2 Mai 2023 Kreislaufwirtschaft Bessere Daten, mehr Kreislauf Das Fachmagaz i n für Kre i s l aufwi r tschaf t Chemisches Recycling Carboliq will durchstarten Special E-Schrott & Batterien Lieferketten, Krieg, Inflation Wie geht es weiter bei der Klärschlammentsorgung?
2 2/2023 Industrie/Management
3 2/2023 Editorial Seit der Novelle der Klärschlammverordnung im Jahr 2017 befindet sich die Klärschlamm- entsorgung in einem gewaltigen Umbruch, der noch am ehesten mit dem Deponieverbot für unbehandelte Siedlungsabfälle verglichen werden kann. Trotz eines mitunter rauen Seegangs schien es lange Zeit so, als könnten Wasser- und Entsorgungswirtschaft das Schiff auf Kurs halten und die Ziele bis zum Ende des Jahrzehnts erreichen. Doch Corona und der Ukraine-Krieg haben den Markt ordentlich durcheinandergewirbelt. Manche geplante Monoverbrennungsanlage steht auf der Kippe und ob es bis 2029 gelingt, ausreichend Kapazitäten zur Rückgewinnung von Phosphor aus Klärschlammasche zur Verfügung zu haben, steht in den Sternen. Anlässlich der bevorstehenden Klärschlammtage der DWA sprachen wir mit dem DWA-Klärschlammexperten Rainer Könemann vom Bremer Wasser- und Abwasserunternehmen hanseWasser über die aktuellen Marktbedingungen und was aus Sicht der DWA politisch nun getan werden muss. Wir werden das Thema in der kommenden Ausgabe weiterverfolgen und uns das Upscaling einiger Phosphor-Rückgewinngungsverfahren genauer anschauen. Das chemische Recycling von Kunststoffabfällen ist nach wie vor ein Dauerbrenner in der Kreislaufwirtschaft. Für viele in der Kunststoff- und kunstoffverarbeitenden Industrie ist chemisches Recycling praktisch die einzige Möglichkeit, die Vorgaben aus Brüssel und die eigenen Klimaschutz-Ziele zu erreichen. Der Folienhersteller Südpack hat mit Carboliq so einiges vor: Wir waren auf Einladung von Südpack bei Carboliq in Enningerloh zu Besuch, haben uns die dortige Anlage angesehen und haben mit den Verantwortlichen gesprochen. Doch Klimaschutz ist nicht immer nur eine Frage von Anreizen und Fördergeldern, sondern kann auch eine intrinsisch motiviert sein. Der norddeutsche Entsorger Buhck will bis 2030 klimaneutral sein und fordert andere Unternehmen auf, seinem Beispiel zu folgen. Wir sprachen mit Geschäftsführer Henner Buhck über seine Beweggründe – und wie Klimaschutz zum Geschäftsmodell werden kann. Darüber hinaus hat mein Kollege Bernd Waßmann auch für diese Ausgabe wieder ein hochwertiges Special zusammengestellt – dieses Mal zum Thema E-Schrott- und Batterierecycling. Viel Spaß beim Lesen der Ausgabe wünscht Pascal Hugo Schwere Zeiten für die Klärschlammentsorgung privat Pascal Hugo Redaktionelle Leitung
4 2/2023 Titel 7 Woher nehmen? Die EU verlangt künftig einen energieautarken Anlagen- betrieb und eine deutliche Senkung der Treibhausgas- Emissionen. 9 „Uns läuft die Zeit davon“, Rainer Könemann von hanseWasser Bremen über den Klärschlamm-Markt, die Phosphorrückgewinnung und warum die Politik im Düngemittelrecht für Klarheit sorgen muss. 13 Energielieferant für industrielle Feuerungsprozesse KOPF SynGas hat ein Verfahren entwickelt, um Klärschlamm weiterhin als Energieträger für industrielle Feuerungs- prozesse einsetzen zu können. 15 Mit Klärschlamm um die Welt jetten CO2-neutral Fliegen mit Hilfe von Klärschlamm und Biomüll – so lässt sich sehr vereinfacht die Idee hinter dem Forschungsprojekt reTURN beschreiben. Bioabfall 16 Da geht noch mehr Biomasse als wichtiger Bestandteil der Kreislaufwirtschaft wird sträflich vernachlässigt. Das ist ein waschechter Mullskandal. Ein Standpunkt von Sascha Roth, BDE. 19 „In zehn Jahren werden wir über 130 Milli- onen Tonnen Bioabfall in Europa haben“ Ulf Harig, Geschäftsleiter für die Behandlung fester Abfälle bei W.L. GORE & Associates, über Herausforderungen und Chancen der Bioabfall-Branche. Thermische Abfallbehandlung 22 Optimierung des Verbrennungsprozesses dank digitaler Überwachung Müll ist ein inhomogener Brennstoff. Digitale Überwachungstechnik kann dabei helfen, den Verbrennungsprozess zu optimieren. 24 Interview mit Simon Geiger, Business Development Manager bei iqony Simon Geiger von Iqony erklärt im Interview, wie KI und Feuer- überwachung die Lebensdauer von MHKW erhöhen können. 25 Wertvoller Abfall Während der Corona-Pandemie lieferte Vecoplan dem Unternehmen Sanit-Trans die Zerkleinerungstechnik für eine neue Aufbereitungslinie. 27 Waste-to-Energy in Brasilien Im BMUV-geförderten Projekt „Waste2Brazil“ wurde für eine brasilianische Gemeinde eine thermische Abfallbehandlungsanlage nach deutschem bzw. europäischem Standard entworfen. Daten zur Kreislaufwirtschaft 30 Es besteht Handlungsbedarf Für die Transformation zu einer Circular Economy brauchen wir bessere Daten, so Bärbel Birnstengel und Jochen Hoffmeister von Prognos. 32 Das sagen die Verbände Zahlreiche Verbände nahmen Stellung zu der Frage, wie die Datenlage für die Kreislaufwirtschaft verbessert werden könnte. Special 36 Rücknahme und der Umgang mit Elektro-Altgeräten– eine Bestandsaufnahme Auch wenn die Zahlen nicht das reale Bild wiedergeben: Mit nicht einmal 72.000 Tonnen erbringt der Handel nicht die notwendigen Mengen bei der Rückgabe der Elektro-Altgeräte. Plan E soll helfen. Inhalt „Uns läuft die Zeit davon“ Klärschlammentsorgung ist derzeit kein leichtes Geschäft. Wir sprachen mit dem DWA-Experten Rainer Könemann über Marktbedingungen, die Entwicklung bei der Phosphorrückgewinnung und warum die Politik im Düngemittelrecht für Klarheit sorgen muss. Bild: IMAGO / Michael Gstettenbauer 9
