1 6/2022 6 Dezember 2022 Bundespreis Ecodesign Ideen für mehr Kreislauf Das Fachmagaz i n für Kre i s l aufwi r tschaf t P-Recycling Technologien und Projekte Digital – das neue Normal © IMAGO / Panthermedia, Pixabay
2 6/2022
3 6/2022 Editorial Ich freue mich, Ihnen die „neue“ ENTSORGA präsentieren zu können. Mit einem neuen Fokus auf die wichtigen Entwicklungen in der Kreislaufwirtschaft, spannenden Reportagen und mehr exklusiven Artikeln wollen wir Ihnen mit ENTSORGA künftig eine ganzheitliche Perspektive auf zirkuläres Wirtschaften bieten, die Sie so nirgendwo sonst bekommen. Ohne die Details einzelner abfallwirtschaftlicher Prozesse zu vernachlässigen, wollen wir den Blick auf die gesamte Circular Economy ausweiten und verstärkt auch jene Bereiche beleuchten, die bislang eher ein Nischendasein fristeten, aber für eine echte Kreislaufwirtschaft von größter Wichtigkeit sind: Produktdesign, Abfallvermeidung, neue Geschäftsmodelle, Sektorenkopplung, Digitalisierung – um nur einige Schlagworte zu nennen. Wir fangen mit dieser Ausgabe an und werden ENTSORGA in diesem Sinne in den kommenden Monaten konsequent zu einem modernen Magazin für die gesamte Kreislaufwirtschaft weiterentwickeln. Seien Sie gespannt! Ist die CO2-Bepreisung für die Abfallverbrennung sinnvoll oder nicht? Monatelang tobte darüber in der Branche ein heftiger Schlagabtausch. Eine abschließende Bewertung gestaltet sich als äußerst schwierig, denn niemand kann tatsächlich vorhersagen, wie Menschen, Märkte und Unternehmen auf das Instrument reagieren werden. Die Ampelkoalition jedenfalls wollte die Müllverbrenner nicht schonen. Gerade mal ein Jahr Aufschub bis 2024 hat das Dreierbündnis aus SPD, FDP und Grünen den Anlagenbetreibern gewährt. Dabei ist Deutschland mit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine auf heimische Energiequellen angewiesen wie selten zuvor. Das selbe Bundesministerium für Wirtschaft, das eine CO2-Bepreisung für die MVA-Betreiber in den vergangenen Monaten progressiv vorangetrieben hat, will deutlich mehr Abwärme aus der Müllverbrennung in deutschen Fernwärmenetzen. Allein diese Parallelität der Ereignisse zeigt die Zielkonflikte der politischen Steuerung in diesen Tagen und ist daher, aufgeteilt in zwei Artikeln, die Titelgeschichte dieser Ausgabe. Kaum ein anderes Ereignis hat Branche in den vergangenen Wochen und Monaten mehr durcheinandergewirbelt als der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Kläranlagenbetreibern fehlen die für die Abwasserreinigung notwendigen Rohstoffe, weil die Industrie wichtige Grundstoffe nicht mehr liefern kann. Und auch das E-Schrott- und das Phosphorrecycling erhält mit dem Krieg in der Ukraine eine zusätzliche strategische Komponente. Plötzlich geht es nicht mehr „nur“ um Recycling. Nein, plötzlich geht es um unsere Freiheit, um unser Selbstverständnis, unsere Art zu leben – und um unsere Erpressbarkeit. Es geht ums Ganze. Viel Spaß beim Lesen wünscht Ihnen Pascal Hugo Die „neue“ ENTSORGA ist da! privat Pascal Hugo Redaktionelle Leitung
4 6/2022 Titel 12 Das BEHG kommt. Und nun? Die Schlacht ist vorbei. Der CO2-Preis für die Müllverbrennung kommt ab 2024. Was bedeutet das nun für Stoffströme und Anlagenbetreiber? 15 Mit Müllfeuer gegen Eiseskälte Gaskrise und Klimaschutz machen eine Transformation des Wärmemarktes dringend erforderlich. Nach dem Willen des BMWK sollen MVA-Betreiber mehr Fernwärme liefern. Abfallwirtschaft 19 Bulgariens langer Weg zur Kreislaufwirtschaft Bulgarien ist nicht nur das ärmste Land in der EU, es ist auch das Schlusslicht in der Kreislaufwirtschaft. Doch es tut sich was. 23 „Das Rad muss nicht neu erfunden werden“ Im Interview spricht der CEO von Aurubis Bulgaria, Tim Kurth, unter anderem darüber, was Bulgarien tun muss, um den Rückstand bei der Kreislaufwirtschaft aufzuholen. 24 Goldrausch und Freiheitsdrang Die EU ist abhängig von Rohstoffen einiger weniger Lieferanten. Neue Ansätze beim E-Schrott-Recycling könnten helfen. 26 Weniger ist mehr Klimawandel, Energieverknappung und der Ukraine-Krieg – allzu viele Baustellen beschäftigen Politik und Wissenschaft. Was fehlt, ist ein neuer Denkansatz, so Martin Faulstich. 29 Ideen für mehr Kreislauf Beim diesjährigen Bundespreis Ecodesign wurden zahlreiche Ideen prämiert, die Ressourcen schonen und Abfall vermeiden. Wir stellen die Preisträger und interessante Projekte vor. 36 Einfach NochMall kaufen Es muss nicht immer neu sein. Das dachte sich auch die Berliner BSR und eröffnete vor zwei Jahren in Reinickendorf ein Gebrauchtwarenkaufhaus der anderen Art. Wir waren zu Besuch und haben uns umgesehen. 38 Mit lokaler Kreislaufwirtschaft gegen Fast-Fashion-Müll Afrika wird überschwemmt mit Textilabfällen. Ein lokales Startup will mit lokaler Kreislaufwirtschaft zeigen, dass es Alternativen zu Fast Fashion und „Mitumba“ gibt. 40 „Afrika ist für europäische Recycler eine riesige Chance“ Im Interview spricht der frühere CEO der Welthungerhilfe, Till Wahnbaeck, über Mitumba und die Chancen europäischer Recycler in Afrika. 42 Bereit für den Extruder Der Maschinen- und Anlagenbauer Vecoplan hat auf der diesjährigen K-Messe gezeigt, wie Recycler bei der Aufbereitung von Kunststoffen Wasser und Energie sparen können. 44 30 Jahre Produktion in Sachsen-Anhalt Im Oktober hatte Doppstadt 30-jähriges Jubiläum seines Standortes in Calbe. Special Digitalisierung 45 Den Megatrend schrittweise umsetzen Auch die deutsche Wasserwirtschaft leidet, wie andere Ver- und Entsorgungsbereiche, unter Defiziten bei der Digitali- sierung. Inhalt Quo Vadis, Müllverbrennung? Das BEHG belastet die Müllverbrennung ab dem Jahr 2024 deutlich. Gleichzeitig sollen die Anlagenbetreiber nach dem Willen der Bundesregierung mehr Wärme liefern. (Bild: imago images/Ikon Images) 12
