wwt 5/2023

Praxismagazin für Trink- und Abwassermanagement Digitale Wasserwirtschaft: Modellbasiertes Management von Wasserextremen in urbanen Regionen Mit 22 Seiten Special: Wasser und Abwasser 4.0 5 Mai 2023 Fachkräftegewinnung: Ein Drittel der Fachkräfte fehlt in 15 Jahren – wie damit umgehen? wasserwirtschaft wassertechnik

02 GREEN.WORKS – GROWNOW WISSENSPARTNER Klimafreundliche Immobilien! Innovativ (um)bauen, Treibhausgase reduzieren. Wir zeigen Ihnen wie. Immobilien sind ein wesentlicher Emittent von Treibhausgasen. Was kann getan werden, damit sie klimafreundlicher werden? Lernen Sie, warum Immobilien zu Stranded Assets werden könnten. Verstehen Sie, wie Sie die Klimawirkung einer Immobilie bestimmen und verbessern. Erfahren Sie, was sich mit baulichen Maßnahmen und smarter Technik erreichen lässt. Jetzt zählt Wachstum: unternehmerisch, nachhaltig, persönlich JETZT ANMELDEN: Masterclass –28.03.2023 Deep Dive –04.05.2023 Masterclass Live – Ende Sept. www.how-green-works.de THEMA

1 5/2023 Die deutsche Wasserwirtschaft war bislang stets ein stabiler Anker. Damit dies auch künftig so bleibt, wurden in den vergangenen Monaten auf EU- und Bundesebene neue Strategien und gesetzliche Bestimmungen für die Wasserwirtschaft beschlossen. Mit der Nationalen Wasserstrategie, der neuen Trinkwasserverordnung, EU-Kommunalabwasserrichtlinie, dem Energieeffizienzgesetz und der ab Ende Juni in Kraft tretenden EU-Verordnung zur Wasserwiederverwendung wurden „Regelwerke“ und damit verbunden auch die Anforderungen an die Wasserwirtschaft neu justiert. Um ihnen gerecht zu werden, hilft es nicht allein innovative Technologien zu entwickeln und schnellstmöglich zu implementieren. Dafür bedarf es vor allem zahlreicher, sehr gut qualifizierter Fachkräfte. Diese Erkenntnis ist nicht neu, doch was haben wir bislang gelernt? Die Zahl der Branchen, die mit dem Fachkräftemangel nicht zurechtkommen, steigt unentwegt weiter. So signalisiert das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung einen zunehmenden Fachkräftemangel in relevanten Berufen der Wasserversorgung und Abwasserwirtschaft. In den nächsten 15 Jahren werden ca. 50 % der Fachkräfte in den Branchen Energie, Trinkwasser und Abwasser in den Ruhestand gehen. Die Digitalisierung und KI können hierbei sicher einiges an Aufgaben kompensieren, aber Erfahrungswissen ist nicht übertragbar. Und wer will unter diesen Umständen kontrollieren, ob die IT zielgerecht funktioniert? Letztlich bremst der Fachkräftemangel die Innovationskraft der Unternehmen. Und das in einer Zeit, in der nicht nur unsere Gesellschaft – schneller denn je – nach Lösungen für den Umgang mit Klima-, Verschmutzungs- und Ressourcenkrise suchen muss. Wie die Lücke auszufüllen ist, bleibt die alles entscheidende Frage. Hier vorrangig auf gut ausgebildete Fachkräfte aus dem Ausland zu setzen, kann nicht der goldene Weg sein. Kurzfristig gesehen spart er hierzulande Zeit und Kosten bei der Bildung, hilft aber deren Heimatstaaten aufgrund ähnlicher Herausforderungen keinesfalls. Dem demografischen Wandel entgegenzuwirken, für eine deutlich gesteigerte Qualität in der schulischen Bildung zu sorgen und Schüler frühzeitig an Berufe heranzuführen, sind eher einige der Antworten. Bei der Neuordnung der umwelttechnischen Berufe gibt es Initiativen, mit deren Hilfe es gelingen soll, umwelttechnische Berufe attraktiver zu gestalten und Ausbildungsinhalte an geänderte Rahmenbedingungen wie Digitalisierung und Klimawandel bis zum Sommer 2023 anzupassen. Derartige Aktivitäten entwickeln erfreulicherweise Branchenverbände, Hochschulen und Universitäten. Das Ringen um Lösungen und die Präsentation beispielhafter Projekte der Fachkräftegewinnung und -sicherung begleiten das Fachmagazin wwt seit langem. Mit der Initiative „Nachwuchspreis Deutsche Wasserwirtschaft“ suchen wir alle zwei Jahre gemeinsam mit der DWA Nord-Ost und den Berliner Wasserbetrieben nach herausragenden Abschlussarbeiten. Vielleicht befindet sich unter den diesjährigen Preisträgern Ihr künftiges Teammitglied? Innovationskraft gebremst! Die Google-Welt der Kinder und Jugendlichen entspricht häufig nicht der Realität. So bleibt für sie oftmals im Unklaren, wie sich Berufsbilder u. a. in der Wasserwirtschaft gewandelt haben, dass sie abwechslungsreich, spannend, technisch, sinnvoll und auch langfristig sicher sind. Kommentar Nico Andritschke, Redaktionsleitung, andritschke@wwt-online.de Quelle:privat

2 www.umweltwirtschaft.com Special: Wasser & Abwasser 4.0 Projekte und Technologien 10 Modellbasiertes Management von Wasserextremen in urbanen Regionen Lars Backhaus; Dr. Karsten Rink; Diego Novoa Cybersecurity 15 Cyberangriffe auf kritische Infra- strukturen zuverlässig abwehren Dieter Barelmann Datenmigration 20 Prozessoptimierung – Migration von IS-U nach S/4HANA Utilities Yvonne Röber Produkte und Projekte 24 Smartes Wassermanagement durch sichere, langlebige Komponenten Wevo-Chemie GmbH 24 Radarsensorsystem LPR-1DHP-350 – Einstiegslösung und Ultraschall- ersatz Symeo GmbH Inhalt Titelbild: Kosten senken und die Umwelt schonen: Das war das Ziel der Modernisierungsmaßnahmen auf der Kläranlage Oschersleben. Zum Einsatz kommen drei Turbogebläse von Aerzen – platzsparend eingebaut in einen 20-Fuß-Seecontainer. Das Ergebnis: Senkung der Energiekosten in der biologischen Reinigung um ein Drittel. Quelle: Aerzen Kommentar 1 Innovationskraft gebremst! Nico Andritschke Wasserszene 4 Neue Trinkwasserverordnung verabschiedet DVGW e. V. 4 Landesverbandstagung 2023 – Gewässergüte und Klimaschutz DWA Nord-Ost 5 Nachhaltige, flexible Grundwasser- bewirtschaftung in Ballungszentren Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung 5 Erste schwimmende Messstation vor Rügen Bundesumweltministerium 6 Investieren und weiter Wasser sparen Berliner Wasserbetriebe 7 Arbeit am Grundwassermodell Lausitz startet 2023 Sächsisches Staatsministerium für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft 8 Kaskadeneffekt durch geringere Wasserverfügbarkeit verhindern Im Gespräch mit Anna Poberezhna 25 Neue Materialdatenbank für Trinkwasserprodukte DVGW CERT, figawa, KIWA Projekte und Technologien 26 Digitale Partizipation am Fluss: EGLV setzen auf Mängelmelder Christin Pfeffer Praxisbericht 30 Sentry – neuartiges Messsystem für biologische Aktivität Gimat GmbH Klärtechnik Projekte und Technologien 32 Kläranlage Altena reinigt erfolg- reich nach dem Nereda-Verfahren Martin Boeckh 36 Turbo-Trio auf der Kläranlage Oschersleben spart Energie Sebastian Meißler Phosphorelimination 38 Wie mit dem Fällmittelnotstand auf Kläranlagen umgehen? Cora Eichholz; Dr. Claus-Gerhard Bannick; Prof. Dr.-Ing. Matthias Barjenbruch; Prof. Dr.-Ing. Peter Hartwig Der Anomalieerkennung in der Leit-, Automatisierungs- und Fernwirktechnik muss absolute Aufmerksamkeit geschenkt werden! Quelle: Videc