5 2/2023 39 Die Pflichten kennen Beim EPR-Prinzip geraten viele Hersteller und Händler regelmäßig an ihre Grenzen. Ecologicon-CEO Florian Werthmann über die Pflichten von Herstellern und Händlern. 42 Autobatterie-Recycling wird konkret Lueg und Deppe machen gemeinsame Sache. Im Interview erklären Lueg-Vorstandschef Martijn Storm und Re.Lion.Bat. Circular- Geschäftsfuhrer Christoph Spandau, was genau geplant ist. 44 Bei der Rückgabe müssen noch Hürden abgebaut werden Mit einer Rücknahmequote von 65 Prozent – im Gewicht – erreicht die Leuchtmittelindustrie die Ziele. Mehr wäre aber machbar. 46 Recycling bleibt brandgefährlich Aus brandschutztechnischer Sicht kommt die Abfall- und Kreislaufwirtschaft in den letzten Jahren nicht zur Ruhe. Die starke Zunahme an Brandfällen bedroht unmittelbar das Tagesgeschäft. 49 Entspannt vor der Welle Die Bosch-Tochter Rexroth liefert der Battery Lifecycle Company die erste vollautomatisierte Anlage zu Entladung und Demontage von Batteriemodulen in Europa. Chemisches Recycling 50 Fragen und Antworten: Chemisches Recycling in Europa Das chemische Recycling sorgt für Aufsehen. Wir klären Fragen und stellen einige Projekte und Unternehmen vor. 53 Carboliq startet durch Südpack hat bereits vor Jahren in das Carboliq-Verfahren investiert – und will das Verfahren nun zum Industriestandard erheben. CCU 56 Gesucht: Kohlenstoff Warum die Chemische Industrie dringend Kohlenstoff benötigt und dafür auf CCU angewiesen ist. Inhalt Elektro-Schrott braucht Recycling Im Special in dieser Ausgabe beleuchten unsere Autoren das Thema E-Schott genauer. Wie können die Sammelquoten verbessert werden? Welche Pflichten haben Handel und Hersteller? Foto: IMAGO / blickwinkel 35 57 Ist CCU chemisches Recycling? Das chemische Recycling bringt einiges durcheinander in der bis dahin so geordneten Abfallwelt. Doch zählt auch CCU zum Chemischen Recycling? Kunststoff-Recycling 58 Neues Verfahren entzieht Duftstoffe Fraunhofer-Wissenschaftler haben einen Prozess entwickelt, um Duftstoffe aus Kunststoffverpackungen zu entfernen. Industrie / Management 59 „Klimaschutz ist ein Investment“ Henner Buhck ist in Sachen Klimaschutz Überzeugungstäter und Unternehmer zugleich. 62 Revolution im Bekleidungsmarkt Die Zahl der weltweit produzierten Kleidungsstücke hat sich seit der Jahrtausendwende mehr als verdoppelt. Doch was passiert mit der getragenen und aussortierten Kleidung? 64 BWL-Technical Management ab Herbst 2023 an der DHBW Heilbronn Ab Herbst bietet die DHBW in Heilbronn den Studiengang BWL-Technical Management mit der Vertiefung „Wertstoff- management und Recycling“ an. Rubriken 03 Editorial 06 Personen 66 Zu guter Letzt / Impressum Carboliq startet durch Das Carboliq-Verfahren soll Industriestandard für das chemische Recycling werden. Der Folienhersteller Sudpack hatte bereits vor Jahren in das Verfahren investiert. 53
6 2/2023 Zur Person Gunda Rachut leitet auch in den kommenden fünf Jahren als Vorstand die Geschicke der Zentralen Stelle Verpackungsregister (ZSVR). In seiner jüngsten Sitzung hat das Kuratorium der ZSVR einstimmig beschlossen, den Vertrag der Juristin bis 2028 zu verlängern. Unter Rachuts Führung hat die ZSVR das öffentliche Verpackungsregister LUCID aufgebaut, weiterentwickelt und an neue gesetzliche Vorgaben angepasst. Die mittlerweile rund 710.000 Registrierungen kommen aus allen Teilen der Welt. Das Erfolgsrezept der ZSVR sei die digitale Arbeitsweise, lobt die Behörde sich in einer entsprechenden Pressemitteilung zur Wiederwahl Rachuts selbst. Die Wiederwahl von Gunda Rachut sei ein Signal, den erfolgreichen Weg weiter zu beschreiten. „Die Leistungsbilanz der ZSVR unter der Leitung von Gunda Rachut ist bemerkenswert. Als Kuratorium sind wir sehr glücklich, auch in den kommenden Jahren auf ihr Wissen und ihre Kompetenz bauen zu können“, sagte Astrid Teckentrup, ZSVR-Kuratoriumsvorsitzende und Vorsitzende der Geschäftsführung von Procter & Gamble in Deutschland, Österreich und der Schweiz. „Die ZSVR und das Verpackungsregister LUCID nehmen in Europa eine Vorreiterrolle ein. Das ist der Arbeit von Gunda Rachut und ihrem Team zu verdanken. Ihre Wiederwahl ist ein Zeichen für Stabilität und gleichzeitig eine Garantie für Weiterentwicklung“, so Teckentrup weiter. Rachut ist seit 2017 Vorstand der ZSVR. Zuvor war sie unter anderem Gesellschafterin der Cyclos GmbH. Daniela Entzian ist Ende März als Geschäftsführerin der Bundesvereinigung Deutscher Stahlrecycling- und Entsorgungsunternehmen (BDSV) ausgeschieden. Entzian habe in den vergangenen Jahren zunächst als Referentin für Markt & Betriebswirtschaft und seit Anfang 2021 als Geschäftsführerin maßgeblich zur erfolgreichen Arbeit der BDSV beigetragen, so der Verband. Mit dem Ausscheiden von Frau Entzian hat der bisherige BDSV-Rechtsreferent Guido Lipinski ab dem 01.04.2023 die Funktion des Geschäftsführers übernommen. Lipinski ist seit Mai 2021 bei der BDSV. Vor seinem Abstecher in die Möbelbranche, als Geschäftsführer eines Küchenherstellers und als Jurist bei den Verbänden der Holz- und Möbelindustrie NRW, sammelte er nach Verbandsangaben viele Jahre in diversen Funktionen, auch als Geschäftsführer vielfältige Erfahrungen in der Entsorgungswirtschaft. Er wird seine bisherigen Aufgaben als Jurist der BDSV und in den Arbeitskreisen Steuern und Compliance weiterhin ausüben und auch die Fachgruppe Autorückmontage (FAR) weiter betreuen. David Kämper übernimmt zudem die Funktion des Referenten Markt & Rohstoffe und betreut in Zukunft den BDSV Fachausschuss Markt- und Betriebswirtschaft. Kämper stehe den MitGunda Rachut (Foto: Zentrale Stelle Verpackungsregister) gliedern ab sofort als Ansprechpartner zu sämtlichen Marktthemen zur Verfügung. Anfang April hat Georg Stawowy sein Amt als neuer Bürkert Geschäftsführer angetreten – er folgt auf den bisherigen CEO Heribert Rohrbeck, der in den Ruhestand verabschiedet wurde. Nach neun Jahren bei der Lapp-Gruppe übernimmt Georg Stawowy nun die Verantwortung für die strategische Ausrichtung und die Fortführung des Wachstumskurses des Spezialisten für Fluid Control Systeme Bürkert. Der neue CEO hat im Laufe seiner bisherigen Karriere vielschichtige Erfahrungen in unterschiedlichen Bereichen und Branchen sammeln können und war bei Unternehmen wie der Heidelberger Druckmaschinen AG, der Freudenberg Gruppe sowie zuletzt bei der Lapp Gruppe in unterschiedlichen Führungspositionen tätig. Zuletzt war der 53-Jährige beim Kabel- und Verbindungssysteme-Hersteller Lapp über neun Jahre als Vorstand für Innovation und Technik tätig. Ämter und Posten Georg Stawowy (Foto: Bürkert)
