de Literatur: /1/ Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (Hrsg.) (2017): Energie in Abwasseranlagen, Hand- buch NRW. 2, vollständig überarbeitete Fassung. Unter Mitarbeit von Pinnekamp, J.; Schröder, M.; Bolle, F.-W.; Seibert-Erling, G.; Gramlich, E.; Gredigk-Hoffmann, S. et al., Düsseldorf /2/ Seibert-Erling, G. (2012): Energierecht – Komplexe Fragen mit einfachen Antworten? In: Bd. 1. Energie auf Kläranlagen, S. 5–14, DWA-Landesverband Nord (Hrsg.) /3/ Haberkern, B. (2019): Potenziale der Energieeffizienz auf Kläranlagen – Anspruch undWirklichkeit. DWA-Energietage. Kassel, 10.09.2019 /4/ Kroiss, H. (2010): Bedeutung des Energieverbrauches von Abwasseranlagen. In: ÖWAV, Energiemanage- ment in der Abwasserwirtschaft, Linz, 13.10.2010 /5/ Weizsäcker, Ernst Ulrich von; Lovins, Amory; Lovins, L. Hunter (1997): Faktor vier. Doppelter Wohl- stand – halbierter [Natur]verbrauch; der neue Be- richt an den Club of Rome. Vollständige Taschen- buchausgabe. München: Droemer Knaur (Knaur- Taschenbücher, 77286) [6] Seibert-Erling, G.: Einfluss der Auslegung und Ab- stufung der Gebläse auf die Effizienz der Belüftungs- einrichtung – Belüftung auf Abwasserreinigungsan- lagen. Österreicher Wasser- und Abfallwirtschafts- verband,Wien /7/ Weismann, D. (1999): Kommunale Abwasserpump- werke. Vulkan-Verlag /8/ Holzenberger, K.; Jung, K. (1989): Kreiselpumpen- lexikon. Schneiderdruck GmbH, 3. Auflage /9/ Frauendorf, G.: Tauchmotor-Rührwerke zur wirt- schaftlichen Strömungsbildung in Belebungsanla- gen. In: Korrespondenz Abwasser 47 (11), 2000, S. 1634–1636 /10/ Seibert-Erling, G. (2019): Umwälzsystem für Faulbe- hälter. Funktionsprinzip, Gaseinpressung und ener- getische Bewertung. Frechen /11/ Hülsmann, St.; Köpschall, M.; Neumann, R.; Ohmer, M. (2012): EnEffAH Energieeffizienz in der Produktion im Bereich Antriebs- und Handhabungs- technik. EnEffAH – Projektkonsortium (Hrsg.) /12/ VDI, Mitteilung der GET, online unter www.vdi.de/ fileadmin/vdi_de/redakteur_dateien/get_dateien/ Energiebild.pdf, zuletzt abgerufen am 10.10.2022 /13/ Seibert-Erling, G. (2019): Energiewende verpatzt! –Wie geht es weiter auf den Kläranlagen? In: DWA Landesverband Baden-Württemberg, Landesver- bandstagung 2019 Umwelt- verträglichkeit Versorgungs- sicherheit Wirtschaft- lichkeit Leitbild Energieziele Nachhaltigkeit Langfristigkeit Einsparungen 2005 2030 • Importabhängigkeit • Umweltprobleme • hohe (Förder-)Kosten • sicher und preiswert • hohe Energieeffizient • höhere Preise TA LCA TM Bild 4 Energiebild der GET im VDI (Stand 2003) Quelle: VDI

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