3 5/2023 Aktuelle Studie: Wie ist mit dem Fällmittelnotstand auf Kläranlagen umzugehen? Quelle: IMAGO / Hans Blossey Fachkräftegewinnung Strategien und Konzepte 42 Fachkräftegewinnung – aktuelle Situation und Lösungsansätze Zuzana Blazek; Jurek Tiedemann 46 H2DU – Recruiting auf Augenhöhe Birgit Schulze-Gabriel; Frank Haase 50 Digitalisierung als Part der Mission „Fachkräftesicherung“ Dr. Rolf Schwen; David Rzodeczko Rohre & Kanäle Produkte und Projekte 53 Hightech im Klärwerk Erlangen Bayerisches Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz Veranstaltungen 54 Herausforderungen angehen, Expertise im Doing gewinnen 35. Oldenburger Rohrleitungsforum Umwelt Projekte und Technologien 56 Seseke – ein Hotspot der Arten- vielfalt Emschergenossenschaft / Lippeverband 58 Gemeinsam für eine wasser- bewusste Stadt! DWA e. V. Gewässerschutz 59 Ströme der Erde – Teil 17: Die Lena Dr. Wolfgang Berger Rubriken 53 Adressen für Fachleute 58 Impressum S. 38 WENN MATERIAL DEN UNTERSCHIED MACHT ... KROHNE DRUCKMESSTECHNIK – FÜR DEN FEINEN UNTERSCHIED Erfahren Sie mehr über die OPTIBAR Serie: druckmesstechnik-wasser.krohne.com • Robuste keramische Membran für raue Umgebungen • Langlebige, widerstandsfähige Materialien • Vakuumbeständig unter allen Temperaturen • Standardgehäusewerkstoff aus robustem, korrosions- beständigem Edelstahl 316L • Breite Auswahl an branchen- spezifischen Drucktransmittern, Druckmittlern und Wirkdruckgebern berlinerwasser.de/karriere S. 15

4 www.umweltwirtschaft.com sich der Grenzwert, den die Europäische Trinkwasserrichtlinie erstmals für Legionellen festlegt, vom deutschen Wert. Dies wird zu Änderungen im deutschen Trinkwasserrecht für den Bereich der Trinkwasserinstallationen füh- ren. Der Grenzwert für Blei wird nochmals herabgesetzt, sowohl im Trinkwasser als auch in den verwendeten Materialien und Werkstoffen. Es wird ein Verbot für Bleileitungen geben. Bisher konnten Bleileitungen in der Versorgung belassen werden, solange der Grenzwert nicht überschritten wurde. Nun müssen diese Leitungen innerhalb einer Frist stillgelegt oder ausgetauscht werden. Eine Auftaktveranstaltung des DVGW Berufliche Bildung am 25. Mai in Bonn wird die Änderungen vorstellen.  DVGW e. V. www.dvgw-veranstaltungen.de/ top-themen/trinkwasserverordnung und im Körper von Menschen und Tieren an und können dort zu toxikologischen Schäden führen. Wasserversorger müssen PFAS gegebenenfalls mit hohem technischem Aufwand herausfiltern. Diese Kosten sind letztlich von den Verbrauchern zu tragen. „End-of-Pipe-Ansätze sind definitiv keine Lösung. Die forcierte Aufbereitung des Trinkwassers würde das Problem nur einseitig auf die Wasserversorgung verlagern und ihr allein den „Schwarzen Peter“ zuschieben. Stattdessen muss nun endlich eine europaweite oder besser weltweite Reglementierung für PFAS greifen. Ihre Herstellung und Anwendung müssen auf wenige essenzielle Zwecke beschränkt sein. Ziel muss eine Vermeidung dieser Stoffe bereits an der Quelle der Verschmutzung sein. Diese Stoffe dürfen gar nicht erst in die Umwelt gelangen“, so Berthold Niehues. Andere Parameterwerte wurden geändert. So unterscheidet DVGW e. V.: Neue Trinkwasserverordnung verabschiedet Durch den Bundesrat wurde am 31. März 2023 eine überarbeitete und neu strukturierte Trinkwasserverordnung verabschiedet. Mit einer Vielzahl von Anpassungen nimmt sie die Änderungen der seit 2021 geltenden Europäischen Trinkwasserrichtlinie auf. Aus Sicht des DVGW wird die neue Trinkwasserverordnung in vielen Punkten den Anforderungen der Branche an ein modernes Trinkwassermanagement gerecht. Risikomanagement Erstmals schreibt die Verordnung verpflichtende umfassende Regelungen zur Gefährdungsanalyse und Risikoabschätzung für die Wasserversorgung vom Rohwasser bis zur Entnahmearmatur bei den Verbrauchern fest. “Wir begrüßen den umfassenden risikobasierten Ansatz. Er ist seit vielen Jahren im DVGW-Regelwerk etabliert. Durch die neuen Regelungen der Trinkwasserverordnung wird sichergestellt, dass nun auch die Untersuchungspläne künftig passgenau auf die jeweilige Wasserversorgungsanlage ausgelegt werden können“, erklärt Berthold Niehues, Leiter Wasserversorgung beim DVGW. Neue und geänderte Qualitätsparameter Zu den neu eingeführten Parametern, auf die die Wasserversorgungsunternehmen das Trinkwasser untersuchen müssen, gehören beispielsweise PFAS. Diese Ewigkeitschemikalien werden nicht vollständig abgebaut. Sie reichern sich in der Umwelt Wasserszene Landesverbandstagung der DWANord-Ost: Gewässergüte und Klimaschutz umfangreichen Industrieausstellung. Eine besondere Abendveranstaltung über den Dächern Berlins rundet das Programm ab.  DWA-Landesverband Nord-Ost www.dwa-no.de ökologische Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen, Förderprogramme für die Gewässerentwicklung und praktische Beispiele zur Klimaanpassung stehen auf der Agenda. Ein weiterer wichtiger Programmpunkt ist die Verleihung des „Nachwuchspreises Deutsche Wasserwirtschaft 2023“. Mit diesem Preis werden die besten Bachelor-, Master- und Dissertationsarbeiten von jungen Hochschulabsolventen prämiert. Begleitet wird die Tagung von einer Unter dem Titel „Gewässergüte und Klimaschutz – ein Widerspruch?“ findet am 26. und 27. Juni 2023 die Landesverbandstagung der DWA Nord-Ost statt. Themen wie die Nationale Wasserstrategie, die Gewässergüte und das Niedrigwasserkonzept des Landes Brandenburg, die Klimaauswirkungen und Klimaanpassungen der Abwasserbranche, Gewässerrenaturierung sowie Niedrigwasserauswirkungen stehen dabei im Fokus der Betrachtung. Hochkarätige Referenten werden dazu ihre Erkenntnisse und Schlussfolgerungen vortragen. Der Festvortrag des Meteorologen Thomas Hain vom Deutschen Wetterdienst wird auf das Hauptthema einstimmen. Der neue Vorstandsvorsitzende der Berliner Wasserbetriebe, Professor Christoph Donner, wird sich zur Landesverbandstagung erstmals in seiner neuen Funktion vorstellen und den Beitrag des Unternehmens zum Umbau Berlins zur klimaresilienten Metropole erläutern. Weitere Themen wie Eine Gefährdungsanalyse und Risikoabschätzung für die Wasser- versorgung vom Rohwasser bis zur Entnahmearmatur wird zur Pflicht. Quelle: Imago / Chromorange Die Landesverbandstagung der DWA Nord-Ost sowie die Preisverleihung zum „Nachwuchs- preis Deutsche Wasserwirtschaft 2023" finden im Hotel Vienna House Andel's Berlin statt. Quelle: Andritschke