7 2/2023 Titel Die neue Kommunalabwasserrichtlinie wird die Wasser- und Abwasserwirtschaft verändern wie kaum ein Regelwerk zuvor. Die Neuerungen sind so umfassend, dass wir uns entschieden haben, sie in zwei Teilen aufzubereiten: In dieser Ausgabe widmen wir uns dem Thema CO2-Emissionen und Energieneutralität auf Kläranlagen, in der kommenden Ausgabe werden wir die Pflicht zur vierten Reinigungsstufe für die größeren Kläranlagen in Verbindung mit der erweiterten Herstellerverantwortung thematisieren. Kläranlagen gehören zu den größten Energieverbrauchern der Kommunen. Diese Binse wird immer dann zitiert, wenn es um den Energieverbrauch der Kläranlagen geht. Tatsächlich verbrauchten die 4.835 im DWA-Leistungsnachweis berücksichtigten Kläranlagen im Jahr 2020 rund 3.148 Gigawattstunden (GWh) Strom. Das klingt viel, allerdings sind das nur rund zwei Prozent des Stromverbrauchs der Haushalte in Deutschland, die 2017 rund 129 Terawattstunden verbraucht haben. Dennoch, jede Kilowattstunde zählt, lautet ein geflügeltes Wort seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine. Und der im Oktober des vergangenen Jahres vorgestellte Entwurf einer neuen Kommunalabwasserrichtlinie nimmt die Kläranlagenbetreiber deutlich in die Verantwortung. Die Stichworte lauten: Energieautarkie und Netto-Null. Auch deutsche Kläranlagen müssen sich anstrengen Der energieautarke Kläranlagenbetrieb ist seit langem ein Ziel in der Abwasseraufbereitung in Deutschland – zumindest bei den größeren Kläranlagen. Die Intervention aus (Foto: Rudolf Ehmann / Erdgas Südwest GmbH) Energieautarke Kläranlagen bis 2040 WOHER NEHMEN
8 2/2023 Nachrichten Titel Brüssel hätte es dafür also nicht gebraucht. Doch die Kommission will nicht die großen Kläranlagenbetreiber in den urbanen Zentren der Staatengemeinschaft verpflichten, sondern auch die kleineren. Bereits Kläranlagen mit einer Ausbaustufe von lediglich 10.000 Einwohnerwerten (EW) sollen ab 2040 künftig ihre Energie selbst und erneuerbar erzeugen. Bereits Ende 2030 sollen die Kläranlagenbetreiber die Hälfte ihrer benötigten Energie selbst decken, 2035 sollen es 75 Prozent sein. Auch die deutschen Kläranlagen müssen sich anstrengen, um diese Ziele zu erreichen: Laut DWA lag der Anteil der Eigenstromerzeugung am Gesamtstromverbrauch bei 36 Prozent. Bis 2030 müssen also noch 14 Prozentpunkte hinzukommen, was bei einem gleichbleibenden Stromverbrauch einem Zubau von rund 440 GWh erneuerbarer Energie entspricht. Bei der Auslegung dieser Vorschrift will die Kommission streng sein. Marktteilnehmer berichten gegenüber ENTSORGA, dass die Kommission wohl mit sich reden lassen will, wenn beispielsweise ein Windrad oder eine PV-Anlage in unmittelbarer Nachbarschaft zur Kläranlage steht, aber ansonsten soll gelten: selbst erzeugt heißt, am eigenen Standort. PV-Anlagen als low hanging fruit Photovoltaik-Module dürften eine low hanging fruit für viele Kläranlagenbetreiber sein – immerhin berichten Anlagenbetreiber gegenüber ENTSORGA von guten Erfahrungen beim Betrieb einer PV-Anlage. So hatte die Gemeinde Schemmerhofen im baden-württembergischen Landkreis Biberach im vergangenen Jahr mit Unterstützung der Erdgas Südwest GmbH eine kleine PV-Freiflächenanlage in direkter Nachbarschaft zur Kläranlage errichtet. Die Anlage nutzt Fläche, die sonst ungenutzt bleibt. Rund 70 Prozent der erzeugten Energie werden direkt in der Kläranlage mit einer Größe von 13.100 Einwohnergleichwerten und einem jährlichen Stromverbrauch von 300.000 Kilowattstunden gebraucht. Übermengen werden in das Stromnetz der Kommune eingespeist. Weil die PV-Anlage als Nebenanlage gilt, konnten die Planer auf ein aufwendiges Bebauungsplanverfahren verzichten und den Bau innerhalb weniger Wochen realisieren. Die Photovoltaik-Module sind nach Süden ausgerichtet, um 15° geneigt und benötigen gerade einmal 660 Quadratmeter Fläche. Damit ist nach Angaben des Abwasserzweckverbandes Schemmerhofen-Attenweiler auch für eine eventuelle Erweiterung der Kläranlage noch ausreichend Platz. „Die Anlage ist jetzt seit etwa einem halben Jahr in Betrieb und hat die Erwartungen voll erfüllt. Wir haben einen vierstelligen Betrag bei den Energiekosten im Vergleich zum Vorjahr und damit als Gemeinde auch CO2 eingespart“, sagte Betriebsleiter Thomas Ogger vom Abwasserzweckverband. „Die Wartung an der Anlage beläuft sich auf ein Minimum; der größte Aufwand ist der tägliche Blick in das Überwachungsprogramm auf dem PC.“ Solche oder ähnliche Anlagen wird es bei vielen Kläranlagenstandorten bereits geben – und wo nicht, werden sie in den kommenden Jahren gebaut werden. Denn das große Ziel der EU-Kommission es, die Treibhausgasemissionen zu senken, die Kläranlagen in Europa verursachen. Die Energieversorgung zu dekarbonisieren ist da noch relativ einfach, auch wenn durch die Pflicht zur Eigenerzeugung ein Grünstrom-Vertrag mit einem externen Anbieter perspektivisch nicht mehr ausreichen wird. Viel problematischer wird die Senkung der im Klärbetrieb entstehenden Treibhausgase. Lachgasemissionen als Heraus- forderung für Kläranlagenbetreiber Denn auch die Treibhausgasemissionen im Bereich der Abwasserreinigung sollen die Kläranlagenbetreiber senken – um bis zu 60 Prozent gegenüber 1990. Kläranlagen emittieren insbesondere Lachgas. Das Treibhausgas schädigt nicht nur die Ozonschicht, sondern ist 298-mal so klimaschädlich wie CO2. Die EU-Kommission will die Kläranlagenbetreiber in der Kommunalabwasserrichtlinie dazu verpflichten, künftig ihre Treibhausgasemissionen zu messen. In der Branche vermutet der eine oder andere, dass Kläranlagen irgendwann auch in den Kreis der emissionshandelspflichtigen Anlagen aufgenommen werden könnten. Seit einigen Monaten misst Veolia auf der Kläranlage im sachsen-anhaltischen Schönebeck die Lachgas-Emissionen, um aussagekräftig zu sein, wie hoch diese tatsächlich liegen und wie man mit diesen Werten umgeht. Matthias Staub, Leiter Kommunalentwicklung beim Umweltdienstleister Veolia, sprach beim konzerneigenen Wasser Dialog in Leipzig darüber, ob eine Kläranlage künftig klimaneutral oder sogar klimapositiv betrieben werden könnte. Die positive Nachricht ist, dass die Lachgasemissionen im Belebungsbecken deutlich reduziert werden können, durch Lachgas-Audits, eine Anpassung der Fahrweise und eine optimierte Faulung. Staub verwies in seinem Vortrag auf die von Veolia betriebene Kläranlage im dänischen Mariager Fjord mit 75.000 EW, die ihre Treibhausgasemissionen um 60 Prozent gesenkt hat. In der 175.000-EW-Anlage im französischen Angers hätten die Veolia-Kollegen die Treibhausgas-Emissionen dank eines umfassenden Klimapaketes um 90 Prozent senken können. Das sind sehr gute Ergebnisse, doch klimaneutral ist das noch nicht. Der Weg zur Klimaneutralität sei anspruchsvoll, so Staub in seinem Fazit, aber in Scope 1 und 2 grundsätzlich möglich. In Scope 3, insbesondere in der nachgelagerten Klärschlammverwertung und der Logistik, seien aber weitere Innovationen notwendig. Pascal Hugo
