Die Bonpflicht drangsaliert den Einzelhandel und sorgt für ein massives Umweltproblem
Bon eher schlecht
Wie die Wochenzeitung ,Die Zeit‘ errechnete, sind von den Änderungen vor allem der Mittelbau des Handels, die Bäckereien und Fleischereien mit ihren 33 Mrd. Euro Jahresumsatz betroffen. Allerdings gilt: Wer keine elektronische Kasse nutzt, braucht auch keine anzuschaffen und damit auch keine Bons auszugeben, wie etwa Betreiber von Imbissbuden und Marktständen, deren rund 8,7 Mrd. Euro Umsatz pro Jahr (drei bis fünf Milliarden davon auf den 2500 deutschen Weihnachtsmärkten) nur ein Viertel des Lebensmittelgewerbes erreichen.
Die Papiermenge lässt sich nur grob schätzen. Rewe errechnete nach Medienberichten 140.000 Kilometer zusätzliche Kassenbons im Jahr, der Handelsverband berechnete daraus eine Papierfläche von 43 Fußballfeldern. Das alleine ist jedoch nicht das Problem.
Das Umweltbundesamt (UBA) sagt klar, was es von der neuen Regelung hält: „Aus Umweltsicht ist die Regelung problematisch. Kassenbons werden aus Frischfaserpapier hergestellt; hierfür werden Ressourcen wie Holz, Wasser und Energie verbraucht. Problematisch ist aus Umweltsicht allerdings weniger die verhältnismäßig geringe Menge des Papiers, sondern eher die chemische Zusammensetzung.“

Der Handel erstickt in einer Bonflut, die seit Jahresbeginn auch über alle Bäckereien hereingebrochen ist – eine Entwicklung, die aus mehreren Gründen problematisch ist. Die Geschäftsinhaberin der Bäckerei Schneider in der Gemeinde Gaiberg bei Heidelberg, Gitta Stadler (r.), demonstriert mit Tochter Christina die tägliche Bonflut.
Thermopapier ist ein Spezialpapier, das etwa 0,5 bis 3 Prozent Farbentwickler enthält, der unter Temperatureinwirkung in einer chemischen Reaktion die Schwarzfärbung des Papiers auslöst. Als Farbentwickler wurden bisher im wesentlichen Bisphenol A (BPA) und Bisphenol S (BPS) eingesetzt.
BPA wirkt endokrin und toxisch
Wie das UBA weiter mitteilt, ist BPA mittlerweile EU-weit als „besonders besorgniserregender Stoff“ („Substance of Very High Concern“, SVHC) gemäß REACH identifiziert – sowohl für die menschliche Gesundheit als auch für die Umwelt. BPA hat eine endokrine Wirkung, beeinflusst also den Hormonhaushalt beim Menschen. Außerdem wird BPA als reproduktionstoxisch eingestuft – das bedeutet, dass die Sexualfunktion und Fruchtbarkeit bei Mann und Frau beeinträchtigt werden kann.Eine Beschränkung für BPA in Thermopapier besteht bereits seit längerem und greift seit dem 2. Januar 2020. Seitdem dürfen Thermopapiere, die 0,02 Gewichtsprozent oder mehr BPA enthalten, innerhalb der EU nicht mehr in Verkehr gebracht, also auch nicht weiterverkauft und im Einzelhandel als Quittungsbons ausgegeben werden.
Unter bestimmten Bedingungen kann sich BPA aus dem Thermopapier lösen und über die Haut in den menschlichen Körper gelangen. Hier kann die Substanz wie das weibliche Sexualhormon Östrogen wirken.