5 5/2023 Main-Gebiets, die mit einem Nutzungskonflikt zwischen Was- serversorgung, Landwirtschaft und Naturschutz konfrontiert sind, übertragen werden. Das anwendungsorientierte Forschungsprojekt wird durch das BMBF gefördert. Projektpartner sind die TU Darmstadt, BGS Umwelt, Hessenwasser GmbH & Co KG, das Hessische Landesamt für Naturschutz und Geologie, BGD Ecosax und die Nordwestdeutsche Forstliche Versuchsanstalt. Als Praxispartner sind das Hessische Umweltministerium, die Stadt Frankfurt/Main und der Landkreis Groß-Gerau beteiligt.  Fraunhofer ISI www.w-rm.de szenarien quantifiziert und bewertet. Auf Basis von Feld- und Laboruntersuchungen wird mit betroffenen Akteuren ein integrierter Maßnahmenplan mit konkreten, direkt nutzbaren Bewirtschaftungsoptionen erarbeitet. Auch dafür notwendige Instrumente und Governance-Strukturen werden erörtert. Besonderer Schwerpunkt des Fraunhofer ISI im Projekt ist die Einbindung relevanter Stakeholder zur Bewertung der Umsetzbarkeit und Akzeptanz von Maßnahmen und die Erarbeitung eines Policy-Modells. Die Ergebnisse sollen auch auf vom Klimawandel betroffene Gebiete außerhalb des RheinFraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung: Nachhaltige, flexible Grund- wasserbewirtschaftung in Ballungszentren Grundwasser ist die entscheidende Wasserressource für die Metropolregion Frankfurt/ Rhein-Main. Doch die Qualität des Grundwassers ist gefährdet und die verfügbaren Wassermengen in der Region werden knapper. Der wachsende Ballungsraum, wichtige Naturräume sowie die intensive regionale Landwirtschaft mit ihrem steigenden Bewässerungsbedarf erheben immer mehr Ansprüche. Klimawandel und Bevölkerungswachstum verschärfen die Nutzungskonflikte und verlangen umfassende Lösungskonzepte für ein nachhaltiges und flexibles Wassermanagement. Im Verbundprojekt WaRM entwickeln insgesamt zehn Partner aus Forschung, Industrie und Verwaltung in den kommenden drei Jahren unter Leitung des Fraunhofer ISI ein Wassersystemmodell am Beispiel der Metropolregion. Das Projekt zielt darauf ab, das Konfliktpotenzial um die Wasserressourcen zu verringern. Untersucht werden geeignete Maßnahmen zur Steigerung von Wasserdargebot und -qualität und zur Verbesserung der Wassernutzungseffizienz. Dazu integriert das Wassersystemmodell numerische Modellierungsansätze mit Maßnahmenwirkungen unter Berücksichtigung möglicher Zukunftsszenarien. Der Einfluss unterschiedlicher Maßnahmen auf Grundwasser und Wasserbedarf wird unter Berücksichtigung von Wandel- Für die Metropolregion Frankfurt/Rhein-Main müssen umfassende Lösungskonzepte für ein nachhaltiges und flexibles Wassermanagement entwickelt werden. Quelle: Imago / Panthermedia Projekte Meeresnaturschutz: Erste schwimmende Messstation vor Rügen gebiete des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) ausgebracht, womit eine Vorgabe aus den Gebietsmanagementplänen umgesetzt wird, die seit 2022 in Kraft sind. Die Messinstrumente sind an 365 Tagen im Jahr in Betrieb. Ein Teil der Daten kann in Echtzeit mittels Satelliten- oder GSM-Verbindung abgerufen werden, die übrigen Daten werden aufgezeichnet und jeweils im Zuge der Wartungsarbeiten durch das BfN alle 90 Tage abgerufen.  Bundesumweltministerium www.bmuv.de biologische und ozeanografische Monitoring als Grundlage für das Gebietsmanagement bereit. Einsatzort der ersten Datentonne ist das Naturschutzgebiet Pommersche Bucht-Rönnebank östlich der Ostseeinsel Rügen, das ein Komplexgebiet darstellt, in dem verschiedene Schutzregime aneinandergrenzen oder sich räumlich überlagern. Es vereint damit die europäischen Natura2000-Gebiete, die nach FaunaFlora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) und Vogelschutzrichtlinie (VRL) geschützt werden. Die Datentonnen werden Schritt für Schritt in alle MeeresschutzBundesumweltministerin Steffi Lemke und BfN-Präsidentin Sabine Riewenherm nahmen gemeinsam am 24. April 2023 bei Rügen die erste schwimmende „Datentonne“ in der Ostsee in Betrieb. Begleitet wurden sie von Sebastian Unger, Meeresbeauftragter der Bundesregierung. Die etwa 4 m hohe und 900 kg schwere Messstation wird künftig an der Meeresoberfläche schwimmen. Sie soll künftig wichtige Informationen für das Management der Meeresschutzgebiete in der Ostsee liefern und zeichnet dabei hydrologische und meteorologische Daten auf und dokumentiert das Vorkommen von Schweinswalen und Fledermäusen sowie die Befahrung des Schutzgebietes. Damit stellt die Datentonne umfassende Umweltbasisdaten für das Die Messstation erfasst künftig Daten für den Meeresnaturschutz Quelle: Sören Dürr / BfN