9 2/2023 Titel „Uns läuft die Zeit davon“ Klärschlammentsorgung ist derzeit alles andere als ein leichtes Geschäft. Wir sprachen anlässlich der DWA-Klärschlammtage (23. Bis 25. Mai, Würzburg) mit dem DWA-Experten Rainer Könemann von hanseWasser Bremen über die derzeitigen Marktbedingungen, den Entwicklungen bei der Phosphorrückgewinnung und warum die Politik im Düngemittelrecht für Klarheit sorgen muss. Die DWA-Klärschlammtage haben in diesem Jahr den Titel „Klärschlamm in schwierigen Zeiten“. Was genau meinen Sie damit? Rainer Könemann: Die Klärschlammverordnung wurde 2017 novellliert. Wir sind in der Phase, die Vorgaben umzusetzen – und das mit allen Herausforderungen, die die Corona-Pandemie und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine mit sich gebracht haben und mit sich bringen. 2029 greift die Pflicht zur Phosporrückgewinnung. Wir brauchen bis dahin für Klärschlämme, die nicht mehr bodenbezogen verwertet werden können bzw. dürfen, Kapazitäten zur thermischen Vorbehandlung. Überwiegend wird anschließend der Foto: IMAGO / Michael Gstettenbauer
10 2/2023 Titel Phospor aus der Verbrennungsasche gewonnen und als Ausgangsstoff zur Düngemittelherstellung genutzt. Dazu müssen also nahezu zeitgleich bis 2029 entsprechende Techniken zur Phosporrückgewinnung aus Asche entwickelt und großtechnisch umgesetzt werden. Uns läuft gerade die Zeit davon. 2029 kommt schneller, als man denkt. Es gibt viele interessante Forschungsansätze, aber großtechnisch ist noch keine Phosphorrückgewinnungsanlage auf dem Markt vorhanden. Ob wir 2029 ausreichend Anlagenkapazitäten für die P-Rückgewinnung haben, sehen wir immer kritischer. Wir müssen uns jetzt schon darüber Gedanken machen, was passiert, wenn wir diese Kapazitäten nicht haben. Was sind denn aktuell die größten Herausforderungen bei der Klärschlammverwertung? Kurzfristig ist die Entsorgungssicherheit gegeben. Durch den Ukraine-Krieg hat es in vielen Sektoren deutliche Preissteigerungen gegeben. Stickstoff- und Phosphordünger haben sich beispielsweise um den Faktor drei verteuert. Landwirte suchen daher nach Alternativen zu teuren Mineraldüngern. Organische Düngemittel stehen deshalb aktuell wieder sehr hoch im Kurs. Damit ist auch die Nachfrage nach Klärschlamm für eine landwirtschaftliche Verwertung deutlich gestiegen. Das hat zum einen dazu geführt, dass wieder mehr Klärschlamm in der Landwirtschaft zum Einsatz kommt und die Preise für die Klärschlammentsorgung sind wieder gesunken. Kohlekraftwerke produzieren jetzt wieder mehr Strom als ursprünglich mal angedacht und setzen mehr Klärschlamm ein. Auch das führt zu sinkenden Entsorgungspreisen. Gleichzeitig sind die Investitionskosten für Klärschlammmonoverbrennungsanlagen deutlich gestiegen. Einige Projekte werden derzeit kritisch hinterfragt, ob sie sich überhaupt wirtschaftlich realisieren lassen. Innerhalb der DWA diskutieren die Fachleute aktuell die Frage, ob bis 2029 ausreichend Anlagen für eine thermische Vorbehandlung vorhanden sein werden. Vor zwei Jahren hätten wir diese Frage mit einem klaren Ja beantwortet. Heute ist dort ein kleines Fragezeichen gegeben. Eine belastbare Aussage ist derzeit schwierig. Wie viele Anlagenprojekte stehen denn derzeit zur Disposition? Das ist schwer prognostizierbar. Einige Anlagenbetreiber haben die Investitionsentscheidungen zunächst um zwei bis drei Jahre verschoben, um zu schauen, wie sich der Markt entwickelt. Aktuell ist kein Anlagenbauer in der Lage, Festpreise zu nennen. Stahl, Beton und andere Baustoffe werden nach Tagespreis berechnet. Teilweise haben wir die Rückmeldung aus dem Markt bekommen, dass sich die Investitionskosten um den Faktor 2 bis 2,5 erhöhen sollen. Unter solchen Rahmenbedingungen sind Investitionsentscheidungen bzw. die Realisierung solcher Großprojekte sehr schwierig. Ob sich der Markt in ein oder zwei Jahren wieder stabilisieren wird und diese Anlagen nur verspätet in Betrieb gehen werden oder ob einzelne Projekte aufgegeben werden, ist im Moment schwer prognostizierbar. Wie groß ist die Diskrepanz zwischen dem aktuellen Markt- preisniveau und dem, was der Betreiber einer Klärschlamm- Monoverbrennungsanlage benötigt, um wirtschaftlich arbeiten zu können? Es gibt nicht „den Marktpreis“ für Klärschlamm, der bundesweit einheitlich angesetzt werden kann. Wir haben in Deutschland Regionen mit intensiver Viehhaltung und damit einem hohen Anfall an Nährstoffen. Auf der anderen Seite gibt es Ackerbauregionen mit einem hohen Nährstoffbedarf. Die Preise für eine bodenbezogene Klärschlammverwertung sind deshalb innerhalb Deutschlands recht heterogen. Bei den Kraftwerken haben wir in den östlichen Bundesländern Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen sowie im Westen in Nordrhein-Westfalen zwei große Bereiche mit Braunkohle und damit intensiver Klärschlamm-Mitverbrennung. Mit den aktuellen Preisen, die sowohl für die bodenbezogene Verwertung aber auch bei den Kraftwerken oder in der Zementindustrie aufgerufen werden, kann momentan keine Mono-Klärschlammverbrennungsanlage mithalten. Klärschlamm-Monoverbrennungsanlagen müssen sich aktuell diesem Wettbewerb stellen, soweit die Anlage nicht durch eigene Schlämme ausgelastet wird. Im regionalen Markt können sie durch kurze Transportwege und die damit verbundenen geringen Transportkosten im Wettbewerb bestehen. Falls notwendig kaufen sie Auslastung auch zu niedrigen Preisen für die Übergangszeit bis spätestens 2029, bis Zementwerke und Kohlekraftwerke wegen der Verpflichtung zur Phosphor-Rückgewinnung nur noch bedingt zur Verfügung stehen.