Für die Beurteilung von Risiken für die menschliche Gesundheit ist nicht das UBA, sondern das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) zuständig. Das BfR nahm zum Risiko von BPA schon im Jahr 2017 sehr deutlich Stellung (www.bfr.bund.de/cm/343/fragen-und-antworten-zu-bisphenol-a-in-verbrauchernahen-produkten.pdf):
„Aus der Substanz Bisphenol A wird der Kunststoff Polycarbonat hergestellt, der unter anderem zur Herstellung von Behältern und Flaschen für Lebensmittel und Getränke verwendet wird. Auch zur Herstellung von Innenbeschichtungen von Getränkeund Konservendosen wird Bisphenol A eingesetzt. Eine weitere Quelle für Bisphenol A sind Thermopapiere, die als Rohstoff für Kassenbons, Fahrkarten und Parktickets dienen. Die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) hat im Dezember 2015 einem Vorschlag zugestimmt, die Verwendung von Bisphenol A in Thermopapieren zukünftig zu beschränken. Diesen Vorschlag hat die EU-Kommission im Juli 2016 übernommen: Seit Januar 2020 ist die Verwendung von Bisphenol A in Konzentrationen von mehr als 0,02 % in Thermopapier verboten.“
Auch Ersatzprodukt ist kritisch
Seit Jahresbeginn 2020 sollte nun in Thermopapieren kein BPA mehr verwendet werden. Wie groß allerdings die Restbestände sind, die immer noch in Umlauf sind, weiß niemand so genau. Auch wenn die Verwendung im Handel und die Ausgabe BPA-haltiger Bons an die Konsumenten untersagt sind, kann das niemand kontrollieren.
Im Altpapier sind Thermopapiere weitgehend unerwünscht; das Umweltbundesamt empfiehlt die thermische Entsorgung über den Restmüll.
Als Alternative kommt Bisphenol S zum Einsatz. Für dieses BPS liegen jedoch noch keine abschließenden Bewertungen vor. BPS steht ebenfalls im Verdacht, für Mensch und Umwelt endokrin wirksam zu sein, warnt das UBA. Für BPS-haltiges Thermopapier wurde ermittelt, dass im Jahr 2018 104.000 Tonnen in Verkehr gebracht wurden, was einer Steigerung um 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht. Die ECHA berichtet, dass sie aufgrund der Diskussionen mit verschiedenen Akteuren in den Lieferketten davon ausgeht, dass primär Bisphenol S, sowie Pergafast 201 und D8 zukünftig als Alternativen zu BPA genutzt werden. Auch für BPS gibt es bereits Aktivitäten unter REACH. Derzeit werden aus Preis- und Verfügbarkeitsgründen noch immer Bisphenole und Phenole eingesetzt, obwohl es bereits phenolfreie Farbentwickler und auch Thermopapiere gibt, die ganz ohne Farbentwickler funktionieren.
Der Verbraucher sieht sich dem Problem hilflos gegenüber, denn er ist nicht in der Lage, zwischen farbentwicklerhaltigen und farbentwicklerfreien Thermopapieren zu unterscheiden. Bei den Thermopapieren mit Farbentwickler ist es auch nicht möglich, zwischen problematischen und weniger kritischen Stoffen zu differenzieren, da eine entsprechende Kennzeichnung bisher fehlt, muss das Umweltbundesamt einräumen. Die betroffenen Mengen werden dabei nicht geringer. In Deutschland erwartet das UBA einen deutlichen Anstieg des Thermopapierverbrauchs in Form von Kassenrollen. Der Markt für Thermopapier – aus dem u.a. Kassenzettel, Park- und Verkehrstickets hergestellt werden – ist in der EU in den letzten zehn Jahren deutlich gewachsen, und im Jahr 2018 betrug er bereits 491.000 Tonnen.
Im Ausland stellt sich die Situation etwas anders dar. In Österreich gibt es die Belegausgabepflicht bereits seit drei Jahren, der Markt dürfte weitgehend gesättigt sein, und Mengensteigerungen sind kaum zu erwarten. Und nordische Länder steigen mehr und mehr auf elektronische Lösungen um.
Rolle vorwärts oder rückwärts?
Das Unternehmen Ökobon GmbH aus dem bayerischen Aindling vertreibt unter der Bezeichnung ‚Ökobon‘ ein neuartiges Thermopapier, das mit ‚Blue4est‘ identisch ist, das von der Koehler Paper Group hergestellt wird. Es soll ohne die Umweltnachteile von BPA- und BPS-Papieren auskommen. Die Papiere haben eine Beschichtung, die auf die Hitze des Thermodruckkopfes reagiert. Im Unterschied zu bestehenden Thermopapieren enthält sie feine Bläschen, die durch punktuelle Hitzeübertragung des Thermodruckers kollabieren. Durch diese rein physikalische Reaktion wird die darunter liegende schwarze Schicht sichtbar gemacht und ergibt so das Schriftbild auf der Quittung. Bei herkömmlichem Rolle vorwärts oder rückwärts?