6 www.umweltwirtschaft.com Wasserszene Gewässern und dem Stadtgrün gleichermaßen. Deshalb werden alle Klärwerke bis 2027 mit einer weitergehenden Abwasserreinigung ausgestattet. Neue Wege der Personal- gewinnung Als einer der größten Arbeitgeber der Region beschäftigen die Berliner Wasserbetriebe 4.636 Mitarbeiter. Die Ausbildungsquote von 6,7 % zeigt den hohen Stellenwert, den die innerbetriebliche Ausbildung für das Unternehmen hat. Im vergangenen Jahr starteten die Wasserbetriebe eine Initiative, um künftig noch mehr Fach- und Führungskräftenachwuchs zu gewinnen: Neu ist der Abschluss von Vereinbarungen zur Schulkooperation. So wollen die Wasserbetriebe Schüler frühzeitig und direkt auf die vielfältigen Karrierechancen in der Wasserwirtschaft aufmerksam machen. Gemeinsam mit dem Fachmagazin wwt und dem DWA-Landesverband Nord-Ost engagieren sich die Berliner Wasserbetriebe darüber hinaus schon viele Jahre als Premiumpartner für den wissenschaftlichen Nachwuchs. Dazu wurde 2018 der „Nachwuchspreis Deutsche Wasserwirtschaft“ initiiert, der seitdem alle zwei Jahre für herausragende wissenschaftliche Abschlussarbeiten vergeben wird.  Berliner Wasserbetriebe www.bwb.de ten Umgang der Menschen mit Warmwasser lag. In den Sommermonaten stieg der Verbrauch gegenüber dem Vorjahr, hier wurden in den Wasserwerken erstmals „Mitternachtsspitzen“ registriert, die auf eine vermehrte automatisierte Gartenbewässerung zurückzuführen sind. „Diese Veränderungen im Verbrauchsverhalten sind ein guter Start, reichen aber noch nicht, um die Ressource wirksam zu entlasten“, so Christoph Donner, Vorstandsvorsitzender der Berliner Wasserbetriebe. „Natürlich leisten auch wir einen Beitrag dazu, etwa indem wir unsere Infrastruktur auf dem neuesten Stand halten und mit unseren Partnern in Brandenburg in der Initiative Trinkwasserversorgung Metropolregion weiter daran arbeiten, Wasser über die Landesgrenzen hinweg zu bewirtschaften.“ RegionalenWasserkreislauf stärken Unter schwierigen Bedingungen wurden im zurückliegenden Geschäftsjahr ca. 100 Mio. € in die Reinigungsqualität und Leistungsfähigkeit der Klärwerke investiert – und damit in die Stärkung des regionalen Wasserkreislaufs. Das gereinigte Abwasser ist eine begehrte Ressource und wird als solche immer wichtiger, muss aber noch viel stärker zur Stützung des gesamten regio- nalen Wasserkreislaufs beitragen. Das hilft der Ressource, den Jahresbilanz 2022 der Berliner Wasserbetriebe: Investieren und weiter Wasser sparen Die extreme Hitze und Trockenheit im Jahr 2022 hat dafür gesorgt, dass der Trinkwasserverkauf mit 215,5 Mio. m3 auf dem Niveau des Vorjahres blieb. Das ist auch angesichts einer auf 3,85 Mio. Einwohner gewachsenen Bevölkerung (+ 75.000, steigende Tendenz) zwar kein schlechtes Ergebnis, aber von einer Entlastung der Trinkwasserressourcen weit entfernt. Aufgrund ausbleibenden Regens ist die Abwassermenge leicht gesunken: um 12,5 Mio. m3 auf 248 Mio. m3. 2022 erwirtschafteten die Berliner Wasserbetriebe einen Jahresüberschuss von 266,3 Mio. € (+ 66 Mio. €), wovon 177,5 Mio. € für den Landeshaushalt erwirtschaftet wur- den (+ 55 Mio. €). „Ich freue mich sehr, dass wir mit dem neuen Vorstandsvorsitzenden Prof. Dr. Christian Donner einen erfahrenen Wasserexperten gewinnen konnten. Gleichzeitig möchte ich mich bei der Vorständin Kerstin Oster und dem Vorstand Frank Bruckmann herzlich für ihren Einsatz bedanken, bis das Führungsteam wieder komplett war“, sagte der scheidende Wirtschaftssenator und Aufsichtsratschef Stephan Schwarz. „Die Berliner Wasserbetriebe als wichtiges Unternehmen der Daseinsvorsorge sind der Garant dafür, dass Berlin trotz der He- rausforderungen durch den Klimawandel und der steigenden Bevölkerungszahl auch weiterhin mit ausreichend Wasser in gewohnt hoher Qualität versorgt wird. Der nachhaltige und schonende Umgang mit der Ressource Wasser – u. a. durch ein umfassendes Wassermanagement – spielt dabei auch zukünftig eine entscheidende Rolle bei der Weiterentwicklung Berlins zu einer klimaresilienten Stadt.“ Die Investitionen liegen mit 401,5 Mio. € (+ 4,5 Mio. €) in etwa auf dem Vorjahresniveau, aber unter Plan. Ursachen dafür sind Nachwirkungen der Corona-Pandemie und die kriegsbedingten globalen Lieferkettenprobleme ebenso wie Verzögerungen bei Genehmigungen und Ausschreibungen. Wassergebrauch pro Kopf sinkt, ist aber noch zu hoch Aufgrund der klimatischen Entwicklung sind die Grundwasserstände in den Einzugsgebieten der neun Wasserwerke in weiten Bereichen weiter gesunken, teils um mehr als 75 cm im Vergleich zum langjährigen Mittel. Der natürliche Wasserspeicher im Untergrund ermöglicht es, einige trockene Jahre zu überbrücken, aber mittelfristig müssen die Vorräte wieder aufgefüllt werden. Auch deshalb ruft das Unternehmen unter dem Motto „Wasser kommt nicht aus dem Hahn“ zum sorgsamen Umgang mit der Ressource Wasser auf. Mit einigem Erfolg: Der Wasserverbrauch im Haushalt sank auf 118 l/EW (– 5 l/EW). Dieser Spar- erfolg wurde vor allem seit September erzielt, was am veränderTrotz sinkendem Trinkwasserverbrauch ist Berlin von einer Entlastung der Trinkwasserressourcen weit entfernt. Quelle: Berliner Wasserbetriebe

7 5/2023 Projekte Sachsen, Brandenburg und Bund: Arbeit am Grundwassermodell Lausitz startet 2023 Sachsen wird gemeinsam mit Brandenburg und dem Bund ein „Grundwassermodell Lausitz“ entwickeln. Es soll als wesentliche Basis für die Wasserbewirtschaftung der Lausitz im Strukturwandel dienen und gemeinsam genutzt werden. Der Aufbau des Grundwassermodells soll noch 2023 beginnen und bis Ende 2027 abgeschlossen sein. Es wird voraussichtlich eine Fläche von mehr als 5.000 km2 umspannen. Die Gesamtkosten liegen bei 8,96 Mio. €, wovon Sachsen gut 1,34 Mio. € übernimmt. Die Wasserwirtschaft in der Lausitz gilt aufgrund der Bergbaufolgen und des Sanierungsbedarfs der Tagebaue als hochkomplex. Hinzu kommen die regionale und länderübergreifende Ausdehnung des Gebietes, die Auswirkungen der Klimakrise sowie eine Vielzahl an Nutzungen und Nutzern. Dies macht die Erstellung eines Grundwassermodells notwendig. Zur Bewirtschaftung von Spree und Schwarze Elster besteht bereits ein Modell, das unter anderem der Wasserversorgung, der Wiederauffüllung der Speicher oder auch der Flutung und Nachsorge von Bergbaufolgegewässern dient. Ein entsprechendes Modell für die Bewirtschaftung von Grundwasser gibt es in der Lausitz bislang nicht. Hydrogeologische Modelle der Bergbauunternehmen reichen für die Gesamtheit der Aufgaben und der Fläche nicht aus, sollen aber einbezogen werden. Grund- und Oberflächenwasser werden künftig modelltechnisch verknüpft, was eine wesentliche Voraussetzung für ein umfassendes Wasser- management ist. Mit der Erstellung des Grundwassermodells kommen die Partner einer Entschließung des Bundestages vom Juli 2020 im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Kohleausstiegsgesetzes nach. Der Bund beteiligt sich zu Grundwassermessstelle neben einer Ackerfläche Quelle: Imago / Countrypixel 70 %, das Land Brandenburg und der Freistaat Sachsen zu je 15 % an den Kosten.  Sächsisches Staatsministerium für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft www.smekul.sachsen.de Die neue UPA S 250, eine Klasse für sich: Keine andere 10“-Brunnenpumpe hat aktuell einen niedrigeren Energieverbrauch. Korrosionsbeständig und abriebfest gefertigt, flexibel einsetzbar und mit individuell gefertigten Laufrädern erhältlich: Eine Unterwassermotorpumpe, auf die Sie sich Jahrzehnte verlassen können. Mehr auf www.ksb.de BRINGT EFFIZIENZ IN EINE NEUE DIMENSION. On-Line mit KSB: Jeden Mittwoch, 10-11 Uhr On-Line mit KSB. Melden Sie sich an.