5 6/2022 49 Digitales Abfallmanagement ist ein Plus in der Kasse Jedes Unternehmen trägt die Verantwortung für die in den Produktionsprozessen entstehenden Abfälle. Ein digitales Abfallmanagement bietet viele Vorteile. 52 Die Angst zu teilen Tilmann Kemper über die Notwendigkeit, für eine bessere Kreislaufwirtschaft Daten zu erheben – und die Angst der Branchenakteure, diese zu teilen. 54 Wo ein Wille ist, fehlt noch der Weg Der digitale Zwilling ist das Ebenbild von Behandlungs- oder Verwertungsanlagen in der Unternehmens-IT. Doch die Abfallwirtschaft hinkt beim Digitalen Zwilling noch hinterher. 58 Prävention hat Potenziale - Fehlerquelle Personal Nicht selten sitzt die Fehlerquelle vor dem Bildschirm. Wie sich Unternehmen schützen können. 61 Fünf Schritte in den Abgrund Digitale Transformation führt zu fundamentalen Veränderungen in der Unternehmenswelt. Diese hat nicht nur Auswirkungen auf die Technik. Welche Denkmuster ein Projekt scheitern lassen können. Abwasser 64 Sauberes Wasser für Europa Die Kommission hat strengere Vorschriften für Luft, Oberflächen- und Grundwasserschadstoffe sowie für die Behandlung von kommunalem Abwasser vorgeschlagen. 66 Rohstoffengpass gefährdet Umweltschutz Die Rohstoffknappheit macht der Umweltwirtschaft zu schaffen. Den Kläranlagenbetreibern fehlen Fällmittel. Inhalt An den Traditionen nagt die Zahl der Zeit Die Digitalisierung in Deutschland ist eine gemächliche Angelegenheit. Die Behörden machen vor, was auch die Privatwirtschaft weitgehend verschläft. Dabei verbinden sich mit einer digitalisierten Administration und Produktion eine Vielzahl von Vorteilen. Foto: IMAGO / Alexander Limbach 45 69 Planlos beim P-Recycling Die Kläranlagenbetreiber in Deutschland wissen mehrheitlich noch nicht, wie sie die Vorgabe der Klärschlammverordnung zur Phosphorrückgewinnung umsetzen sollen. 71 Es kommt drauf an Welches Verfahren zur Phosphorrückgewinnung ist das Beste? Die Frage ist leichter gestellt als beantwortet. 77 Dem Mikro-Virus auf der Spur Bei der Abwasser-basierten Epidemiologie (kurz: ABE) handelt es sich um ein bislang weit unterschätztes Werkzeug zur Früherkennung von Infektionskrankheiten. Industrie und Management 79 Facelifting für bessere Energieeffizienz Der Pumpenhersteller Netzsch hat seine Drehkolbenpumpe Tornado T1 deutlich verbessert. 80 Fachkräftemangel nur mit neuen Methoden zu lösen Zwei Personalberater aus der Branche erläutern, was Unternehmen im Wettrennen um die besten Köpfe jetzt tun sollten. Rubriken 03 Editorial 06 Personen und Nachrichten 82 Zu guter Letzt/Impressum Planlos beim P-Recycling Viele Kommunen wissen nicht, wie sie die Vorgaben der Klärschlammverordnung zur Phosphorrückgewinnung umsetzen sollen. Wir stellen einige Technologien und Projekte vor. (Foto: DPP) 69
6 6/2022 Zur Person Ulf Kämpfer ist neuer neuer Präsident des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU). Der Vorstand des VKU hat den Kieler Oberbürgermeister einstimmig gewählt. Kämpfer folgt dem Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling, der mit seiner Ernennung zum Innenminister Rheinland-Pfalz aus dem Amt ausgeschieden ist. Kämpfer ist für vier Jahre gewählt. „Mit Ulf Kämpfer haben wir eine starke Persönlichkeit als neuen Präsidenten gewinnen können, der schon seit langem zur kommunalen Familie gehört und mit kommunalen Angelegenheiten exzellent vertraut ist“, sagte VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing. Als Mitglied im Präsidium des Deutschen Städtetages, Oberbürgermeister der Stadt Kiel und dank seiner langjährigen Erfahrung als früherer Staatssekretär im schleswig-holsteinischen Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume sei Kämpfer politisch breit vernetzt und kenne zudem die verschiedenen politischen Akteure und Ebenen bestens, so Liebing weiter. Marc Lehmann ist seit dem 1. Oktober der neue Landesgeschäftsführer Niedersachsen/Bremen im VKU. Die Neubesetzung der Position erfolge aufgrund des altersbedingten Ausscheidens des bisherigen Landesgeschäftsführers Reinhold Kassing. Kassing wird nach einer Übergangszeit Ende November in den Ruhestand gehen. Lahmann ist Volljurist. Bislang war Lehmann stellvertretender Referatsleiter im Niedersächsischen Wirtschaftsministerium. Zuvor war er von 2013 bis 2021 Bürgermeister in der Stadt Barsinghausen und war in unterschiedlichen Funktionen in der kommunalen Wirtschaft tätig. Dazu ist er seit Jahren im niedersächsischen Städtetag sowie in der Kommunalpolitischen Vereinigung Niedersachsen aktiv. Katleen Vandeweyer ist seit dem 1. Dezember 2022 Non-Executive Director im Verwaltungsrat des Entsorgers Renewi. Sie hat unter anderem den Vorsitz des Prüfungsausschusses übernommen, teilte das Unternehmen mit. Zuvor war Vandeweyer als Non-Executive Director im Verwaltungsrat des Finanzdienstleisters Ageas und des Versicherers AG Insurance tätig. Bis Juli 2022 war Vandeweyer die stellvertretende Finanzchefin des börsennotierten belgischen Digitalunternehmens Proximus PLC. Vor ihrer Tätigkeit bei Proximus war sie in verschiedenen Führungspositionen tätig, unter anderem als CFO beim digitalen Zahlungsdienstleister Worldline S.A. und der in Folge des Enron-Skandals aufgelösten Prüfungsgesellschaft Arthur Andersen. Katleen Vandeweyer tritt die Nachfolge von Marina Wyatt an, die zum Ende der Hauptversammlung im Juli nach neunjähriger Amtszeit aus dem Verwaltungsrat ausgeschieden ist. Alexander Wagner ist seit dem 1. November neuer Geschäftsführer von Infraserv Höchst. Er lenkt als Nachfolger von Jürgen Vormann in Zukunft gemeinsam mit Joachim Kreysing die Geschicke der Betreibergesellschaft des Industrieparks Kiels Oberbürgermeister und VKU-Präsident Dr. Ulf Kämpfer. (Foto: VKU) Höchst, teilte das Unternehmen mit. Jürgen Vormann hatte im Frühjahr angekündigt, das Unternehmen auf eigenen Wunsch zu verlassen, und scheidet zum Jahresende nach 18 Jahren an der Spitze von Infraserv Höchst aus dem Unternehmen aus. Wagner war zuletzt fünf Jahre lang Mitglied der Geschäftsführung des Chemiepark-Betreibers Currenta in Leverkusen. In dieser Funktion verantwortete er den Angaben zufolge die Bereiche Produktion und Technik, Laboranalytik-Dienstleistungen, Einkauf, Kommunikation sowie das Ausbildungswesen. Neben dem Personalwesen gehörten auch die für Logistik und Instandhaltung zuständigen Tochtergesellschaften zu seinem Aufgabenbereich. Begonnen hatte der gebürtige Braunschweiger seine berufliche Laufbahn im Jahre 2000 bei Bayer als Technischer Leiter einer Produktionsanlage für organische Zwischenprodukte. 2006 wurde er bei Saltigo Einkaufsleiter für Technik und Services. Als Leiter Technology Aromatic Network war Wagner ab 2010 bei Lanxess tätig, wo er von 2013 an das globale Geschäft für Benzylprodukte und anorganische Säuren mit Produktionsstandorten im In- und Ausland verantwortete, ehe er 2015 in die Geschäftsführung der Currenta berufen wurde. Ämter und Posten Alexander Wagner ist seit dem 1. November neuer Infraserv-Geschäftsführer. (Foto: Maik Reuß / Infraserv)