Ökobon GmbH
Thermopapier werden unterschiedliche chemische Substanzen verwendet, um eine Schwarzfärbung durch Wärme zu erreichen. Diese Stoffe können z.B. über den Recyclingkreislauf in Gewässer gelangen oder sich während der Altpapieraufarbeitung anreichern. Ein Ökobon soll nach Herstellerangaben in der Umwelt unter Kompost-Bedingungen in vier Wochen zu mehr als 75 % zerfallen. „Wenn Sie den Ökobon-Kassenbon nicht mehr benötigen, gehört er zum Altpapier“, heißt es bei dem Unternehmen (www.ökobon.de). Dem allerdings widerspricht der INGEDE (Internationale Forschungsgemeinschaft Deinking-Technik e.V.), der große Probleme bei der Sortierung derartiger Ökobons sieht.
Handschuhe schützen
Derweil empfehlen US-amerikanische Wissenschaftler dem Personal vor allem an Supermarktkassen die Verwendung von Handschuhen – unabhängig vom Hygieneschutz angesichts der Corona-Krise. Forscher der Universität in Cincinnati (Ohio, USA) hatten in einem Kontrollversuch Studenten freiwillig mit BPA-Kassenbons hantieren lassen. Während schon nach zweistündigem Hantieren mit den Kassenbons die BPA-Messwerte im Urin nach oben schnellten, blieben sie nach Verwendung von Nitrilhandschuhen nahezu unbeeinflusst („Handling of Thermal Receipts as a Source of Exposure to Bisphenol A“, JAMA. 2014;311(8):859-860. doi:10.1001/jama.2013.283735).Doch hierzulande gibt es einen weiteren Problembereich um die ungeliebten bedruckten Zettelchen. Die Frage ist nämlich, wohin damit, wenn sie der Kunde in Empfang genommen hat. Das Umweltbundesamt empfiehlt aus Vorsorgegründen, alle Thermopapiere mit dem Restmüll zu entsorgen, da weiterhin phenolhaltige Farbentwickler verwendet werden und der Verbraucher phenolhaltige nicht von phenolfreien Thermopapieren unterscheiden kann. Denn die enthaltenen Farbentwickler wie BPS können sich als kritische Inhaltsstoffe im Altpapier verteilen – und anschließend über Recyclingprodukte wie Toilettenpapier zurück zum Verbraucher und in die Umwelt gelangen.
Geringer Thermopapieranteil
Und wie sieht es mit der Recyclingfähigkeit aus, wenn die Bons trotz ihrer geringen Größe ins Altpapier gelangen? So mancher Bäcker oder Metzger, aber auch der Betreiber von Kantinen, fragt sich als umweltbewusster Wertstoff-Trenner, ob das Papier nicht doch in die blaue Tonne bzw. ins Altpapier kann. Da kommt schon mal ein ganzer Müllsack mit Kassenbons zusammen.Beim Verband Deutscher Papierfabriken e.V. (VDP) gibt man sich ganz gelassen. Die Menge an verbrauchtem Thermopapier sei in Bezug auf das gesamte Altpapieraufkommen sehr gering, heißt es auf Anfrage des ENTSORGA-Magazins. Das Thermopapier sei grundsätzlich rezyklierbar, so der VDP-Sprecher Gregor Andreas Geiger; und Thermopapier, das bereits im Altpapier entsorgt wurde, werde dem Wiederaufarbeitungsprozess zugeführt. BPA werde seit Jahresbeginn auch nicht mehr von Mitgliedsunternehmen des VDP in Verkehr gebracht. „Für Bisphenol S liegen derzeit keine abschließenden Bewertungen vor“, muss Geiger allerdings einräumen. BPA gelte unter REACH als besonders besorgniserregender Stoff, BPS nicht.
Recyclingfähig oder nicht?
