Interview mit Till Wahnbaeck
„Afrika ist für europäische Recycler eine riesige Chance“

15.12.2022 Till Wahnbaeck war zwischen 2015 und 2018 CEO der Welthungerhilfe. Zuvor arbeitete er in verschiedenen Führungspositionen unter anderem bei Procter & Gamble. 2019 gründete er die Impacc gGmbH - eine Social Business NGO, die Märkte für die Ärmsten der Armen schafft. Mit ENTSORGA sprach Till Wahnbaeck über Afrika, Altkleiderexporte und lokale Kreislaufwirtschaft als Chance für eine bessere Entwicklung sowie eine saubere Umwelt. Europäische Recycler, so Wahnbaeck, sollten Afrika als Chance begreifen.

Till Wahnbaeck sucht einen Partner aus der Entsorgungsbranche.
© Foto: Gerhard Linnekogel
Till Wahnbaeck sucht einen Partner aus der Entsorgungsbranche.

Herr Wahnbaeck, können die Menschen noch mit gutem Gewissen ihre Altkleider spenden?

Till Wahnbaeck: Ja, das können sie – denn auch in Deutschland gibt es großen Bedarf, zum Beispiel warme Kleidung für Flüchtlinge. Das nachhaltigste Kleidungsstück ist das, was es schon gibt. Wer es nicht mehr trägt, sollte es weitergeben.

Aber nach Afrika sollten wir unsere gebrauchten Kleider besser nicht exportieren?

Nein, nach Afrika gehören unsere Kleider nicht. Leider denken viele, dass man mit Kleiderspenden hilft. Das Gegenteil ist der Fall: Afrika hat genug Kleidung – man muss das recyclen, was da ist, die Städte verschmutzt und die Flüsse verstopft. Aber man muss nicht mit immer neuen Lieferungen den Kleidermüllberg weiter vergrößern.

Was benötigt Afrika stattdessen?

Wir brauchen eine tiefere Wertschöpfung in den afrikanischen Ländern. Das bisherige Modell – Rohstoffe exportieren, in Asien produzieren, in Europa verkaufen und den Abfall dann nach Afrika verschiffen – das kann kein gesunder Entwicklungspfad sein. Die Kreislaufwirtschaft ist hier ein wichtiger Faktor.

Inwiefern?

Zum einen leistet die Kreislaufwirtschaft einen Beitrag zur Lösung der großen Entsorgungsprobleme des Kontinents, zum andern schafft sie Jobs und Wertschöpfung vor Ort, ohne neue Ressourcen abbauen zu müssen.

Sie unterstützen mit Impacc das soziale Unternehmen Africa Collect Textiles (ACT). Warum dieses Projekt und nicht ein anderes?

Impacc unterstützt allein in Kenia sechs Unternehmen, die Arbeitsplätze für die Ärmsten schaffen und soziale Probleme lösen. An ACT hat uns beeindruckt, dass sie mit irrer unternehmerischer Energie immer neue Anwendungsmärkte für recycelte Textilien erschließen – von toll designten Rucksäcken aus ausgedienten Uniformen bis hin zu Putzlumpen für lokale Maschinenbaufirmen, die damit ihre Teile reinigen.

Welche Textilien können in Afrika gut recycelt werden, welche nicht?

Für seine Design-Linien setzt ACT stark auf Jeansstoffe, für Putzlumpen etwa auf Baumwolle. Bei Mischfasern wird es schwierig – so wie in Europa ja übrigens auch. Daraus werden dann oft nur Füllstoffe zum Beispiel für Kissen.

Was unterscheidet Impacc von anderen Hilfsorganisationen?

Wir machen keine Projekte, denn die enden, wenn das Geld alle ist. Wir investieren in Start-ups, damit die selbst Jobs für die Ärmsten schaffen können. Dafür wandeln wir Spenden in Investitionen um. Wenn das Unternehmen läuft, geben wir die Anteile ohne Gewinn zurück und finanzieren mit dem Erlös eine neue Runde von Unternehmen.

Finanzieren Sie sich ausschließlich über Spenden? Oder sind auch andere, langfristige Partnerschaften denkbar?

Impacc wird unter anderem vom Entwicklungsministerium unterstützt und bekommt viel pro bono Unterstützung. Der Rest sind Spenden. Langfristig setzen wir vor allem auf Unternehmensspenden: wir vermitteln deutschen Unternehmen strategisch passende Startups und helfen ihnen, durch passende Programme ihre Anforderungen an ESG-Berichterstattung besser zu erfüllen. Dazu gehört auch technischer Austausch auf Mitarbeitenden-Ebene, ein wichtiger Faktor für „Employee Engagement“.

Planen Sie weitere Projekte im Bereich der Kreislaufwirtschaft zu unterstützen?

Absolut – Kreislaufwirtschaft ist ein großes Thema, das weiterhin wachsen wird, gerade in Afrika. Aber zunächst einmal suchen wir für ACT eine Finanzierung und einen Partner aus der Entsorgungsbranche. Wer daran Interesse hat, soll sich sehr gerne bei mir melden.

Was hätten potenzielle Partner davon, außer einem guten Gewissen?

In Europa haben wir eine sehr ausgefeilte, hochgerüstete Recyclingwirtschaft. Generationen haben daran gearbeitet, das System so aufzubauen, wie es jetzt ist. Entsprechend groß ist der Rucksack, den wir mit uns herumschleppen. Der Mangel an Infrastruktur in Afrika ist so gesehen auch eine riesige Chance für europäische Recycler: Sie können lernen, wie eine Kreislaufwirtschaft funktionieren kann, ohne auf die bestehende Infrastruktur und damit auf Investitionsentscheidungen der Vergangenheit Rücksicht nehmen zu müssen.

Afrika als Spielwiese und Testplatz einer globalen Circular Economy?

Ja, genau. In Europa finden Sie diese Bedingungen nicht. Weil es keine Pfadabhängigkeit gibt, kann man einige der Entwicklungsschritte, die Europa gemacht hat, überspringen. In anderen Sektoren wird das genauso gemacht: Die Finanzwirtschaft verzichtet darauf, ein teures Netz von Geldautomaten aufzubauen und konzentriert sich direkt auf das Online- beziehungsweise Mobile Banking. Bei der Internetversorgung setzen die Unternehmen direkt auf mobiles Internet und bauen erst gar kein Festnetz auf. Und im Bereich Circular Economy könnten wir uns direkt auf Ressourcenschutz, lokale Wertschöpfung und Produktdesign konzentrieren.

Auf welche Probleme stoßen europäische Unternehmen in Afrika?

Die gesamte Infrastruktur ist nicht vergleichbar mit der in Europa. Die Straßen sind beispielsweise nicht so gut ausgebaut. Wenn es stark regnet, sind sie sofort überflutet. Dann können Sie keine Touren fahren. Aber die Menschen sind krisenerfahren und gehen damit um. Da wird dann einfach improvisiert. Ich denke, europäische Unternehmen können viel von afrikanischen Unternehmern und Unternehmerinnen lernen. Flexibilität und Improvisation sind der Weg zu einer resilienteren Wirtschaft.

Natürlich ist auch das Regelungsumfeld schwieriger. Alles dauert länger. Aber wir von Impacc kennen die Bedingungen vor Ort und können auf ein entsprechendes Netzwerk zurückgreifen. Eine Partnerschaft mit einem afrikanischen Start-up ist oft ein guter Weg, ohne Risiko neue Märkte und neue Ansätze kennenzulernen.

Das Interview führte Pascal Hugo

Die gesamte Geschichte lesen Sie in ENTSORGA 6.2022. Hier geht es zum E-Paper.

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