7 6/2022 Die ganze Branche trauert Carsten Spohn ist gestorben eine Reststoffdeponie beinhaltet, betrieb er das AEZ - bis er schließlich die Geschäftsführung der ITAD übernahm. In dieser Funktion war er auch Vizepräsident und Mitglied mehrerer Arbeitsgruppen der CEWEP, des europäischen Dachverbandes der Betreiber von Abfallverbrennungsanlagen sowie Vorsitzender der CEWEP-Arbeitsgruppe „Rückstände“. Auf europäischer Ebene war er zudem Mitglied der EIPPCB-Technical Working Group für die Fortschreibung der BVT-Merkblätter-Abfallverbrennung und Abfallbehandlung. Auf deutscher Ebene engagierte sich Spohn unter anderem als Mitglied in der VDI-Arbeitsgruppe zur Richtlinie 3460 – „Emissionsminderung - Thermische Abfallbehandlung“ sowie in der nationalen Expertengruppe zum KAS 25-Leitfaden, mit dem die Seveso-III-Richtlinie für den Abfallsektor umgesetzt wird. Außerdem leitete er mehrere Jahre die Arbeitsgruppe Reststoffe der ITAD. International arbeitete Carsten Spohn im Bereich Abfallwirtschaft unter anderem im Auftrag des Bundesumweltministeriums, des Umweltbundesamtes und der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ). Schon dieses Spektrum zeigt sein großes Engagement für die Branche. Mit Carsten Spohn ist ein lebensfroher, humoriger, begeisternder, sympathischer, streitbarer und zugleich unbestrittener Experte im Bereich der Abfallentsorgung plötzlich und unerwartet gestorben. Mein Beileid – und das der gesamten DFV-Mediengruppe – gilt seiner Familie, seinen Freunden, den Mitarbeitenden der ITAD und allen, die ihn kannten und schätzten. Wir werden ihn vermissen. Pascal Hugo Zur Person 1 Carsten Spohn begleitete mich nahezu mein gesamtes bisheriges Berufsleben. 2008 fing ich als Volontär bei EUWID an und hatte mit meinem dortigen Schwerpunkt, der thermischen Abfallbehandlung, regelmäßig mit ihm zu tun. Er selbst war erst kurze Zeit vorher, im Jahr 2007, Geschäftsführer der ITAD geworden und repräsentierte seitdem praktisch alle klassischen Verbrennungsanlagen für Siedlungsabfälle in Deutschland. Oft habe ich mich mit ihm über Abfallentsorgung allgemein und die Müllverbrennung im Besonderen unterhalten. Journalisten waren ihm nie ganz geheuer, jedenfalls konnte man als Pressevertreter schnell diesen Eindruck gewinnen. Doch wenn er in seinem Element war – der Müllverbrennung, der Anlagentechnik, dem Umweltschutz – dann sprudelte es nur so aus ihm heraus und er konnte einem jungen Volontär so begeistert davon erzählen, wie ein kleiner Junge von seinem neuesten Lego-Set. Zugegeben: Damals habe ich oft nicht einmal die Hälfte von dem verstanden, was er mir erzählte. Dafür bin ich zu wenig Techniker. Doch ich habe gelernt und es hat Spaß gemacht, ihm zuzuhören. Denn diese Begeisterung hatte etwas Ehrliches – etwas, das man heute im politischen Raum, in dem sich Carsten Spohn in seinen Jahren als ITAD-Geschäftsführer bewegte, nur selten findet. Leider. Bereits vor seiner Position als ITAD-Geschäftsführer hatte Carsten Spohn sich einen Namen in der Branche gemacht. 1995 – als Ingenieur frisch von der Firma Solvay kommend – verantwortete er als Projektleiter die Planung, den Bau und die Inbetriebnahme des Abfallentsorgungszentrums (AEZ) Asdonkshof. Nach Fertigstellung des Zentrums, das neben einer Müllverbrennungsanlage auch eine Sortieranlage, ein Kompostwerk, eine Schlackenaufbereitungsanlage und Carsten Spohn Foto: ITAD Die Nachricht traf alle in der Branche wie ein Schlag: Carsten Spohn ist gestorben - plötzlich, unerwartet und so furchtbar früh wurde er aus dem Leben gerissen. Mit gerade einmal 53 Jahren. Es gibt wohl kaum etwas, das wir als so unfair und schwer zu ertragen erleben.
8 6/2022 Nachrichten Standpunkt Rezyklateinsatz- quoten bei Lebensmittelverpackungen sind kontraproduktiv Rezyklateinsatzquoten sollen die Nachfrage nach Rezyklaten stärken. Bei Lebensmittelverpackungen wirken sie allerdings kontraproduktiv, argumentieren Thomas Probst und Dirk Textor vom bvse. Ein Standpunkt von Dr. habil. Thomas Probst, Fachreferent Kunststoffrecycling beim bvse Dr. Dirk Textor, Vorsitzender FV-Vorstand Kunststoffrecycling beim bvse. Aufgrund seines geringen Energieverbrauchs ist das werkstoffliche Recycling die effizienteste Methode der Kreislaufführung für gebrauchte Kunststoffverpackungen. Neue gesetzgeberische Maßnahmen haben das Ziel, dies zu unterstützen. Die Einführung von Mindesteinsatzquoten für PE-, PP- und PS-Rezyklate im Lebensmittelkontakt lehnen wir jedoch ab. Bisher werden keine PE-, PP- und PS-Rezyklate aus offenen Sammelsystemen (z. B. gelber Sack) für Verpackungen mit Lebensmittelkontakt verwendet – und das aus gutem Grund. Rezyklate für Non-Food Verpackungen verwenden Selbst wenn die regulatorischen Bedingungen der EFSA – European Food Safety Authority durch sehr (energie-)intensives Sortieren unter Verwendung von digitalen Markern erfüllt würden, ist deren Einsatz im Rahmen der notwendigen Risikoabschätzung nicht empfehlenswert. Erfahrungsgemäß führen Druckfarben, das Füllgut und die im offenen Sammelsystem stattfindenden Querverschmutzungen mit anderen Verpackungen zu kritischen Kontaminationen der Rezyklate durch Migrationen. Wir plädieren deshalb dafür, diese Rezyklate für NonFood Verpackungsarten zu verwenden, denn auch so kann das Ziel der Vermeidung von Kohlenstoffemissionen gemäß LCA – Life Cycle Analysis erreicht werden. Entscheidend ist schließlich, dass die Rezyklate Neukunststoffe ersetzen. Dafür gibt es mehr als genügend Möglichkeiten: So können beispielsweise Non-Food Verpackungen aus den Bereichen Personal Care und Home Care, Anwendungen in der Bauindustrie, im Fahrzeugbau oder für Elektro-, Haushalts-, Baumarktprodukte, Möbel und Logistikanwendungen große Mengen an Rezyklaten ökologisch vorteilhaft aufnehmen und Neuware ersetzen. Das hätte auch den Vorteil, dass die vorhandenen Kunststoffabfälle aus offenen Sammelsystemen nicht energieaufwändigen, chemischen Aufbereitungsverfahren zugeführt werden müssten. Es kann ja nicht darum gehen, unbedingt Rezyklate für Verpackungen mit Lebensmittelkontakt einzusetzen, sondern es muss darum gehen, aus den vorhandenen Kunststoffabfällen so viel einsatzfähiges Rezyklat wie möglich herzustellen, mit dem Neuware ersetzt werden kann. Sollten die Non-Food Anwendungen für die Aufnahme von Rezyklaten nicht ausreichen, so können Alternativen, wie beispielsweise Bauteile für den Hochbau und Tiefbau, ökologisch vorteilhaft genutzt werden. Gerade im Bausektor finden Kunststoffbauteile (Rohre, Leitungen, Isoliermaterial, Foto: IMAGO / YAY Images