8 www.umweltwirtschaft.com Winterdürre in Frankreich, niedrige Pegelstände auf deutschen Flüssen, Überschwemmungen in Pakistan: Das Thema Wasser ist in jüngster Vergangenheit immer virulenter geworden. Was bedeutet all das für Unternehmen? Die Expertin Anna Poberezhna beschreibt im Gespräch mit wwt die gegenwärtige Situation und wie damit umzugehen ist. wwt: Frau Poberezhna, das Weltwirtschaftsforum veröffentlicht jährlich einen globalen Risikobericht. In der aktuellen Ausgabe heißt es, dass es innerhalb der nächsten zehn Jahre zu Wasserkriegen kommen könnte. Wie realistisch ist das? Poberezhna: Wassersicherheit ist der Schlüssel zu geopolitischer und wirtschaftlicher Sicherheit. Der Wasser- und der Kohlenstoffkreislauf sind die wichtigsten ausgleichenden Kräfte des Erdsystems und die Garantie für das Überleben der Menschheit. Das Weltwirtschaftsforum ist daher nicht die einzige Organisation mit dieser Einschätzung. Sowohl die Wissenschaft als auch die Geschichte belegen, dass in den letzten 4000 Jahren die meisten Kriege um Ressourcen und die Kontrolle der Handelskorridore, einschließlich der Flüsse und der Schifffahrt, geführt wurden. wwt: Ist Wasserunsicherheit ein Phänomen, das in erster Linie Länder betrifft, die ohnehin trocken sind? Oder wird sie zunehmend auch zu einem west- und nordeuropäischen Problem? Poberezhna: Es ist ein globales Problem. Die ausgetrocknete Poebene in Italien, die niedrigen Pegelstände des Rheins und der trockene Winter in Frankreich sind nur die jüngsten Beispiele dafür, dass sauberes Süßwasser weltweit und in Europa zu einem äußerst knappen Gut wird. Der weltweite Wasserverbrauch ist in den vergangenen 100 Jahren um 600 % gestiegen. In den vergangenen 20 Jahren waren drei von vier Katastrophen weltweit wasserbedingt, wobei laut den Vereinten Nationen die langfristigen Auswirkungen von Dürren und Überschwemmungen mehr als 3 Mrd. Menschen betreffen, mehr als 166.000 Menschenleben fordern und nach vorsichtigen Schätzungen 700 Mrd. Dollar kosten könnten. wwt: Wie hängen die Wasserkreisläufe zusammen? Poberezhna: Zur Wiederherstellung der übernutzten Wasserökosysteme ist eine globale Zusammenarbeit erforderlich. Die jüngsten wissenschaftlichen Berichte beweisen, was wir im Prinzip schon wussten, nämlich dass alles miteinander verbunden ist: Wenn wir den Amazonas-Regenwald abholzen, verlieren wir eine natürliche Feuchtigkeitspumpe. Das wiederum bedeutet, dass die Gletscher im Norden und Süden an Eismasse verlieren. Das wiederum beeinflusst den Pegelstand von Flüssen und Seen. wwt: Die Gletscher in den Alpen schmelzen. Mit ihrem Wasser speisen sie Flüsse wie den Rhein, die Rhone, den Po und die Donau. An diesen Flüssen befinden sich die wichtigsten Wirtschaftszentren Europas. Was wird passieren, wenn diese Flüsse im Sommer immer weniger Wasser führen? Poberezhna: An einem der heißesten Tage im August fuhr ein mit 250 t Wassermelonen beladener Lastkahn 750 km von Cherson über den Dnipro, den fünftgrößten Fluss in Europa, nach Kiew. Die Geschichte wurde sofort zum Hit, da sie nicht nur den Geschmack des Sommers und das Bewusstsein für die Gesundheit der Flüsse hervorhob, sondern auch wichtige ökologische Aspekte aufzeigte: Mit der gleichen Menge an Treibstoff kann der Flusstransport 2,5-mal mehr Fracht transportieren als der Straßentransport und 30 % mehr als der Schienentransport. In der EU sind 16,3 Mio. Unternehmen in stark wasserabhängigen Sektoren tätig, das sind circa 46 % aller Firmen mit 25 Mio. gefährdeten Arbeitsplätzen. Schließlich sind die Gewässer auch direkte Einnahmequellen: 800 Mrd. €/a an Einnahmen durch Freizeitbesuche an Gewässern stehen 100 Mrd. € an entgangenen Möglichkeiten aufgrund schlechter Wasserqualität gegenüber. wwt: Wie gut sind sich Unternehmen, die Wasser verwenden, dieser Wasserrisiken bewusst? Im Gespräch mit Anna Poberezhna Kaskadeneffekt durch geringere Wasserverfügbarkeit verhindern Längere Hitzephasen, geringere Niederschläge und hohe Ressourcenverbräuche verschlechtern das in Qualität und Quantität verfügbare Trinkwasserdargebot zunehmend. Konzepte sind gefragt. Noch wichtiger ist deren zügige Umsetzung durch Gesellschaft und Industrie. Anna Poberezhna ist Expertin für Nachhaltigkeit und Technologie mit einer Spezialisierung auf Wasser. Die gebürtige Ukrainerin ist Chefin und Gründerin von ClearHub, einem Unternehmen mit Fokus auf die Entwicklung nachhaltiger Ressourcen und Infrastruktur. Quelle: privat Wasserszene