11 2/2023 Titel Sie haben die Pflicht zur Phosphor-Rückgewinnung ab 2029 angesprochen: Haben wir bis dahin ausreichend Kapazitäten für das P-Recycling? Es gibt eine ganze Reihe von Forschungsvorhaben. Im Labormaßstab sind viele vielversprechende Ansätze vorhanden. Aber es zeigt sich, dass das Upscaling – also die Umsetzung eines Verfahrens in einem großtechnischen Betrieb – immer wieder eine besondere Herausforderungen ist. Welche Verfahren sich am Ende des Tages durchsetzen und ob diese bis 2029 die entsprechenden technischen Voraussetzungen erfüllen und gleichzeitig genügend Kapazitäten zur Verfügung stellen, bleibt abzuwarten. Im Moment ist das eine riesengroße Herausforderung. Ob wir die bis 2029 meistern? Schön wäre es, aber die Zweifel werden langsam größer. Welche regulatorischen Rahmenbedingungen sind notwendig, um die Umsetzung der Phosphorrückgewinnung zu unterstützen? Wir brauchen Klarheit bei den rechtlichen Rahmenbedingungen. Beim Düngerecht, insbesondere im Rahmen der Düngemittelverordnung, sind noch viele Fragen in Bezug auf die Ausgangsstoffe offen. Welche Qualitäten sind einzuhalten? Dies gilt beispielsweise für Qualitäten in die thermische Vorbehandlung in Bezug auf Input und Output aber auch für das Zusammenspiel von thermischer Vorbehandlung und Phosphorrückgewinnungsverfahren. Das Landwirtschaftsministerium ist für die Düngemittelverordnung zuständig und muss hier aus meiner Sicht für Klarheit sorgen. Erst auf Grundlage dieser rechtlichen Klarheit lassen sich belastbare Konzepte entwickeln. In der Landwirtschaft wird in Folge des Ukraine-Krieges wieder mehr Klärschlamm zur Düngung eingesetzt. (Foto: IMAGO/agrarmotive)
12 2/2023 Titel Aktuell herrscht eine große Unsicherheit: Die Betreiber von Verbrennungsanlagen wissen nicht, ob neben Klärschlämmen auch andere Stoffe mitverbrannt werden dürfen, die zum Beispiel einen hohen Heizwert haben und damit Trocknungskosten reduzieren können. Wir brauchen Klarheit darüber, wie unterschiedliche Aschen nach einer entsprechenden Aufbereitung nach Düngemittelverordnung in den Verkehr gebracht werden können. Aus unserer Sicht ist eine schnelle Novellierung der Düngemittelverordnung notwendig. Brauchen wir weitere Anreize fürs P-Recycling? Eine Einsatzquote für Sekundärphosphat bei den Düngemittel-Herstellern zum Beispiel? Das würde die Sache sicherlich unterstützen, würde aber aktuell nicht mehr Geschwindigkeit bringen. Was wir brauchen, ist, wie schon gesagt, eine belastbare Grundlage im Bereich des Düngermittelrechtes. Das wäre für uns der erste große Schritt, damit sich für die thermische Vorbehandlung und die Phosphorrückgewinnung belastbare Rahmenbedingungen ergeben. Die Klärschlammentsorgung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, der wir uns alle stellen müssen. Und da kommt aus meiner Sicht auch auf das Landwirtschaftsministerium eine wichtige Aufgabe zu. Eine schnelle und gute Lösung ist absolut notwendig. Die Novellierung der Düngemittelverordnung ist im Moment wichtiger als die Diskussion über Quoten. Was machen wir 2029, wenn wir bis dahin nicht genügend Kapazitäten für die Phosphor-Rückgewinnung haben? Die Klärschlammverordnung hat für diesen Fall ja schon vorgesehen, dass die Aschen dann zwischengelagert werden sollen. Die Deponieverordnung wurde angepasst, so dass auch eine Lagerung auf Deponien möglich wäre. Im Moment ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber die Klärschlammverordnung erneut novellieren wird, um beispielsweise die Übergangsfristen – was ja an der einen oder anderen Stelle schon gefordert wird – zu verlängern. Der Gesetzgeber sagt ganz deutlich, wir haben euch lange Übergangsfristen gegeben, ihr habt die Zeit, nutzt sie, um die rechtlichen Vorgaben zu erfüllen. Die Wasser- und die Abfallwirtschaft und auch die Industrie setzen im Moment alles dran, die gesetzten Ziele zu erreichen. Aber so etwas wie Corona und eben auch der Ukraine-Krieg, das war in dem Maße nicht voraussehbar. Die Verwerfungen, die sich daraus ergeben, spüren wir intensiv. Viele Kommunen wissen derzeit noch gar nicht, wie sie das Gebot zur Phosphorrückgewinnung umsetzen sollen. Was sagen Sie denen? Die Kommunen sind nach der Klärschlammverordnung verpflichtet, in den Jahren 2023 und 2027 ihren zuständigen Behörden kundzutun, wie sie planen, die Phosphorrückgewinnung umzusetzen. Dazu müssen keine belastbaren Verträge oder ähnliches vorlegt werden. Fertige Konzepte sind also noch nicht notwendig. Erwartet wird aber, dass man sich mit der Thematik beschäftigt und bis 2029 in der Lage ist, die rechtlichen Vorgaben zu erfüllen. In der Tat wissen viele Kommunen noch nicht genau, wohin die Reise gehen soll. Aber sie haben sich trotzdem schon mit der Thematik beschäftigt. Sie haben sich also beispielsweise mit der Frage befasst, ob sie ihren Klärschlamm weiterhin bodenbezogen verwerten können. Wir schätzen, das etwa 10 bis 15 Prozent des Klärschlammaufkommens weiterhin bodenbezogen verwertet werden können. Denn 80 Prozent aller Kläranlagen, das sind die mit einer Größe von unter 50.000 EW, sind langfristig rechtlich in der Lage, ihren Klärschlamm bodenbezogen zu verwerten. Für diese Kläranlagen stellt sich in jedem Fall die Frage, ob es in der Region eine ausreichende Nachfrage nach Klärschlamm für eine bodenbezogenen Verwertung gibt. Diese Frage müssen sie sich in den nächsten Jahren beantworten, wenn sie weiter vollständig oder mit Teilmengen bodenbezogen verwerten wollen. Und die größeren Kläranlagen? Das Gros des Klärschlammaufkommens wird in erster Linie thermisch vorbehandelt werden mit anschließender Phosphorrückgewinnung aus der Asche. Mit der thermischen Vorbehandlung geht die Pflicht zur Phosphorrückgewinnung vom Klärschlamm-Erzeuger auf den Klärschlamm-Verbrenner über. Das ist eine große Unterstützung für die meisten Beteiber von Kläranlagen. Wir haben nur noch knapp sechs Jahre Zeit, um alle gemeinsam diese Herausforderungen zu meistern. Daher auch das Motto der diesjährigen DWA KlärschlammTage: „Klärschlamm in schwierigen Zeiten“. Herr Könemann, ich danke Ihnen für das Gespräch. Das Interview führte Pascal Hugo Rainer Könemann. (Foto: Matthias Hornung (photocube))