9 6/2022 Nachrichten Chemisches Recycling Für den bvse Greenwashing Immer mehr Unternehmenspartnerschaften aus dualen Systemen, Chemieunternehmen und Verpackungs- oder Lebensmittelkonzernen melden einen Durchbruch beim chemischen Recycling. Auf deutliche Kritik stößt diese Darstellung jedoch beim bvse-Fachverband Kunststoffrecycling. Er spricht von Greenwashing. Bei diesen Pressemitteilungen werde die Materialausbeute bei der chemischen Behandlung der Abfälle – meist Pyrolyse-Verfahren – nicht quantifiziert, bemängelt der bvse. Zudem werde auch nicht mitgeteilt, wie hoch der Anteil des Pyrolyseöls anschließend bei der Herstellung der neuen Verpackungen und Produkte überhaupt ist. Viele Fraktionen überhaupt nicht geeignet Das würde auch das positiv gemalte Bild deutlich trüben, mutmaßt der Verband, weil der Pyrolyse-Prozess nicht nur äußerst energieaufwändig ist, sondern auch die Prozessverluste enorm hoch sind. Am Ende erhalte man zwar Pyrolyseöl, aus dem dann, wenn es denn tatsächlich dafür geeignet ist, in weiteren Verfahrensschritten und nur zu einem geringen Anteil auch Polyethylen und Polypropylen zurückgewonnen werden kann. „Hier von einem Closed-Loop-Verfahren zu sprechen, ist nichts anderes als Schönfärberei oder neudeutsch Greenwashing“, sagte der Vorsitzende des bvse-Fachverbandes Kunststoffrecycling, Dirk Textor. Es werde auch nicht deutlich gemacht, dass Sortierreste, Shredderleichtfraktionen oder Rejects aus dem Recycling für die chemische Aufbereitung im Grunde überhaupt nicht geeignet sind. Kunststoffe mit Sauerstoff, Stickstoff oder Chlor, wie PET, PA, PC, PVC und PU, sind für dieses Verfahren ebenfalls kein einsetzbares Input-Material. „Im Grunde bleiben nur die Polyolefine und genau die eignen sich hervorragend für das werkstoffliche Recycling“, so Textor weiter. Thomas Probst vom bvse bemängelt zudem, dass weder die Verfahrenskosten noch der Energieaufwand und schon gar nicht der CO2-Ausstoß des Pyrolyseverfahrens thematisiert werde. Probst: „Wir sind offen für neue Verfahren, aber es wäre jetzt wirklich einmal an der Zeit, dass die Fakten auf den Tisch kommen, damit objektiv geklärt werden kann, wo wir verfahrenstechnisch stehen und ob wir es hier wirklich mit einem ökologischen Projekt der Kreislaufwirtschaft zu tun haben.“ „Solange das nicht geschieht“, ergänzte Textor abschließend, „muss man davon ausgehen, dass es in erster Linie darum geht, die Bemühungen für effizientes Design for Recycling zu konterkarieren.“ Paneele, Paletten, Rasengitter) zunehmend ihren Einsatz. Stärkung des chemischen Recyclings zulasten mittelständischer Strukturen Die chemischen Aufbereitungsverfahren sind momentan allesamt nicht industrietauglich und in jedem Falle deutlich energieaufwändiger als die werkstofflichen Recyclingverfahren. Es gibt also keinen Grund, die chemischen Verfahren quasi durch staatliche Regelungen amMarkt vorbei zu protegieren. Die mittelständischen Strukturen im werkstofflichen Recycling würden geschwächt zugunsten der chemischen Industrie. Da das chemische Recycling überwiegend durch die kunststoffherstellende Industrie stattfindet, schwindet auch der intrinsische Wettbewerb zwischen Neukunststoff- und Rezyklatproduktion. In der Konsequenz wird die dominierende Stellung der kunststoffherstellenden Industrie auf das Recycling ausgeweitet. Beim PET werden heute vor allem transparente Getränkeflaschen im industriellen Maßstab recycelt. Die bei einer Substitution von Verpackungen aus PE, PP oder PS anfallenden PET-Schalen, PET-Becher oder opaken PET-Flaschen erweisen sich als kaum recyclingfähig. [1][2] Zur Erfüllung der Mindesteinsatzquote bei allen Lebensmittelverpackungen müssten also Flaschenrezyklate genutzt werden, die jedoch schon dringend für den geschlossenen Flaschenkreislauf benötigt werden. Schon jetzt stehen nicht genügend PET-Flaschen zur Verfügung für das bottle-to-bottle-Recycling. Darüber hinaus würde sich durch Ausweiten des Einsatzes von PET-Lebensmittelverpackungen die Rezyklierbarkeit der verbleibenden Sammelgemische (LVP aus dem gelben Sack oder der gelben Tonne) deutlich verschlechtern. Des Weiteren wären die Sammelmengen von PE, PP oder PS stark rückläufig. Im Sinne einer Förderung niedriger Energieverbräuche und niedriger Kohlenstoffemissionen und im Sinne der Förderung des Wettbewerbs im Kunststoffrecycling ist also jede Mindesteinsatzquote von PE-, PP- oder PS-Rezyklaten für den Lebensmittelkontakt zu vermeiden. [1] Mindeststandard für die Bemessung der Recyclingfähigkeit von systembeteiligungspflichtigen Verpackungen gemäß §21 Abs. 3 VerpackG“, Zentrale Stelle Verpackungsregister, Aug. 2022 [2] How circular is PET?”, Eunomia, Feb. 2022
10 6/2022 Nachrichten Stühlerücken bei OMV Der Aufsichtsrat des Petrochemie-Konzerns OMV hat Daniela Vlad zum neuen Vorstandsmitglied für Chemicals & Materials bestellt. Vlad wird ihre Funktion am 1. Februar 2023 für einen Zeitraum von drei Jahren antreten, mit einer Verlängerungsoption für weitere zwei Jahre im gegenseitigen Einvernehmen. Daniela Vlad ist derzeit Geschäftsführerin des Industrial Coating Geschäfts beim niederländischen Farben- und Lackhersteller AkzoNobel. Bevor Daniela Vlad 2009 ihre Laufbahn bei AkzoNobel begann, hatte sie verschiedene Führungspositionen bei Shell und Phillips inne. OMV-Chef Alfred Stern wird bis zum Antritt von Daniela Vlad als Vorstandsmitglied wie bisher für das Chemiegeschäft verantwortlich sein. „Chemicals & Materials spielen eine Schlüsselrolle bei der Energiewende und der zukünftigen Entwicklung des Unternehmens“, sagte OMV-Aufsichtsratsvorsitzender Mark Garrett. „Ich freue mich, dass es uns gelungen ist, Daniela Vlad als Vorstandsmitglied an Bord zu holen. Sie ist eine Managerin mit langjähriger internationaler Erfahrung im Chemiegeschäft und in der Leitung strategischer Transformationen.