9 5/2023 Es geht also auch um Wettbewerbsvorteile. Insgesamt sind die Voraussetzungen in Westeuropa im Vergleich zu anderen Regionen der Welt gut, um Wasserrisiken erfolgreich managen zu können. wwt: Die Themen Nahrung, Wasser und Energie sind sehr eng miteinander verbunden. Ohne Energie haben wir kein Wasser, ohne Wasser haben wir keine Energie und ohne Energie und Wasser haben wir keine Lebensmittel. Wie können diese Zusammenhänge genutzt werden, um den Wasserverbrauch zu senken? Poberezhna: Alles hängt von diesem Nexus ab, der entweder zu einem symbiotischen System, das sich mit der Zeit regeneriert, oder zum schlimmsten Albtraum werden kann. Weltweit wurden 51 solche Cluster untersucht und dabei wurde ein Multiplikationseffekt nachgewiesen. Es hängt jedoch von den Entscheidungsträgern ab, ob er negativ oder positiv sein wird. Ein Mix aus naturbasierten Lösungen wie Feuchtgebieten und Mangroven zusammen mit unterschiedlichsten Industrieanlagen sorgt für Widerstandsfähigkeit und bringt einen echten wirtschaftlichen Wert. Und er bringt uns weg vom linearen Denken und macht Komplexität schön. Wir kämen zu einem dynamischen Gleichgewicht als einer Kunst der Entscheidungsfindung und des fließenden Handelns. Letztendlich sind wir nur ein kleiner Teil des gesamten Erdsystems, der es aber geschafft hat, den größten Teil davon zu zerstören. Es ist Zeit für ein harmonisches Gleichgewicht, dem echte Werte folgen werden. Das Gespräch führte Daniel Baumann.  ClearHub https://clearhub.earth Poberezhna: Es gibt ausreichend Studien und Berichte zu diesem Thema, sodass das grundlegende Verständnis meiner Meinung nach nicht mehr das Problem ist. Vielmehr geht es darum, Kreisläufe zu schließen und Alternativen zu schaffen, die auf wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen und echten Veränderungen beruhen. Wie bereits erwähnt, ist uns durchaus bewusst, dass Wasserknappheit zu großen wirtschaftlichen und finanziellen Verlusten führt. Was noch fehlt, sind praktische, kohärente und systemische Ansätze und die entscheidende Mehrheit, um Lösungen zu skalieren. wwt: Aber haben die Unternehmen das Thema ausreichend auf ihrer Agenda? Poberezhna: „Ausreichend“ kann für das eine Unternehmen eine ganz andere Bedeutung haben als für das andere, da die Wassersituation durch lokale Ökosysteme definiert wird. Eine Reihe von Organisationen, darunter CDP, WWF und Save Aral, sowie führende Wasserexperten arbeiten weiter daran, das Bewusstsein und die Kapazitäten zu stärken, um die Wasseragenda auf eine Stufe mit dem Pariser Klimaabkommen zu bringen. Sind die Maßnahmen und Ergebnisse schon ausreichend? Sicherlich nicht, denn wir marschieren unbekümmert in die globale Wasserkrise hinein – der Nahe Osten wird zu einem der am schnellsten unbewohnbaren Orte. China hat bereits die meisten seiner Flüsse zerstört und drängt auf die vollständige Kontrolle über Tibet, den regionalen Wasserturm. Wie sollten die Unternehmen also anders handeln, wenn die Regierungen als Hauptverantwortliche für das Wasser das Problem nicht angehen? wwt: Sehen wir schon jetzt, dass Wasserknappheit Investitionen gefährdet? Poberezhna: Auf jeden Fall. In Chile wurde ein beträchtlicher Teil des Kapitals, das in die Erschließung des Bergbaus und die Kupferproduktion geflossen ist, zu einem schwarzen Loch in den Bilanzen einer Reihe von Unternehmen. Der Colorado River in den USA ist das weltweit berüchtigtste Beispiel für Wassermisswirtschaft, Versicherungsprämien gehen dort durch die Decke. Die Halbleiterindustrie in Taiwan ist von Wasserknappheit bedroht. Diese führt zu Produktionsengpässen, Produktionsausfällen und im schlimmsten Fall zu „stranded assets“. Wer sich hier nicht richtig positioniert, wird in Zukunft Probleme haben, Zugang zu günstigem Kapital zu finden. wwt: Sie haben bereits erwähnt, dass das Thema Wasser ein gemeinsames Projekt aller Beteiligten in einem bestimmten Wassereinzugsgebiet sein muss: der Kommunen, Unternehmen und anderer Akteure. Wie kann eine Zusammenarbeit gelingen? Poberezhna: Die OECD hat dafür einen Good-Water-Governance-Ansatz entwickelt. Die Umsetzung in die Praxis ist jedoch eine andere Frage. Dies erfordert mehr Innovation und politische Initiativen, die verschiedene Parteien dazu bringen, sich auf gemeinsame Ziele und individuelle Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele zu einigen. Schließlich werden die Unternehmen solche Gemeinschaften nicht von sich aus initiieren. Ihnen fehlen die Ressourcen oder der Wille, dies zu tun. Darüber hinaus ist ein Mentalitätswandel erforderlich: Wir müssen von der kolonialistischen Vorstellung wegkommen, dass natürliche Ressourcen dazu da sind, ausgebeutet zu werden. Stattdessen brauchen wir Konzepte für Resilienz und die Regeneration von Wassersystemen. In Chile verständigte man sich schließlich auf eine gemeinsam genutzte und kreislauforientierte Wasserinfrastruktur. Aber vom Entwurf bis zur Umsetzung einer solchen Strategie ist es ein weiter Weg. Jeder von uns muss Verantwortung für die Landschaft übernehmen, in der er oder sie sich befindet und arbeitet. wwt: Wie sollten städtisch-industrielle Gebiete entwickelt werden, damit sowohl für Unternehmen als auch deren Bewohner die Wasserversorgung sicher bleibt? Poberezhna: Wir können in Europa viel von Kopenhagen und Amsterdam lernen. Auch Singapur ist ein Vorbild. Das sind die führenden Städte, wenn es um Kreislaufwirtschaft und Wassersicherheit geht. Sie zeigen, dass das Bewusstsein für die eigene Situation und ein proaktiver Ansatz am wichtigsten sind. Je besser Ihre Umwelt, desto attraktiver sind Sie für die Menschen. Je mehr Menschen Sie anziehen, desto besser für die Wirtschaft. Interview GREEN.WORKS – so geht unternehmerischer Klimaschutz Klimaschutz und Klimaanpassung werden für Unternehmen erfolgskritisch. Mit der Initiative GREEN.WORKS des Deutschen Fachverlags werden Informationen für die erfolgreiche Dekarbonisierung der Geschäftsmodelle bereitgestellt. Mehr Informationen erhalten Sie unter www.how-green-works.de.

10 www.umweltwirtschaft.com Special: Wasser und Abwasser 4.0 Lars Backhaus; Dr. Karsten Rink; Diego Novoa Modellbasiertes Management von Wasserextremen in urbanen Regionen Im Forschungsprojekt „WetUrban“ wurden die Grundlagen eines innovativen Modellierungskonzepts für urbane Wassersysteme entwickelt. Nach halbjähriger Entwicklung steht ein Proto- typ des digitalen 3D-Stadtmodells Dresdens zur Verfügung, mithilfe dessen hydrologische und hydrodynamische Prozesse simuliert und gemeinsam dargestellt werden können. Die Auswirkungen zunehmender Wasser- extremereignisse in urbanen Gebieten sind aufgrund stark verwobener hydraulisch-hydrologischer Prozesse anspruchsvoll zu modellieren. In der Praxis wird dabei ein breites Spektrum fachspezifischer Werkzeuge und Softwares angewandt, die größtenteils zueinander inoperabel sind. Mit „WetUrban“ wird eine Methodik vorgestellt, in der digitale Stadtmodelle als zentrale Datenbasis sowie Visualisierungs- und Interaktionsplattform für multiple, gekoppelte Simulationsmodelle dienen. Anhand eines ca. 35 km² großen Untersuchungsgebiets in Dresden wurden dabei, mit einem Fokus auf den städtischen Untergrund, die Möglichkeiten zur Kopplung unabhängiger Simulationsmodelle prototypisch untersucht. Konkret wurden die Prozesse Oberflächenabfluss, Kanalnetz- sowie Grundwasserströmung betrachtet. Die vorgeschlagene Methodik lässt sich durch offene Schnittstellen um weitere Prozesse erweitern. Bild 1 Digitales 3D-Stadtmodell von Dresden: Ausschnitt des Untersuchungsgebiets (alter Elbarm in Nähe der Kiesgrube Leuben) Quelle: TU Dresden, UFZ