13 2/2023 Titel Synthesegas aus Klärschlamm Energielieferant für industrielle Feuerungsprozesse Das KOPF SynGas-Verfahren wandelt getrocknetes Klärschlammgranulat in Synthesegas um. Gleichzeitig wird die im Granulat enthaltene phosphorreiche Asche abgetrennt. Damit ist die energetische Nutzung von Klärschlamm als Zusatz- oder Hauptbrennstoff unter Einhaltung der ab 2029 geltenden Phosphor-Rückgewinnungspflicht möglich. „Die Gasifizierung von Klärschlamm nach dem SynGas-Verfahren ist ein besonders interessanter Ansatz, der die zukünftige Verwendung von Klärschlamm als Brennstoff in energieintensiven Industrieprozessen ermöglicht“, sagte Alexander Neagos, CEO der KOPF SynGas GmbH & Co. KG. Durch die Erzeugung eines brennbaren Synthesegases können Temperaturen von bis zu 1.500 Grad Celsius erreicht Klärschlamm muss nicht unbedingt in Monoverbrennungsanlagen thermisch behandelt werden, um anschließend den Phosphor aus der Asche zurückgewinnen zu können. KOPF SynGas – ein Joint Venture der beiden mittelständischen Unternehmensgruppen SÜLZLE und AVAT Automation – hat ein Verfahren entwickelt, um Klärschlamm auch unter der Bedingung des Phosphorrückgewinnungsgebotes weiterhin als Energieträger für industrielle Feuerungsprozesse, beispielsweise in der Zementindustrie, einsetzen zu können. Eine bestehende Infrastruktur könnte damit weiter genutzt werden, so das Unternehmen. werden. Der Klärschlamm kann dadurch als CO2-neutraler Energieträger kosten- und CO2-intensive Primärenergieträger wie Erdgas oder Braunkohle ersetzen. Das ist vor allem in der Zementproduktion und beispielsweise auch in der Kalkherstellung interessant. Um Synthesegas aus Klärschlamm zu erzeugen, wird dieser in getrockneter Form mit einem maximalen Restwassergehalt von 15 Prozent benötigt. Durch die Nutzung externer, regenerativer Wärmequellen wie Ab- oder Sonnenwärme steht CO2-neutrales Synthesegas zur Verfügung. Die thermische Behandlung des getrockneten Schlamms erfolgt unter reduzierenden Bedingungen bei λ=0,25. Kern des Verfahrens ist die stationäre Wirbelschicht, Mit der Gasifizierung von Klärschlamm nach dem SynGas-Verfahren bietet KOPF SynGas einen interessanten Ansatz zur Verwendung von Klärschlamm als Brennstoff. (Foto: KOPF Syngas)
14 2/2023 Titel in der in einem autothermen Prozess bei Temperaturen zwischen 850 und 900 Grad Celsius unter Zuführung vorgewärmter Luft das brennfähige Synthesegas erzeugt wird. Je nach Anwendung kann das Synthesegas in einem Zyklon grob entstaubt, in einem Luftvorwärmer auf 400 Grad Celsius gekühlt und mit Hilfe eines keramischen Feinfilters restentstaubt werden. Wichtiges Einsatzgebiet: Zementindustrie Ein wichtiges Gebiet ist der Einsatz von Brenngas-Modulen bei der Zementherstellung. Derzeitige Praxis in den Zementwerken ist es, den getrockneten Klärschlamm entweder über den Hauptbrenner in den Drehrohrofen oder als Zusatzbrennstoff in den Kalzinator zuzugeben. Beim Einsatz des Brenngas-Moduls kann in diesem Fall auf den Feinfilter verzichtet werden. Durch die Verwendung eines dem Gasifizierungsprozess nachgeschalteten Zyklons wird das erzeugte Synthesegas von einem großen Teil des verbleibenden Staubes befreit. Dieser Staub enthält ebenso wie die Asche einen hohen Anteil an Phosphor und kann zur weiteren Verarbeitung mit der Asche vermischt werden. Das übrigbleibende heiße Synthesegas wird im Anschluss direkt oder nach etwaiger Abkühlung zum Zwecke der Wärmerekuperation im Zementwerk verfeuert. Dieser einfache Ansatz ermöglicht die selektive Nutzung der im Klärschlamm enthaltenen chemisch gebundenen Energie im Zementherstellungsprozess und gleichzeitig die Trennung der wertvollen Asche. Die in der novellierten Abfallklärschlammverordnung ab 2029 vorgeschriebene Pflicht zur Phosphorrückgewinnung wird somit erfüllt. Der aufgrund der großen spezifischen Oberfläche tendenziell mit Schwermetallen höher belastete Staub wird nicht im Zyklon abgeschieden und durch das Verbleiben im Synthesegas dem Zementofen zugeführt. Vorhandene Infrastruktur nutzen „Das Synthesegas kann entweder im Drehrohrofen über ein zu installierendes Satellitenrohr eingebracht werden, wobei die Qualität des Zementherstellungsprozesses sicherzustellen ist“, sagt Alexander Neagos. Die einfachere Variante ist der Einsatz in einem Kalzinator. „Bei der Einbringung in den Drehrohrofen ist zu beachten, dass alleine durch die Verbrennung von Synthesegas die benötigten Temperaturen von rund 2.000 Grad Celsius nicht erreicht werden können. Dies führt dazu, dass die Substitutionsrate von Primärenergie oder hochkalorischen Ersatzbrennstoffen durch Synthesegas auf ca. 15 Prozent begrenzt ist“, erklärt Neagos. Durch die Anpassung des Gasifizierungsverfahrens von Luft- zu Wasserdampf-Sauerstoff-Gasifizierung ist es jedoch möglich, den Heizwert des Synthesegases signifikant zu erhöhen und damit deutlich höhere Substitutionsraten zu erzielen. Unabhängig vom zu wählenden Einbringungsort kann die bereits vorhandene Infrastruktur am Zementwerk genutzt werden, was einen signifikanten Vorteil gegenüber neu zu errichtenden Klärschlamm-Monoverbrennungsanlagen darstellt. Neben der Anwendung in klassischen Zementwerken stellt die Herstellung von kalzinierten Tonen für Komposit-Zemente eine besonders interessante Option für die Kopplung mit einem Brenngas-Modul dar. Kalzinierte Tone können in Komposit-Zementen bis zu 30 Prozent des klassischen Klinkers ersetzen, da sie selbst ähnliche Eigenschaften besitzen. Bei der Kalzinierung der Tone wird im Vergleich zum klassischen Klinkerbrenner allerdings weitaus weniger CO2 ausgestoßen. Besonders vorteilhaft für die Kopplung mit einem Brenngasmodul ist allerdings die Temperatur von 750 bis 850 Grad Celsius, bei der die Kalzinierung stattfindet. Dies ermöglicht eine sehr hohe Substitutionsrate von bis zu 100 Prozent durch Synthesegas aus Klärschlamm. Der Einsatz des Gases ist darüber hinaus auch in Müllkraftwerken, Kalkbrennereien und Ziegelwerken denkbar. Asche als Rohstoff für die Phosphorrückgewinnung „Für ein ganzheitliches Konzept der Klärschlammverwertung in industriellen Feuerungsanlagen muss auch die Ascheverwertung betrachtet werden. KOPF SynGas arbeitet bereits mit mehreren Partnern an einer Lösung, die Asche wirtschaftlich weiter zu verwerten“, berichtet Alexander Neagos weiter. Hierzu wird Asche aus dem Prozess einer Koblenzer Verbrennungsanlage den Versuchsanlagen zur Aschebehandlung zugeführt. Bei der Verwertung von Synthesegas aus Klärschlamm als Ersatzbrennstoff ist laut Neagos ein entsprechender Ascheverwerter als dritte Partei hinzuzuziehen. Bereits heute kann eine solche Anlage zur Synthesegaserzeugung ohne großen Aufwand beispielsweise auf einem Zementwerksgelände installiert werden, ohne die Asche deponieren zu müssen. Die Erzeugung von Synthesegas bietet einen flexiblen Einsatz von Klärschlamm als Energiequelle. „Der Reststoff aus der Abwasseraufbereitung wird so Teil zur Lösung einer der zentralen Herausforderungen unserer Zeit: Dem ressourcenschonenden und nachhaltigen Einsatz von Energiequellen“, resümiert Neagos. Durch die Kombination aus energieintensivem Prozess und Gaserzeugung aus Klärschlamm kann bereits existierende Infrastruktur genutzt werden, um Klärschlamm weiterhin als Ersatzbrennstoff einzusetzen und die wertvolle Ressource Phosphor in den Nährstoffkreislauf zurückzuführen. kopf-syngas.de