“ Vlad vereine Chemie- und Finanz-Know-how sowie Erfahrungen im Bereich nachhaltiger technischer Lösungen, die für ein profitables Wachstum mit Fokus auf Nachhaltigkeit und Innovation unerlässlich sind, so Garret weiter. DarüberhinaushatderAufsichtsrat von OMV hat beschlossen, dass Martijn van Koten zusätzlich zu seinen Refining-Agenden ab 1. November die Verantwortung für den Bereich Marketing & Trading übernehmen wird. Zugleich wurde van Koten zum Vorstandsmitglied für den neuen Bereich Fuels & Feedstock ernannt, in dem ab 1. Januar 2023 die Bereiche Refining sowie Marketing & Trading zusammengeführt werden. Elena Skvortsova, derzeit Vorstandsmitglied für den Bereich Marketing & Trading, wird mit 31. Oktober 2022 einvernehmlich aus dem OMV-Vorstand ausscheiden. „Die Raffinerien spielen in der Energiewende und der Transformation des Unternehmens eine zentrale Rolle. Der Fokus der Raffinerien wird zunehmend auf der Produktion von nachhaltigen Treibstoffen und Rohstoffen für die chemische Industrie sowie auf der Kreislaufwirtschaft liegen“, sagte Garrett. Daniela Vlad (Foto: OMV / Asha Gaalman Fotografie) Martijn van Koten (Foto: OMV) MVV Georg Müller ist wieder da Nach einem mehrmonatigen, gesundheitlich bedingten Ruhen seiner Tätigkeit sowie einer klinischen Behandlung hat Georg Müller seine Aufgaben als Vorstandsvorsitzender des Mannheimer Energieversorgers MVV zum 1. Oktober wieder aufgenommen. „Der Aufsichtsrat und ich persönlich freuen uns sehr über die gelungene Genesung und die Rückkehr von Herrn Dr. Müller“, erklärte der Aufsichtsratsvorsitzende und Mannheimer Oberbürgermeister Peter Kurz. Er würdigte zudem im Namen des gesamten Aufsichtsrats den Einsatz der vier weiteren Vorstandsmitglieder, die zusätzliche Verantwortungen übernommen hatten. Diese Monate waren neben der weiteren Umsetzung der MVV-Strategie vor allem von den Auswirkungen des Ukraine-Kriegs geprägt. „Ich danke dabei insbesondere Herrn Dr. Roll, der in dieser ereignisreichen Zeit die Arbeit des Vorstandsteams hervorragend koordiniert und geleitet hat sowie Frau Daniela Kirchner, die als stellvertretendes Mitglied des Vorstands für diese Übergangszeit die kaufmännischen Bereiche des Hauses verantwortet hat“, sagte Kurz. Daniela Kirchner ist zum 30.09.2022 wie geplant aus dem Vorstand ausgeschieden und führt nun ihre frühere Tätigkeit als Leiterin des Bereichs Rechnungswesen und Steuern der MVV Energie AG fort. Dr. Georg Müller lenkt wieder die Geschicke der MVV (Foto: MVV)
11 6/2022
12 6/2022 Abfallwirtschaft Es ist der 20. Oktober; der Tag, an dem die Abgeordneten des Deutschen Bundestages über die Novelle des Brennstoffemissionshandelsgesetzes (BEHG) zu entscheiden haben. Dem vorausgegangen war eine Lobbyschlacht, wie sie die Entsorgungswirtschaft in den vergangenen Jahren nur selten geführt hat. Und am Ende war – so muss man es sagen – wirklich alles gesagt und das auch nahezu von jedem. Im Prinzip gab und gibt es in der Branche nur Befürworter und Gegner einer Einbeziehung der Müllverbrennung in das BEHG. Schwarz oder weiß, keine Grautöne, kein vielleicht. Die Befürworter, darunter an vorderster Front der Verband der mittelständischen Entsorger bvse und die Berliner Alba-Gruppe, argumentierten mit mehr Recycling, Abfallvermeidung und fairem Wettbewerb. Die andere Seite – der VKU, die ITAD und auch der BDE – warnten vor höheren Entsorgungskosten, steigenden Müllgebühren und deutschem Abfall im Ausland. Dabei hatten viele zunächst gar nicht auf dem Schirm, was da in Berlin und Bonn geplant war. Immerhin zielt das BEHG auf die Inverkehrbringer fossiler Brennstoffe und nicht auf den Emittenten; nicht der Autofahrer oder Heizölkunde soll demnach den CO2-Preis berappen, sondern die – wenigen – Mineralölkonzerne. Das ist verfahrensökonomisch effektiv, weil Otto Normal und Lieschen Müller nicht plötzlich mit CO2-Zertifikaten handeln müssen, wenn sie ihr Auto volltanken. Weil natürlich die Mineralölkonzerne die Kosten auf den Endverbraucher umlegen, steigt der Preis für fossile Kraftstoffe trotzdem – und zwar unabhängig von der Ölpreisentwicklung – kontinuierlich an und der Verbraucher überlegt sich beim nächsten Besuch im Autohaus zweimal, ob er sich angesichts der steigenden Kosten noch einmal ein Auto mit Verbrennungsmotor anschafft. Lenkungswirkung umstritten So weit, so unbestritten. Bei der Müllverbrennung ist es tatsächlich ein wenig komplizierter und die so genannte Lenkungswirkung – eine oft gehörte Vokabel im BEHG-Gesetzgebungsverfahren – war mehr als umstritten. Im besten Fall achtet der Verbraucher bei steigenden Restmüllgebühren darauf, seinen Abfall besser zu trennen. Und vielleicht denkt die eine oder andere Kommune nun doch darüber nach, eine flächendeckende Biotonne einzuführen, um sich die lokalpolitische Debatte über Gebührenerhöhungen zu ersparen. Vielleicht. Lisa Badum konnte sich ihren ironischen Unterton nicht verkneifen. Vor einem Exodus an Müllmengen hätten die Lobbyisten gewarnt, sollte der CO2-Preis kommen, sagte die Abgeordnete der Grünen im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes. Das sei natürlich überhaupt nicht so, wischte sie den oft geäußerten Einwand der Interessenvertreter bei Seite. Die Argumente habe man schon oft gehört – und die Ampel-Regierung mache da nicht mit: „Es ist gut, dass wir dem Schauspiel nicht ein weiteres Mal zusehen müssen.“ Das BEHG kommt Und nun? Das BEHG kommt 2024. Doch was folgt daraus? Welche Lenkungseffekte entstehen wirklich? Und wie teuer wird es überhaupt? (Bild: IMAGO /Ikon Images)
13 6/2022 Abfallwirtschaft In der Tat: Im Restmüll schlummern zumindest auf dem Papier noch so einige Wertstoffe, die stofflich verwertet werden könnten, wenn sie getrennt erfasst würden. Fast 28 Prozent des Restmülls besteht aus Wertstoffen, hatte die viel zitierte Restmüllanalyse des von INFA im Auftrag des Umweltbundesamtes im Jahr 2020 ergeben. Ob die allerdings in der Praxis tatsächlich recycelbar sind, ist eine offene Frage. Insbesondere der biogene Anteil des Restmülls hat es der Politik angetan – immerhin rund 40 Prozent des Restmülls besteht laut INFA aus Biomasse. Auch im Gesetzgebungsverfahren zum BEHG hatte der biogene Anteil des Restmülls eine Rolle gespielt. So hatte der Bundesrat in seiner Stellungnahme geschrieben, dass Siedlungsabfälle „einen hohen biogenen Anteil und damit ein CO2-Potenzial zur Minderung haben.