11 5/2023 Projekte und Technologien Hintergrund Urbane Gebiete sind aufgrund ihrer Komplexität und hohen Schadenspotenziale besonders anfällig für die Auswirkungen hydrologischer Extremereignisse. Es ist abzusehen, dass Wetterextreme wie Stark- niederschläge und Flusshochwasser, aber auch gegensätzliche Extreme wie Niedrigwasser und langanhaltende Dürreperioden in Zukunft häufiger und intensiver auftreten. Unter Einbeziehung öffentlicher Akteure (u. a. Umweltämter, Stadtplanung) sowie der Wissenschaft und Wirtschaft werden disziplinübergreifende Lösungen für die städtische Wasserwirtschaft gesucht, um die mit urbanen Wasserex- tremen verbundenen Herausforderungen zu bewältigen. Während eine Vielzahl an Werkzeugen und Softwares für fachspezifische Anwendungszwecke existieren, sind die Interoperabilität und Verschneidung trotz weitgehender Standardisierungen nicht immer ohne Umwege möglich. Die Prozessketten bei der Modellierung weisen oft starke Ähnlichkeiten auf, ohne jedoch von Gemeinsamkeiten (z. B. Datenbasis, Aufbereitung, Vor- und Nachverarbeitung) Gebrauch zu machen. Weiterhin ist es üblicherweise schwierig, zusätzliche Prozesse in einer bereits existierenden Software zu erweitern und anzudocken. Wir sehen daher einen möglichen Lösungsansatz dieser Herausforderung in einer gemeinsamen, konsistenten und offenen Plattform für Daten- und Szenarienverwaltung (Klima, Stadtplanung), Prozesssimulation und Risikomanagement. Dieser Ansatz erlaubt zudem eine anwendergesteuerte Ergebnisexploration und -visualisierung sowie die Verwendung von Bewertungswerkzeugen inklusive Entscheidungshilfen. Basierend auf vorherigen Entwicklungen von Rink et al. /1/ und Heyer et al. /2/ wird in „WetUrban“ ein Konzept für das urbane Wassermanagement vorgestellt, dessen Fokus auf den hydraulischen Interaktionen des städtischen Untergrundes liegt. Ausgehend von digitalen 3D-Stadtmodellen werden mehrere hydronumerische Simulationsmodelle unter Nutzung von Open Data und freier bzw. offener Software erstellt, teilautomatisiert und mittels einheitlicher Schnittstellen gekoppelt. Die Simulationsergebnisse werden in einem 3D-Stadtmodell im Webbrowser bzw. auf einer stereoskopischen Projektionsfläche gemeinsam visualisiert und können darüber hinaus in einer Virtual-Reality(VR)-Umgebung dargestellt werden. Ziel des halbjährigen Pilotprojekts war es, Anwendern prototypisch ein softwareübergreifendes Werkzeug für die gekoppelte Modellierung und Simulation hydrodynamischer Prozesse zur Verfügung zu stellen und gleichzeitig eine fortschrittliche Visualisierung und Ergebnisinteraktion zur verbesserten Entscheidungsfindung zu ermöglichen. Die Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern zur Steigerung der Akzeptanz und des Risikobewusstseins war dabei ein wichtiges Ziel des Projekts. Methodik und Ergebnisse Überblick Das Forschungsprojekt „WetUrban“ umfasst die Entwicklung eines teilautomatisierten Modellierungs- und Simulationsverfahrens zur Integration der hydrologischen und hydrodynamischen Prozesse Oberflächen-, Kanalnetz- und Grundwasserströmung in eine dreidimensionale, digitale Stadtmodellplattform. In Anbetracht zeitkritischer Anwendungsfälle wurde eine Technologie zur schnellen, parallelen Ausführung gekoppelter Modelle benötigt. Deren Kern besteht aus grundsätzlich voneinander unabhängig lauffähigen, aber nach festen Intervallen miteinander kommunizierenden Simulationsmodellen. Dazu wurde ein Python-Framework (Bild 2) entwickelt, welches neben der Automatisierung einen Austausch von Randbedingungen mittels offener Schnittstellen ermöglicht. Die Unterstützung weiterer Prozesse wird durch eine Plugin-Architektur ermöglicht. Ein Plugin benötigt dabei mindestens die Unterstützung zum programmatischen Starten und Stoppen von Simulationsmodellen. Darüber hinaus kann mittels festlegbarer Kopplungskonfigurationen das Schreiben eigener und das Auslesen, Verarbeiten und Nutzen von Resultaten anderer Simulationsprozesse realisiert werden. Die Integration weiterer Prozesse in eine gemeinsame Modellierungskette wird dadurch ermöglicht. Um voneinander unabhängige raumzeitliche Modelle zu verBild 2 IT-Systemarchitektur des Projekts mit Fokus auf eine gekoppelte Simulation und Darstellung im 3D-Stadtmodell (Webbrowser in Cesium, stereoskopische Projektion und VR mittels Unity) Quelle: TU Dresden, UFZ

12 www.umweltwirtschaft.com Special: Wasser und Abwasser 4.0 binden, entschieden wir uns für eine gestaffelte Ausführung (Staggered Coupled Modeling). Das Gesamtkonzept lässt sich in vier Schritte gliedern: 1. Erstellung des digitalen 3D-Stadtmodells, 2. teilautomatisierte Modellierung auf Basis der Geobasisdaten des digitalen Stadtmodells, 3. Anreicherung mit Randbedingungen und Ausführung der gekoppelten Simulation, 4. Verarbeitung und Rückführung der Simulationsergebnisse in das digitale Stadt- modell. Digitale Stadtmodellplattform Kernelement des Vorhabens ist die Nutzung eines dreidimensionalen digitalen Stadtmodells als zentrale, konsistente Datenbank für Geobasis- und modellspezifische Daten sowie als visuelle Kommunikationsplattform. Dazu wurden unter Verwendung der öffentlich verfügbaren Daten /3/ des digitalen Geländemodells mit 1-m-Auflösung (DGM1), des digitalen 3D-Gebäudemodells in Level-of-Detail 2 (LoD2, CityGML) sowie des digitalen Landschaftsmodells (B-DLM) zwei Plattformen für unterschiedliche Anwendungszwecke erstellt. Zum einen entstand somit eine an Virtual Graphic Environments /4/ angelehnte, eigens entwickelte Visualisierungsplattform auf Basis der Unity-Game-Engine /5/ (Bild 1). Zum anderen entstand eine webbrowserbasierte Anwendung unter Nutzung von Cesium /6/. Im Hinblick auf die kollaborative Interaktion mit großen stereoskopischen Projektionsflächen und in Virtual Reality bietet die Unity-Anwendung eine schnelle Möglichkeit zur prototypischen und experimentellen Entwicklung. Zur langfristigen Bereitstellung und Kommunikation mit einem größeren Publikum hingegen ist die cesiumbasierte Webapp ideal. Innerhalb beider Plattformen ist die Nutzung diverser Datenformate einheitlich möglich. Dies umfasst neben Standarddatentypen wie Raster- und Vektordaten auch 3D-Modelle mittels des ISO/IEC-12113:2022-Standards glTF. Gekoppelte Simulationsmodelle Zur ersten Implementierung des gekoppelten Simulationsverfahrens wurden die Prozesse Oberflächenabfluss, Kanalnetz- und Grundwasserströmung in Betracht gezogen. Aufgrund der Anforderungen an Technologie und Schnittstellen wurde die Modellierung dabei zunächst mittels BASEMENT /7/ (Oberflächenabfluss), SWMM /8/ (Kanalnetz) und OpenGeoSys /9/ (GrundBild 3 Ablaufdiagramm der gekoppelten Simulationsmodelle, inklusive automatisierter Generierung, Ausführung und Austausch von Randbedingungen Quelle: TU Dresden, UFZ 00:00 06:00 12:00 18:00 00:00 06:00 12:00 18:00 02.01. 01.01.2005 l/s 30 25 20 15 10 5 0 17W255 FlOW_original FLOW_with_exf FLOW_with_inf FLOW_with_inf_exf Bild 4 Einfluss der gekoppelten Prozess- simulationen auf den Durchfluss unterhalb eines Schachtes Quelle: TU Dresden, UFZ

13 5/2023 wasser) realisiert. Die kombinierte, gestaffelte Simulation besteht im Kern aus einer Schleife der Schritte: Modellierung, Simulation und Adaption (Bild 3). Nach einer initialen Vorverarbeitungsphase werden die Simulationsmodelle zeitlich diskretisiert, d. h. in mehrere kürzere Simula- tionen zerlegt, um einen späteren Datenaustausch an fest definierten Zeitpunkten zu ermöglichen. Des Weiteren wird eine erste Kopplung hergestellt. Diese beinhaltet u. a. die Infiltration von Oberflächenabflüssen in Schächte und Gullys sowie die Exfiltra- tion durch Überstau, Grundwasserinfiltra- tion und Grundhochwasser im Oberflächenabflussmodell sowie Leckage und Eindringen von Grundwasser in die Kanäle. Auf Basis dieser Informationen und Bedingungen werden die Eingabemodelle automatisiert angepasst, neu generiert und schließlich parallel ausgeführt. An definierten Synchronisationspunkten werden die Ergebnisse einzelner Simulationen verarbeitet und anderen Simulationen wiederum als Randbedingungen zur Verfügung gestellt. Diese können in der nächsten Modelliteration auf die Ergebnisse reagieren und die Modellparameter automatisiert anpassen (z. B. dynamische Fließwiderstände, Steuerung von Komponenten). Nachdem die gekoppelte Modellierungs- und Simulationsschleife die vorgegebene Zeit erreicht, werden die Ergebnisse aggregiert und nachverarbeitet, um schließlich im digitalen Stadtmodell dargestellt werden zu können. Es stehen zwei Betriebsmodi der Anwendung je nach Eingabedaten zur Verfügung: a) die Verwendung von Euler-II-Designniederschlägen, die mittels des stochastischen Wettergenerators LARS-WG /11/ erzeugt wurden und b) die kontinuierliche Bereitstellung von Simulationen auf Basis von ICON-D2-Niederschlagsprognosen. Projekte und Technologien Bild 5 Landnutzungskarte des digitalen Stadtmodells (o. l.); Oberflächenabfluss eines Starkniederschlagsereignisses (o. r.); Auslastung des Kanalnetzes (u. l.); Grundwasserströmung als Pfeilvektoren und Mess- stationen [rote Punkte] (u. r.) Quelle: TU Dresden, UFZ Pegel- und Füllstandsmessung mit Radar… … wartungsfrei und ausfallsicher LPR®-1DHP-350 • Zuverlässige Überwachung von Kanalnetzen, Regenüberlaufbecken, Abwasseraufbereitungsanlagen • Kompaktes Radarsystem, betriebssicher selbst unter Extrembedingungen, Messgenauigkeit im Millimeterbereich • Einfach zu montieren und in Betrieb zu nehmen • Modernste Ultrabreitband-Technologie – made in Germany Source: shutterstock.com Erfahren Sie mehr über LPR®-1DHP-350 von Symeo