15 2/2023 Titel Kerosin aus Klärschlamm und Biomüll Mit Klärschlamm um die Welt jetten Deutschland soll bis zum Jahr 2045 klimaneutral werden. Das geht nicht ohne drastische Veränderungen im Verkehrssektor, denn der ist laut Bundesumweltamt für rund ein Fünftel aller Treibhausgasemissionen verantwortlich. Hier setzten drei Partner mit dem Forschungsprojekt reTURN an. CO2-neutral Fliegen mit Hilfe von Klärschlamm und Biomüll – so lässt sich sehr vereinfacht die Idee hinter dem Forschungsprojekt reTURN (Recycling organischer Reststoffe und CO2 zu Kraftstoffen) beschreiben. Indem klimaneutral hergestellter synthetischer Kraftstoff fossilen Kraftstoff ersetzt, soll die Energiewende vorangetrieben und ein Beitrag zum weltweiten Klimaschutz geleistet werden. „Die Luftfahrtbranche lässt sich nicht komplett elektrifizieren“, sagt Professorin Stefanie Meilinger, die das Projekt an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg (H-BRS) leitet. Eine Technologie für die Herstellung synthetischer Treibstoffe hat das Unternehmen Caphenia entwickelt. Der Gedanke: In einem einzigen Reaktor sollen drei bekannte chemische Verfahren in drei Schritten hintereinander und miteinander kombiniert werden, um ein Synthesegas herzustellen. Ausgangsmaterialien sind aus organischen Abfällen und Klärschlämmen erzeugtes Biogas, Wasser und Strom aus erneuerbaren Energien. Zunächst wird das Methan mithilfe von regenerativem Strom in seine Komponenten Kohlenstoff und Wasserstoff zerlegt. In einem zweiten Verfahrensschritt reagiert der Kohlenstoff mit dem Kohlenstoffdioxid und bildet Kohlenstoffmonoxid aus. In Schritt drei entsteht aus weiterem Kohlenstoff und Wasserdampf ebenfalls Kohlenstoffmonoxid, aber auch Wasserstoff – es ergibt sich insgesamt also eine Mischung aus Kohlenstoffmonoxid und Wasserstoff. Dieses Synthesegas kann danach mittels bekannter Konversionstechnologien in beliebige Kraftstoffe wie Kerosin, Diesel oder Benzin umgewandelt werden. 2021 war das Unternehmen für die Entwicklung dieses Verfahrens für den Deutschen Innovationspreis nominiert. Nun geht das Verfahren im Projekt reTURN in den vierjährigen Praxistest: In Frankfurt-Höchst wird ab 2023 ein Prototyp des Reaktors gebaut und das Verfahren erprobt, um seine technische Machbarkeit und Massenmarkttauglichkeit zu beweisen. Als zweiter Projektbeteiligter konzipiert das Institut für Verbrennungstechnik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) Messverfahren am Reaktor und Simulationen. Die Hochschule Bonn-Rhein-Sieg entwickelt ein Modell zur Bestimmung des CO2-Fußabdruckes im gesamten Prozess und in der Testanlage. „Wir begleiten den Bau des Testreaktors mit einer Ökobilanz und erstellen eine vollständige Lebenszyklusanalyse“, sagt H-BRS-Professorin Stefanie Meilinger. www.h-brs.de Zur Defossilisierung des Luftverkehrs kann auch Klärschlamm einen Beitrag leisten. (Foto: IMAGO/imagebroker)
16 2/2023 Bioabfall Bioabfall Da geht noch mehr Biomasse als wichtiger Bestandteil einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft wird von der Politik und von manchen öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern sträflich vernachlässigt. Das ist ein waschechter Müllskandal, denn eine moderne Bioabfallverwertung bietet zahlreiche Möglichkeiten, das Klima, die Umwelt und die Ressourcen zu schonen. Ein Standpunkt von Sascha Roth, BDE. Was müsste eigentlich passieren, damit die für Restabfälle übliche Tonne mit ihrem Volumen von 240 Litern deutschlandweit auf Dauer um mehr als ein Drittel kleiner werden könnte? Sicherlich wäre eine konsequente Abfallvermeidung für dieses Ziel hilfreich. Wo kein Abfall entsteht, gibt es auch nichts zum Wegwerfen. Der Weg zur Reduzierung des Restabfalls ist jedoch ein kürzerer und auch naheliegender. Bei konsequent korrekter Bioabfallentsorgung in Deutschland, also bei grundlegend besserer Getrenntsammlung, wären kleinere Tonnen für den Restmüll in ganz Deutschland in der Tat ausreichend. Das Potenzial, das Tag für Tag in den Restmülltonnen des Landes verschwindet und durch thermische Verwertung unwiederbringlich verloren geht, ist riesig: Rund 40 Prozent des Inhalts der Restmülltonne ist nach der letzten Restmüllanalyse des Infa Instituts für das Umweltbundesamt biogenen Ursprungs – also Bioabfall, der getrennt erfasst werden könnte. Es ist klar, dass die Restmüllbehandlung nicht der geeignete Weg sein kann, organische Abfälle zu verwerten. Denn Bioabfälle müssen getrennt erfasst und in entsprechenden Anlagen behandelt werden, damit sie ihren Nutzen voll entfalten können. Nur so können sie umweltfreundlich und klimaschonend in Biogasanlagen vergoren oder kompostiert werden. Dabei entsteht zum einen wertvolles Biogas, das als erneuerbarer Energieträger genutzt werden kann, zum anderen wird ein nährstoffreicher Dünger produziert, der als Bodenverbesserer dient. Nach wie vor gehen jedes Jahr Millionen Tonnen Biogut unwiederbringlich verloren Dass in Deutschland noch immer viel zu wenig Bioabfälle getrennt gesammelt werden, ist ein waschechter Müllskandal. Denn der Gesetzgeber hatte bereits 2012 im Kreislaufwirtschaftsgesetz die Voraussetzungen für die Biotonne festgelegt. Seit 2015 ist die flächendeckende getrennte Erfassung von Bioabfällen in Deutschland praktisch Pflicht. Aber selbst acht Jahre später gibt es in jeder vierten Gebietskörperschaft in Deutschland noch immer kein flächendeckendes Angebot für eine Biotonne – mit der Folge, dass noch immer jedes Jahr Millionen Tonnen Biogut im über Der BDE fordert eine Pflicht-Biotonne für alle. (Foto: IMAGO/Gottfried Czepluch)
17 2/2023 Bioabfall den Restmüll verbrannt und so unwiederbringlich verloren gehen. Die kommunale Untätigkeit, die seit Jahren unter den Augen der Aufsichtsbehörden stattfindet, belastet das Klima, die Umwelt und läuft dem Ressourcenschutz zuwider. Denn grade organische Abfälle bieten gute Möglichkeiten, sich von fossilen Energien und mineralischen Düngern aus dem Ausland unabhängiger zu machen. Biogas kann das herkömmliche Erdgas in allen Anwendungsbereichen komplett ersetzen. Diese Erkenntnis setzt sich mit dem russischen Überfall auf die Ukraine mehr und mehr durch, doch welche Konsequenz haben die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger daraus gezogen? Mengenpotenzial endlich heben Noch immer wird Biomasse – sei es aus Unkenntnis oder aufgrund fehlender Möglichkeiten – in der Entsorgung zumeist eher stiefmütterlich behandelt. BDE-Präsident Peter Kurth brachte es daher kürzlich in seiner Begrüßung beim Parlamentarischen Abend des Verbandes zum Thema auf den Punkt: „Biomasse ist ein Thema, das eine besondere Betrachtung verdient.“ Der BDE und sein Arbeitskreis Biomasse, die sich schon quasi „von Amts wegen“ mit der Vielseitigkeit biogener Abfälle befassen, haben diese besondere Betrachtung vorgenommen. Der Verband legte beim Parlamentarischen Abend ein Positionspapier vor, das der Arbeitskreis erstellt hatte und in dem die Verbandsexperten die Vielfältigkeit der Nutzung organischer Abfälle aufzeigten und u.a. bei Politik und öffentlicher Verwaltung mehr Engagement für diesen Stoffstrom anmahnten. Dabei darf der Titel des Positionspapiers „Bioabfälle in der Kreislaufwirtschaft – endlich Potenziale heben“ auch gleichsam als Handlungsanweisung verstanden werden. So gehört eine Vollzugsoffensive zu den Verbandsforderungen aus dem Papier, um endlich die Kreisläufe von Bioabfällen in Deutschland zu schließen und damit einen erheblichen BeiSascha Roth (Foto: BDE)