“ Das ist zwar richtig, nur: Um den biogenen Anteil im Restmüll geht es beim BEHG gar nicht. Wie es international Norm ist, gelten beim BEHG nur die fossilen CO2-Emissionen als klimarelevant und werden entsprechend bepreist, nicht aber die biogenen. Über Sinn und Unsinn dieser Regel kann man diskutieren, denn biogenes CO2 wirkt in der Atmosphäre nicht anders als fossiles. Und nicht ganz zu Unrecht wiesen die Mitglieder der ITAD bei ihrer diesjährigen Mitgliederversammlung in Stuttgart die zugeschaltete Abteilungsleiterin für Transformation und Circular Economy im BMUV, Susanne Lottermoser, darauf hin, dass oft die Qualität des getrennt erfassten Bioguts sinkt, wenn man nur auf die Quantität achtet. Das lässt sich soziologisch sehr schön erklären: Ist die Biotonne freiwillig, nehmen in der Regel jene sozialen Gruppen an der Sammlung teil, die von der Richtigkeit der getrennten Sammlung überzeugt sind. Entsprechend hochwertig ist die Qualität des Sammelguts. Um so mehr das System auf breitere Bevölkerungsschichten ausgeweitet wird, um so mehr beteiligen sich soziale Gruppen an der Sammlung, die es mit der Trennung nicht so genau nehmen; oder die vielleicht ihren Abfall nur trennen, um Müllgebühren zu sparen – und die die kommunale Abfallberatung nur schwer erreicht. Daher ist noch ein weiterer Lenkungseffekt denkbar, mit dem das BEHG der getrennten Wertstofferfassung mittelfristig einen Bärendienst erweisen könnte: Denn Haushalte, die ihren Abfall bereits trennen, könnten auf steigende Restmüllgebühren in Folge des BEHG auch mit mehr – bewussten – Fehlwürfen reagieren. Immerhin ist die gelbe Tonne der dualen Systembetreiber gefühlt kostenlos, und auch die Biotonne wird in vielen Kommunen über die Restmüllgebühr mitfinanziert. Eine noch höhere Kontamination Lisa Badum (Grüne) hatte kein Mitleid mit den Betreibern von Müllverbrennungs- anlagen (Foto: IMAGO/Future Image) der LVP-Sammlung mit nicht recycelbarem Restmüll und mehr Plastik in der Biotonne wären die Folge. Wenn dann der Kompost oder die Gärreste die Qualitätsanforderungen der Bioabfallverordnung nicht erreichen, könnte sogar noch mehr Bioabfall als bisher verbrannt werden müssen. Umstritten ist auch, welche Auswirkungen der CO2Preis auf die Entsorgungsmärkte haben wird. Während die Befürworter sagen, ein CO2-Preis stelle einen Anreiz für mehr Sortierung und Recycling dar, argumentieren die Gegner genau anders herum: Die Berechnung über pauschale Emissionsfaktoren nimmt in dieser Argumentation jeden Anreiz für mehr Sortierung, da das BEHG es nicht belohnt, beispielsweise Kunststoffe vor der Verbrennung aus dem Restmüll auszusortieren. Das ist in dieser Argumentation in zweierlei Hinsicht ein Problem: Denn einerseits machen nach der oben genannten INFA-Restmüllanalyse Kunststoffe und Verbunde rund 20 Masse-Prozent des Inhalts einer Restmülltonne in Deutschland aus. Andererseits stehen diese 20 Masse-Prozent nach der Studie „Auswirkungen des nationalen Brennstoffemissionshandels auf die Abfallwirtschaft“ der Enverum GmbH für 87 Prozent der fossilen CO2-Emissionen aus der thermischen Behandlung von kommunalem Restmüll. Die Kunststoffe aus dem Restmüll herauszusortieren, wäre demnach unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes besonders sinnvoll. Durch den pauschalen Emssionsfaktor einerseits und das geringe Gewicht von Kunststoffen andererseits ist der finanzielle Anreiz das zu tun in der Praxis dennoch gering. Darüber hinaus heißt „aussortiert“ nicht gleichzeitig auch „recycelt“. Es kann sein, dass der gleiche Abfall – aus-
14 6/2022 Abfallwirtschaft sortiert – in einem anderen energetisch zu verwertenden Stoffstrom landet und darin – aufgrund eines höheren pauschalen Emissionsfaktors – den Betreiber sogar mehr kostet als im Restmüll. Einen Anreiz zu mehr Sortierung stellt das BEHG also per se nicht dar – sondern nur dann, wenn die heraussortierten Materialien auch tatsächlich stofflich verwertet werden können. Wie teuer wird es denn nun? Lenkungswirkungen vorauszusagen ist ein akademischer Denksport, hat aber am Ende immer etwas vom Stochern im Nebel. Denn ein Steuerungsinstrument wie das BEHG beeinflusst nicht allein das Verhalten von Menschen und Unternehmen, sondern steht immer im Wechselspiel mit anderen Steuerungsmaßnahmen, individuellen Werten sowie aktuellen Markt- und Lebensbedingungen. Nun ist die Schlacht geschlagen und die Praxis wird zeigen, wie Menschen und Märkte auf den CO2-Preis reagieren. Für den Praktiker relevanter ist nun die Frage, welchen Einfluss das BEHG auf die Preise und Gebühren haben wird. Abschließend kann das noch nicht so ohne Weiteres beantwortet werden, denn die Details werden in der so genannten Emissionsberichterstattungsverordnung 2030 (EBeV 2030) geregelt. Von der EBeV 2030 liegt seit einigen Wochen ein Referentenentwurf vor. In Anhang 2 listet der Entwurf Standardwerte zur Berechnung von Brennstoffemissionen für einige der häufigsten in Verbrennungsanlagen entsorgten Abfälle auf. Allerdings bezieht sich der Emissionsfaktor in dem Verordnungsentwurf auf den Heizwert. Im Prinzip fasst Anhang 2 der EBeV 2030 bestimmte Abfallschlüssel zu „Brennstoffen“ zusammen und vergibt dann pauschale Biomassegehalte und heizwertbezogene Emissionsfaktoren. Da im Entsorgungsgeschäft jedoch nicht der Heizwert, sondern die Masse die preisbildende Größe ist, müssten die Werte erst umgerechnet werden, um den Einfluss auf die Entsorgungspreise abschätzen zu können. Zwei Faktoren entscheiden, wie viel ein Anlagenbetreiber für die CO2-Emissionen für die Verbrennung eines bestimmten Abfalls bezahlen muss: Erstens der heizwertbezogene Energiefaktor. Übersetzt heißt das: Wie viel CO2 entsteht bei einem Abfall bezogen auf den Energiegehalt? Da das BEHG nur den fossilen Anteil im Restmüll bepreist, müssten die biogenen Anteile abgezogen werden. Das bedeutet, Altholz hat im Referentenentwurf der EBeV 2030 beispielsweise einen Heizwert von 0,0867 Tonnen CO2 pro Gigajoule, aber auch einem pauschalen Biomasseanteil von 90 Prozent. Damit müsste Altholz im BEHG-Regime deutlich günstiger zu verbrennen sein, als zum Beispiel unsortierter Sperrmüll (AVV 20 03 07). Sperrmüll hat zwar mit 0,0857 Tonnen CO2 pro Gigajoule einen vergleichbaren heizwertbezogenen Emissionsfaktor, aber der pauschale Biomasseanteil ist mit 60,3 Prozent deutlich niedriger. Altholz aus dem Sperrmüll auszusortieren, dürfte also unter BEHG-Regeln günstiger sein, als den Sperrmüll unsortiert zu verbrennen. Diese Werte wie die gesamte EBeV 2030 sind aber noch in der Diskussion, können sich also noch deutlich verschieben. Darüber hinaus können die Brennstoffe in der Verordnung noch weiter ausdifferenziert werden. Pascal Hugo Die Werte der EBeV 2030 sollten eigentlich in dieser Ausgabe abgedruckt und diskutiert werden sollen. Doch bis zum Redaktionsschluss dieser Ausgabe gab es noch keinen Kabinettsbeschluss und die Diskussion war noch im vollen Gange. Die letzten, ENTSORGA bekanntgewordenen Werte unterschieden sich zum Teil deutlich von denen im Referentenentwurf und hätten sich bis zum Erscheinen der Ausgabe abermals deutlich ändern können. Eine ausführliche Diskussion der EBeV 2030 wird daher in der kommenden Ausgabe von ENTSORGA nachgeholt. Wertstoffe landen zu oft in der falschen Tonne. Das hatte die Restmüllanalyse von INFA im Auftrag des Umweltbundesamtes bereits 2020 ergeben. Doch wird die CO2-Bepreisung durch das BEHG daran etwas ändern? (Bild: UBA)