Inzwischen gibt es auf dem Markt auch Thermopapier ohne umweltproblematische Farbentwickler (siehe oben). „Die Bons könnten bedenkenlos dem Altpapier-Recyclingkreislauf zugeführt werden“, heißt es bei Ökobon.
Durch die Einführung der Bonpflicht sollen in Deutschland jährlich 140.000 fortlaufende Kilometer Kassenbons ausgegeben werden; der Handelsverband berechnete daraus eine Papierfläche in der Größe von 45 Fußballfeldern.
Dem widerspricht allerdings die INGEDE (Internationale Forschungsgemeinschaft Deinking-Technik e.V.). „Kassenbons aus Thermopapier möchten wir nicht im Altpapier. Sie sollten grundsätzlich, wie auch vom UBA empfohlen, mit dem Restmüll entsorgt werden, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass noch Restbestände mit BPA im Umlauf sind. Auch die alternativen Farbentwickler sind nach einer aktuellen Untersuchung des UBA möglicherweise hormonell schädlich.“
Nur geringe Mengen
Die farbentwicklerfreien Thermopapiere wie Ökobon und Blu4est von Koehler Paper Group seien im Verpackungsrecycling zwar unproblematisch, aber aufgrund der enthaltenen schwer entfernbaren Pigmente für ein Deinking zu weißem Papier derzeit nicht geeignet. Oliver Unseld, Geschäftsführer der Ökobon GmbH sieht das alles unkritisch. „Für die aktuelle Lage kann ich als Argument die verhältnismäßig geringen Umlaufmengen des Ökobons aufführen. Selbst unsere Kunden aus dem Einzelhandel verbrauchen an starken Tagen maximal 2 bis 4 Rollen zu je 320 Gramm am Tag“, meint Unseld. Zum großen Teil würden die Kassenbelege von den Endverbrauchern mitgenommen. „Der Anteil an Pappe und Verpackungsstoffen aus Papier für die Handelswaren liegt in der Regel um ein Vielfaches höher“, meint der Firmenchef.Bei Papierfabrik August Koehler SE setzt man ebenfalls auf die geringen Mengen und den Verdünnungseffekt. Die Menge an dunkler Farbe des Blue4est sei Teil des Papiersystems, das ohne BPA und BPS auskomme. Es sei allerdings beim Altpapieraufbereiter nicht für weiße Sorten geeignet, da die schwarze Farbe nicht deinkbar sei. „Die Farbe löst sich nicht auf, stört aber bei der Verwendung in nicht-weiße Produkte je nach Abmischung wenig“, meint Marketingleiter und Kommunikationschef Christoph Müller-Stoffels bei Koehler. „Blue4est kann grundsätzlich über das konventionelle Papierrecycling entsorgt werden.“
Dass das weiß beschichtete Papier im Sortierprozess „auf die falsche Bahn“ gerät, ist für ihn kein Problem: „Das ist meines Erachtens nach eine Frage der Sortierung, und diese Frage müssen die Verwerter beantworten.“ Grundsätzlich würden andere irgendwie farbigen Papiere ja ebenfalls wiederverwertet.

Der Ökobon kommt ohne Farbentwickler wie BPA oder BPS aus.
Ob und wie sich die farbentwicklerfreien Thermopapiere am Markt durchsetzen, ist unklar. Gerade der ökologisch orientierte Einzelhandel setzt zunehmend nicht nur auf schadstoffarme Produkte, sondern auch auf eine durchdachte Kreislaufwirtschaft, zu der auch ein effektives Altpapierrecycling gehört.
Frankreich hat inzwischen die Reißleine gezogen und die gerade eingeführte Bonpflicht wieder abgeschafft. Die kleinen Belege sollen nur noch auf Nachfrage ausgedruckt werden und in den nächsten Jahren bis zum Betrag von 30 Euro ganz verschwinden. Die Entscheidung beruht auf dem „Gesetz gegen Verschwendung“, das zahlreiche weitere Vorgaben für die nächsten Jahrzehnte enthält.
Ein Beitrag von Martin Boeckh
Fachartikel aus dem ENTSORGA-Magazin Nr. 2/2020
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