18 2/2023 Bioabfall trag zur Einhaltung und Steigerung der Recyclingquoten für unsere Siedlungsabfälle zu leisten. Ein wichtiges Ziel ist es, die Menge der im häuslichen Restabfall befindlichen Bioabfälle im Bundesdurchschnitt bis zum Jahr 2025 um mindestens ein Drittel zu reduzieren und bis 2030 zu halbieren. Das ist ambitioniert, aber nicht unmöglich und angesichts der sich zuspitzenden Klimakrise eine low hanging fruit. Dazu sind konkrete Handlungsschritte nötig, wie zum Beispiel einer flächendeckenden Einführung der Biotonne. Man darf dabei auch getrost von einer „Pflichtbioabfalltonne“ sprechen. Die Getrenntsammelpflicht für Bioabfälle muss zudem vollumfänglich über das Sammelsystem der Biotonne umgesetzt werden. Freiwillige Sammelsysteme und Bringsysteme für Bioabfall haben sich in der Praxis nicht bewährt. Mehr noch: sie sind ein Grund, warum die Potenziale der Organik immer noch nicht ausgeschöpft werden können. Steigerung der Qualität unbedingt erforderlich Doch wir brauchen nicht nur mehr getrennt erfassten Bioabfall, sondern auch eine deutliche Steigerung der Qualität. Insbesondere in der Landwirtschaft ist eine hochwertige organische Düngung wichtig für den Erhalt der Bodenfruchtbarkeit und somit für eine nachhaltige und ressourcenschonende Landwirtschaft. Um die Qualität bei Kompost und Biogas zu steigern müssen jedoch einige Herausforderungen überwunden werden. So müssen die Ausgangsstoffe für die Herstellung von Biogas und Kompost sauber und frei von Verunreinigungen sein. Klar muss sein: Plastik und Glas haben in der Biotonne nichts zu suchen. Um das zu erreichen sind Informationskampagnen und Bildungsangebote unerlässlich, um das Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger für die Bedeutung der Getrenntsammlung zu stärken. Auch die gezielte Ansprache von bestimmten Zielgruppen – wie Mehrfamilienhäusern oder Unternehmen – kann dazu beitragen, die Menge an Bioabfällen in der Restmülltonne zu reduzieren und gleichzeitig die Qualität des getrennt erfassten Bioguts zu steigern. Auch technologisch geht noch mehr. Um die Verwertung von Bioabfällen weiter zu optimieren, müssen Innovationen und neue Technologien gefördert werden, damit sie sich am Markt gegen ökologisch minderwertige, aber billigere Behandlungsmethoden durchsetzen können. Außerdem muss das Kaskadenprinzip gestärkt werden, damit dieses bewährte Verfahren auf weitere geeignete Abfallströme Anwendung finden kann, um die Ausbeute an Biogas und Düngemitteln zu erhöhen. Rechtliche Rahmenbedingungen anpassen Ohne die rechtlichen Rahmenbedingungen anzupassen, wird es nicht gehen. Die Bioabfallverordnung muss dringend novelliert werden, um klare Vorgaben und Maßnahmen zur Getrenntsammlung von Bioabfällen festzulegen. Auch Mindeststandards für die Verwertung von Bioabfällen können dazu beitragen, die organische Abfallwirtschaft in Deutschland voranzubringen. Schlussendlich ist es wichtig, dass alle beteiligten Akteure – von den Bürgern und Bürgerinnen über die kommunalen Entsorgungsbetriebe bis hin zur Politik – eng zusammenarbeiten, um die organische Abfallwirtschaft in Deutschland zu verbessern. Nur so kann eine nachhaltige und ressourcenschonende Kreislaufwirtschaft aufgebaut werden, die einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leistet und zugleich die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und mineralischen Düngern reduziert. Nötig sind aber auch ein klarer politischer Wille und die passenden rechtlichen Rahmenbedingungen. Damit es gelingt, im Sinne des Klima- und Ressourcenschutzes die vorhandenen Mengenpotenziale zu heben, ist ein sachgerechtes Engagement für Bioabfälle auf allen politischen Ebenen erforderlich. Sascha Roth Zusammensetzung des Hausmülls in Deutschland. Bioabfälle machen rund 40 Prozent des Restmülls aus. Angaben in Gewichtsprozent. (Grafik: UBA) BDE-Positionspapier Bioabfall
19 2/2023 „In zehn Jahren werden wir über 130Millionen Tonnen Bioabfall in Europa haben“ Mit welchen Themen beschäftigt sich die Kompostierungsbranche derzeit? Die Herausforderungen liegen vor allem in der Sammlung. In Europa fallen jährlich etwa 130 Millionen Tonnen Bioabfall an, von denen heute weniger als die Hälfte getrennt gesammelt werden. Eindeutig eine verpasste Chance, denn nur getrennter Bioabfall kann kompostiert werden. Und wenn wir noch mal weiter herauszoomen und die ganze Welt betrachten, sprechen wir von über einer Milliarde Tonnen Bioabfall jährlich. Eine unglaublich große Menge. Man kann diese entweder als Gefahr für die Umwelt sehen, oder – und das wäre die positive Sichtweise – als Chance begrüßen: Es gibt weltweit ein großes Potenzial, auf nachhaltige Weise hochwertigen Kompost herzustellen, mit dem wir dem Boden wertvolle Mineralien zurückgeben. Was sind die Herausforderungen beim eigentlichen Kompostierungsprozess? Es gibt drei Bereiche, die eine Herausforderung darstellen: Geruch, Wasser und die erforderliche Fläche. Das größte Problem ist, insbesondere bei der offenen Kompostierung, sicherlich der Geruch, vor allem für die Anwohner. Denn bei der Kompostierung wird aufgrund von chemischen Prozessen Gas freigesetzt – und damit auch Geruch. Bei den Emissionen handelt es sich um Ammoniak sowie flüchtige organische Verbindungen (VOC, volatile organic compounds), der Oberbegriff für alle Chemikalien, die verdampfen und Kohlenstoff enthalten. Aus Sicht des Umweltschutzes sollten wir die Freisetzung dieser Gase in die Atmosphäre vermeiden. Auch benötigt ein Komposthauften ausreichend Feuchtigkeit, damit der Verrottungsprozess stattfinden kann. Er darf also nicht austrocknen, aber gleichzeitig auch nicht zu nass werden, also muss er vor zu viel Wasser geschützt werden, während die bestehende Prozess-Feuchtigkeit erhalten bleiben muss. Eine weitere Herausforderung stellt die Fläche dar, d. h. die Größe der Kompostieranlage. Eine günstige Größe einer Miete ist zum Beispiel acht Meter breit, drei Meter hoch und bis zu 50 Meter lang. Das erfordert eine große Fläche und damit natürlich entsprechend dem Platzbedarf eine hohe Investition. Die überarbeitete Waste Framework Directive (Richtlinie 2018/851/EU, §10) schreibt vor, dass bis Ende 2023 Bioabfälle entweder getrennt gesammelt oder an der Quelle recycelt werden. Gemeinden müssen sich daher mit den verschiedenen Kompostierungssystemen auseinandersetzen, um die zukünftig anfallende Organik sinnvoll zu behandeln. Derzeit gibt es ca. 3.800 Kompostanlagen in Europa, laut Prognose werden es 2030 zweimal so viel sein. Eine kosten- und ökoeffiziente Möglichkeit zur Produktion von hochwertigem Qualitätskompost ist der Einsatz von speziellen semipermeablen Membranen – eine moderne Technologie zur betrieblichen Einhausung von Kompostierungsanlagen. Einer der Marktführer auf diesem Gebiet ist die GORE Cover Systemtechnologie von W.L. GORE & Associates. Ulf Harig startete vor rund 20 Jahren als Geschäftsleiter für die Behandlung fester Abfälle bei W.L. GORE & Associates. Im Interview spricht der Experte unter anderem über die Herausforderungen und Chancen der Branche angesichts der neuen Verordnung. Bioabfall Foto: IMAGO/stock&people
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