15 6/2022 Abfallwirtschaft Mit Müllfeuer gegen Eiseskälte Nicht nur die Gaskrise hat den Wärmemarkt in Deutschland auf den Kopf gestellt. Auch der Klimaschutz macht eine Transformation zwingend erforderlich. Im BMWK denkt man aktuell darüber nach, die Einspeisung von industrieller Abwärme beispielsweise aus Müllverbrennungsanlagen noch steigern. Das dürfte insbesondere Umweltgruppen kaum gefallen: Am Horizont zeichnet sich damit bereits ein neuer Konflikt um die Müllverbrennung ab. Christian Maaß hat ein leichtes Spiel. Das meiste, was der für die Wärmewende im Bundeswirtschaftsministerium des grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck sagt, stößt auf die Zustimmung des Publikums. Dass es auf absehbare Zeit noch unvermeidbare Abwärme aus der thermischen Abfallbehandlung geben wird. Dass man nicht so tun solle, als würde der Abfallstrom in den kommenden Jahren versiegen. Das sind Sätze, die ankommen in Stuttgart, wo sich die Mitglieder der Interessengemeinschaft der Thermischen Abfallbehandlungsanlagen in Deutschland (ITAD) zu ihrem jährlichen Verbandstreffen eingefunden haben. Mehr noch: Maaß will die Anbindung der „unvermeidbaren Abwärme“, wie er es nennt, an die lokalen und regionalen Fernwärmenetze noch weiter erhöhen. Heißt, die Müllverbrennung als Wärmequelle: Die GMVA Niederrhein in Oberhausen. (Bild: imago images/Werner Otto)
16 6/2022 Abfallwirtschaft Müllverbrenner sollen künftig noch mehr Wärme liefern. Das ist nicht nur der Gaskrise geschuldet, sondern auch den selbstgesteckten Zielen der Ampelregierung, die bis zum Jahr 2030 den Anteil der erneuerbaren Energien im Wärmemarkt auf 50 Prozent steigern will. Marktteilnehmer werten dieses Ziel gegenüber ENTSORGA als „ambitioniert“. Denn bislang hat die Politik bei der Dekarbonisierung des Wärmesektors kaum Erfolge zu melden. Während die erneuerbaren Energieträger inzwischen rund die Hälfte des Stroms in Deutschland produzieren, dümpeln die Erneuerbaren im Wärmemarkt nach Angaben des Bundesverbandes der Deutschen Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) bei rund 15 Prozent herum. Ohne Wärmewende keine Klimaneutralität Dabei ist der Wärmesektor entscheidend für das Ziel Deutschlands, bis 2045 klimaneutral zu sein. Etwa die Hälfte des Endenergieverbrauchs erfolgt im Wärmebereich, so die Forschungsstelle für Energiewirtschaft. Von 2030 bis 2045 müsse „fast der gesamte Wärmemarkt defossilisiert und die Fernwärmenetze massiv ausgebaut werden, um die ‚Netto-Klimaneutralität‘ zu erreichen“, schreibt der stellvertretende Geschäftsführer der ITAD, Martin Treder, in einem aktuellen Beitrag für die VKS-News, der Verbandszeitung der kommunalen Entsorger. Dass es überhaupt ein bisschen vorwärts ging im Wärmemarkt der vergangenen Jahre, ist auch auf die bessere Anbindung der Müllverbrennungsanlagen an die Fernwärmenetze zurückzuführen. Denn tatsächlich spielen Thermische Abfallbehandlungsanlagen heute eine wesentliche Rolle in der Fernwärmeversorgung. Nach Angaben des BDEW haben die deutschen Fernwärmenetze 2021 rund 144 Milliarden Kilowattstunden Wärme transportiert und damit Haushalte, Gewerbebetriebe und öffentliche Gebäude beheizt. Müllheizkraftwerke lieferten davon 23 Milliarden Kilowattstunden – und erzeugten damit rund 16 Prozent der Nettowärme. Damit ist Abfall aktuell nach Erdgas die zweitgrößte Einspeisequelle für Fernwärmenetze. GEG-Regelung im Kreuzfeuer der Umweltverbände Geht es nach Maaß, darf es durchaus noch mehr werden. Für den Ministerialbeamten aus dem BMWK ist die Wärme aus der Müllverbrennung eine „unvermeidbare Abwärme, die ich mit den Erneuerbaren gleichstelle.“ Das entspricht der Rechtslage nach dem Gebäudeenergiegesetz (GEG), nach der Abwärme aus Müllverbrennungsanlagen vollständig als industrielle Abwärme gilt. Doch ausgerechnet diese Rechtslage stößt Umweltschützern schon seit Jahren sauer auf. Im November des vergangenen Jahres hatten sich die Umweltverbände DUH, Fernwärmeleitung an der Emscher. (Bild: IMAGO/Rupert Oberhäuser)
17 6/2022 Abfallwirtschaft BUND, NABU sowie der Bundesverband für Umweltberatung in einer gemeinsamen Pressemitteilung für einen CO2-Bepreisung der Müllverbrennung eingesetzt (siehe Artikel auf Seite 12) und dabei die Regelung im GEG gleich mitkritisiert: „Trotz der Belastungen durch Müllverbrennung für Mensch, Klima und Umwelt wird Abwärme aus Müllverbrennung im Gebäudeenergiegesetz fälschlich als klimaschonend eingestuft“, zitiert eine Mitteilung der DUH die abfall- und klimapolitische Sprecherin des bfub, Gudrun Pinn. „Stattdessen sollte wirklich klimafreundlicher Fernwärme der Weg geebnet werden, die aus einem Mix verschiedener Energiequellen wie zum Beispiel Geothermie und Solarthermie erzeugt werden muss.“ Kaum vorstellbar, dass eine stärkere Anbindung der Müllöfen an die kommunalen Wärmenetze unter diesen Voraussetzungen im gesellschaftlichen Konsens verläuft. Doch im Gegenzug sollen sich die Betreiber aus dem Strommarkt zurückziehen, um Platz zu schaffen für die Erneuerbaren, wünscht sich das Wirtschaftsministerium. Die unflexiblen Grundlastanlagen passten nicht in eine Strom-Welt, in der der Anteil der fluktuierenden Erneuerbaren stetig zunehme, so Maaß. „Im schlechtesten Fall sorgen die Anlagen dafür, dass die Erneuerbaren keinen Platz in den Stromnetzen haben und abgeregelt werden.“ Die Begeisterung des Publikums hielt sich bei diesen Worten eher in Grenzen. Denn Fernwärme braucht man in unseren Breitengeraden im Wesentlichen im Winter. Abfall fällt aber das ganze Jahr an – entsprechend laufen die Anlagen mehr oder weniger kontinuierlich. Nicht wenige Anlagen in Deutschland kommen auf 8.000 und mehr Betriebsstunden im Jahr, was einer Zeitverfügbarkeit von 90 Prozent entspricht. Vor einigen Jahren, als die Konjunktur nicht aufhören wollte zu brummen und die Verbraucher konsumierten als gäbe es kein Morgen, reichten die in Deutschland installierten Kapazitäten so gerade aus, um den Abfall von der Straße zu schaffen. Diese Zeit ist zwar vorerst vorbei, kann aber wieder kommen.