14 www.umweltwirtschaft.com Special: Wasser und Abwasser 4.0 Prototypische Umsetzung im Untersuchungsgebiet Die Methodik wurde anhand des hydrologischen Einzugsgebiets des Lockwitzbaches im Südosten Dresdens evaluiert, inklusive dessen Anbindung an das umliegende Kanalnetzsystem. Das ca. 35 km² große primäre Untersuchungsgebiet umfasst variierende Urbanisierung, Infrastruktur, Vegetation, Landnutzung sowie Fließgewässer und erstreckt sich von Dresden- Nickern bis nach Dresden-Laubegast. Es wird von einem 328 km² großen Grundwassermodell über das Stadtgebiet hinaus erfasst. Während das Grundwassermodell mit ungefähr 140.000 Elementen und einer durchschnittlichen Kantenlänge von 20 m vernetzt ist, besteht das Oberflächenabflussmodell aus ca. 3 Mio. Elementen von durchschnittlich 4 m Kantenlänge. Das Kanalnetzmodell integriert 5.616 Kanäle, 5.567 Schächte sowie weitere Elemente wie Speicher und Auslässe. Im Prototyp konnte die technische Umsetzung durch Einfluss und Wechselwirkung der gekoppelten Prozesse prinzipiell nachgewiesen werden. So hat unter anderem die Infiltration von Niederschlagswasser in Schächte und Gullys sowie die Leckage in das umgebende Grundwasser einen messbaren Einfluss auf den Durchfluss unterhalb eines Schachtes. Hervorzuheben hierbei ist der frühere Beginn sowie der deutlich verzögerte und länger anhaltende Scheitelabfluss aufgrund nachfließenden Oberflächenwassers (Bild 4). Weiterhin war es möglich, die Ergebnisse der drei Simulationsmodelle in einer 3D-Plattform gemeinsam darzustellen. Neben der georeferenzierten Positionierung der Überflutungshöhen umfasst dies unter anderem auch die Darstellung von Kanälen und Schächten im Untergrund. Dabei können die Simulationsergebnisse auf geometrische Primitive abgebildet und mittels einer gemeinsamen Zeitachse gesteuert werden (Bild 5). Schlussfolgerungen und Ausblick Im Rahmen des Projekts konnte ein funktionsfähiger Prototyp erstellt und getestet werden. Die Auswirkungen der gekoppelten Modellierung zur Steigerung der Modellqualität waren nachweisbar, benötigen jedoch weitere Entwicklungen und Kalibrierungen. Durch die Teilautomatisierung und parallele Ausführung von Simulationen eignet sich das Verfahren auch für zeitkritische Szenarien großflächiger Gebiete. Mit „WetUrban“ wurden ein methodischer Ansatz und Werkzeuge vorgestellt, um auf Basis von digitalen 3D-Stadtmodellen hydrologische und hydrodynamische Modelle automatisiert zu generieren und zu koppeln sowie um mit fortgeschrittenen Visualisierungstechniken die Kommunikation und das Risikobewusstsein zu verbessern. Die Autoren sehen in digitalen Stadtmodellen die ideale Basis für eine kollaborative Zusammenarbeit von Akteuren der Wasserwirtschaft und konnten einige erste Prozesse integrieren. Der gestaffelte Kopplungsansatz erlaubt es, in Zukunft weitere Prozesse z. B. zur Berechnung von Wasserqualität, Schadstofftransport oder Evapo- transpiration in zukünftigen Iterationen zu berücksichtigen.  Lars Backhaus (Korrespondenzautor) Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik Technische Universität Dresden lars.backhaus@tu-dresden.de www.tu-dresden.de  Dr. Karsten Rink Department für Umweltinformatik Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ www.ufz.de  Diego Novoa Institut für Industrie- und Siedlungswasserwirtschaft Technische Universität Dresden www.tu-dresden.de Literatur: /1/ Rink, K.; Cui, Ch.; Bilke, L.; Liao, Z.; Rinke, K.; Frassl, M. A.; Yue, T.; Kolditz, O. (2016): Virtual geographic environments for water pollution control /2/ Heyer, T.; Hammoudi, H.; Zimmermann, R.; Backhaus, L.; Stamm, J.; Schilling, A.; Trometer, S. (2020): FloRiCiMo – Hochwasserrisikoanalyse und -kommunikation auf Basis von seman- tischen 3D-Stadtmodellen /3/ GEOSN Landesamt für Geobasisinformation Sachsen (2015): Digitales 3D-Stadtmodell und Digitales Geländemodell. Online unter www.geodaten.sachsen.de/digitale-hoehen modelle-3994.html, zuletzt abgerufen am 25. April 2023 /4/ Digitales Basis-Landschaftsmodell (2014). Online unter www.geodaten.sachsen.de/landschafts modelle-3991.html, zuletzt abgerufen am 25. April 2023 /5/ Lin, H.; Chen, M.; Lü, G.; Zhu, Q.; Gong, J.; You, X.; Wen, Y.; Xu, B.; Hu, M. (2013): Virtual Geographic Environments (VGEs): A New Generation of Geo- graphic Analysis Tool. In: Earth-Science Reviews, 126, 74–84. https://doi.org/10.1016/j.earscirev. 2013.08.001 /6/ UNITY TECHNOLOGIES: Unity (Version 2020.1). Online unter https://unity.com/, zuletzt abgerufen am 27. März 2023 /7/ Cesium GS. Online unter https://cesium.com/ platform/cesiumjs/, zuletzt abgerufen am 27. März 2023 /8/ Vanzo, D.; Samuel, P.; Vonwiller, L.; Bürgler, M.; Weberndorfer, M.; Siviglia, A.; Conde, D.; Vetsch, D. F. (2021): Basement v3: A modular freeware for river process modelling over multiple computational backends. In: Environ- mental Modelling & Software (143). https://dx.doi.org/10.1016/j.envsoft.2021.105102 /9/ Rossman, L.: SWMM-CAT User’s Guide. EPA Office of Research and Development,Washing- ton, DC, EPA/600/R-14/428 /10/ Kolditz, O.; Bauer, S.; Bilke, L. et al.(2012): OpenGeoSys: an open-source initiative for numerical simulation of thermo-hydro-mecha- nical/chemical (THM/C) processes in porous media. In: Environ Earth Sci 67, 589–599 (2012). https://doi.org/10.1007/s12665-012-1546-x /11/ Semenov, M.; Barrow, E. (2002): LARS-WGA StochasticWeather Generator for Use in Climate Impact Studies Das Forschungsprojekt WetUrban wurde durch Daten des Landesamts für Geobasisinformation Sachsen (GEOSN) unterstützt. Diese Maßnahme wird mitfinanziert mit den Steuermitteln auf Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushalts. Online-Treffpunkt der Wasserszene: www.umweltwirtschaft.com

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