18 6/2022 Abfallwirtschaft In den Sommermonaten werden die Fernwärmenetze aber nur sehr wenig benötigt. Entsprechend würde bei einer rein wärmegeführten MVA die Energie ungenutzt durch den Schornstein verpuffen. Maaß warb daher vor den versammelten Anlagenbetreibern in Stuttgart für saisonale Wärmespeicher. „Dort wo Fernwärmenetze zur Verfügung stehen, sollten wir auch saisonale Wärmespeicher an den Start bringen“, sagte der BMWK-Vertreter. „Das ist eine Lösung auf die wir setzen und wo wir auch mit Förderung reingehen werden.“ Jeder Betreiber solle sich Gedanken machen, ob ein solcher Wärmespeicher an seinem Standort machbar sei, so Maaß. MVA-Betreiber sollen Machbarkeit von saisonalen Wärmespeichern prüfen Wärme kann unter anderem in Erdbecken gespeichert werden. Maaß verwies in seinem Vortrag auf das Beispiel Hamburg. Dort errichten die Hamburger Energiewerke einen so genannten Aquifer-Wärmespeicher und binden ihn in das Fernwärmenetz ein. Aquifere sind nach Angaben des Energieversorgers natürliche abgeschlossene Gesteinsformationen, die tief unter der Erde Grundwasser führen. Als Wärmespeicher genutzt, wird Wasser überirdisch durch ein Kraftwerk oder eine Industrieanlage erwärmt und unter Tage gespeichert. Beginnt die Heizperiode, kann man das noch immer heiße Wasser hochpumpen und in das Fernwärmenetz einspeisen. Erdbeckenspeicher benötigen viel Platz Künstlich angelegte Erdbeckenspeicher benötigen hingegen naturgemäß viel Platz. In Meldorf im Kreis Dithmarschen im Schleswig-Holstein wird der erste Erdbeckenspeicher Deutschlands errichtet. In einer Grube mit 75 Metern Kantenlänge und sieben Metern Tiefe soll später die Abwärme einer Trocknungsanlage einer Druckerei gespeichert werden, heißt es in einem Bericht des NDR. Die Abwärme soll die rund 45 Millionen Liter Wasser, die das Becken später füllen soll, auf 70 Grad Celsius erhitzen. Im Winter sollen der Erdbeckenspeicher zukünftig 55 Gebäude mit Wärme versorgen. Das ist nicht viel, zumal Speicher mit mehr Versorgungskapazität deutlich mehr Platz benötigen. Im dänischen Vojens steht nach Angaben der Arbeitsgemeinschaft Erneuerbare Energie Dachverband das größte Erdbecken der Welt. Es ist mit einem Fassungsvermögen von rund 200 Millionen Litern vier Mal so groß wie das Projekt in Schleswig-Holstein. Nicht jede Müllverbrennungsanlage wird auf die benötigten Flächen zurückgreifen können. Bereits heute beklagen Industrieunternehmen, dass es in Deutschland kaum noch freie Flächen gibt. Neue Fernwärmeleitungen: Betreiber sollen „Pläne in der Tasche haben“ Gerne würde Maaß auch neue Fernwärmeleitungen errichten, auch von Anlagen zur thermischen Abfallbehandlung. Doch die EU blockiere bei der Förderung. „Aber es wäre gut, wenn Sie Planungen in der Schublade haben“, sagte Maaß. Deutschland laufe auf eine möglicherweise schwerere wirtschaftliche Entwicklung zu. Gut möglich, dass man bald schon neue Stimuli brauche, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. „Wenn Sie dann mit Vorschlägen auf uns zukommen um zu sagen, hier ist eine gute Möglichkeit eine Anwendungsleitung zu bauen, dann könnte das ein guter Zeitpunkt sein“, so Maaß. Auch beim Thema CO2-Abscheidung und Speicherung beziehungsweise Verwertung (CCUS) tut sich etwas, zumindest in der Rhetorik. „Wir sind da offen“, sagte Maaß und kündigte in Stuttgart ein Positionspapier des BMWK an. Das sind gute Nachrichten für die Anlagenbetreiber, denn realistischerweise werden sich Branchen wie die Zementindustrie oder auch die Abfallverbrennung ohne eine CO2-Infrastruktur kaum dekarbonisieren können. Andere Länder in Europa sind schon deutlich weiter als Deutschland. In den Niederlanden betreiben zahlreiche MVA-Betreiber eine CO2-Abscheidung – unter anderem, weil sie entsprechende Verwertungs- und Entsorgungswege haben und CO2 zur Speicherung exportiert werden darf. In Deutschland gibt es Projekte in Helmstedt und Zella-Mehlis. In der alten Braunkohleregion Helmstedter Revier wollen der Anlagenbetreiber EEW und der Netzbetreiber Avacon aus CO2 und Wasserstoff synthetische Kraftstoffe auf erzeugen. Beim Zweckverband für Abfallwirtschaft Südwestthüringen (ZASt) plant man für die MVA Zella-Mehlis vergleichbares; Ende 2023 soll es in Thüringen losgehen. Doch das sind lokale Projekte, die entsprechend begrenzt sind. Nötig wäre unter anderem eine Infrastruktur, um CO2 über weite Strecken transportieren zu können – auch zur Speicherung nicht benötigter CO2-Mengen. BMWK-Vertreter Maaß sagte in Stuttgart, das Ministerium befinde sich dahingehend in Gesprächen mit den Kollegen in Norwegen. Die Skandinavier haben Maaß zufolge großes Interesse daran, CO2 aus deutschen Industriezentren in ihren ausgebeuteten Gasfeldern tief unter der Nordsee zu speichern. „Für sie ist das ein Geschäftsfeld“, so Maaß. Doch in naher Zukunft sollte man nicht mit konkreten Plänen aus Berlin rechnen. „Das ist sicherlich noch eine Weile hin“, sagte der BMWK-Vertreter. Doch Vorschläge aus der Branche für konkrete Projekte seien im Ministerium willkommen. Immerhin. Pascal Hugo
19 6/2022 Bulgariens langer Weg zur Kreislaufwirtschaft Mitten in der kritischen Phase der Coronavirus-Pandemie wurde Bulgariens Öffentlichkeit im Januar 2021 von einem Ereignis der völlig anderen Art aufgeschreckt. Auf dem Fluß Iskar staute sich vor dem Wasserkraftwerk Svoge eine Ansammlung von Müll mit der Größe eines Fußballfeldes. Die schwimmende Mülldeponie enthielt vor allem Plastikprodukte und Holzäste, aber auch Fernsehgeräte und Kühlschränke schwammen in ihr. „Diese Abfälle waren schon immer im Fluss vorhanden”, erklärte ein Mitarbeiter des WKW Svoge in den Fernsehnachrichten, „dass wir sie nun angehäuft sehen, liegt am Hochwasser der letzten Tage. Wegen ihm arbeiten die Wehre nicht und die Abfälle verbleiben im Seebett vor ihnen. In einer normalen Situation sammeln die Wasserreinigungsanlagen den Müll automatisch, damit er auf eine Deponie gebracht wird“. Nach Absinken des Wasserstands des Iskars funktionierte das automatische Abfallsammelsystem des Kraftwerks wieder. Der Anblick Unmengen Mülls inmitten idyllischer Berglandschaft empörte viele Bulgarinnen und Bulgaren und führte ihnen die Mängel der nationalen Entsorgungswirtschaft unmissverständlich vor Augen. Zwar hat Bulgarien seit seinem Beitritt zur Europäischen Union (EU) im Jahr 2007 zahlreiche EU-Umweltschutz-Direktiven in seine nationale Gesetzgebung überführt, Bei ihrer praktischen Umsetzung hapert es aber oft. Aktuell laufen achtzehn Vertragsverletzungsverfahren wegen Verstößen gegen EU-Umweltrecht gegen das Balkanland, manche seit über zehn Jahren. Bulgarien ist nicht nur das ärmste Land in der EU, es ist auch das Schlusslicht in der Kreislaufwirtschaft. Nach wie vor landet der überwiegende Teil des Siedlungsabfalls praktisch unbehandelt auf Deponien. Doch es tut sich was in dem Balkanland. Ein Bericht von Frank Stier, Sofia. Der Weg zur Kreislaufwirtschaft in Bulgarien ist noch lang. Doch das Land macht sich auf den Weg. (Bild: IMAGO/Ray van Zeschau) Abfallwirtschaft
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