Kasseler Abfall- und Ressourcenforum
Verbände fordern „Vollzugsoffensive Umweltrecht“

26.04.2023 Die Verbände der deutschen Kreislaufwirtschaft BDE, bvse und VKU haben beim Kasseler Abfall- und Ressourcenforum in der vergangenen Woche eine „Vollzugsoffensive Umweltrecht“ gefordert.

Beim diesjährigen Kasseler Abfall- und Ressourcenforum ging es unter anderem um den Vollzug der Gewerbeabfallverordnung.
© Foto: Pascal Hugo
Beim diesjährigen Kasseler Abfall- und Ressourcenforum ging es unter anderem um den Vollzug der Gewerbeabfallverordnung.

Natürlich trifft die Kritik der Verbände im Wesentlichen die Gewerbeabfallverordnung, die unter einem massiven Vollzugsdefizit leidet. „Die Situation bei der Getrenntsammlung von gewerblichen Abfällen ist grottenschlecht“, sagte BDE-Präsident Peter Kurth in Kassel und forderte in Kassel die Politik auf, sich im Rahmen einer Novelle der Gewerbeabfallverordnung auf den Vollzug zu konzentrieren. Auch Gewerbeabfall-Sortieranlagen leiden unter der Situation und sind Marktteilnehmern zufolge chronisch unterausgelastet.

Die Kritik am Vollzug der Gewerbeabfallverordnung ist nicht neu, doch hatte sie durch die Veröffentlichung eines neuen Gutachtens in den vergangenen Wochen neue Nahrung erhalten. Darin kommen die Autoren des Ingenieurbüros u.e.c. im Auftrag des Umweltbundesamtes unter anderem zu dem Ergebnis, dass die geforderte technische Mindestausstattung unzureichend definiert ist, keine Regelüberwachung beim Abfallerzeuger stattfindet, die Dokumentationsunterlagen häufig fehlerhaft oder unvollständig sind und noch immer kein vollständiges zentrales Anlagenregister existiert. Vorbehandlungspflichtige Gemische würden regelmäßig nicht verordnungskonform behandelt. Die 90 Prozent-Regel finde in der Praxis fast keine Anwendung. Darüber hinaus erfüllt gerade mal die Hälfte aller Vorbehandlungsanlagen die technischen Mindestanforderungen.

Vernichtendes Ergebnis

Das Ergebnis ist vernichtend für den Vollzug des Umweltrechts in Deutschland, ist aber für keinen Marktteilnehmer und Branchenbeobachter überraschend. Denn in dem Gutachten steht letztlich nur das schwarz auf weiß, was Entsorger und Stoffstrommanager seit Jahren berichten: Die Gewerbeabfallverordnung wird in vielen Regionen praktisch nicht vollzogen. Personalmangel bei Behörden, Kostendruck bei den Marktteilnehmern: Der Dumme ist derjenige, der im Glauben an Recht und Gesetz in die Umsetzung der Gewerbeabfallverordnung investierte.

Angesichts des offensichtlichen Staatsversagens hofften einige Branchenvertreter auf eine schnelle Novelle der Gewerbeabfallverordnung, wenn die bemängelten Vollzugsdefizite nicht mehr auf reinem Hörensagen und Branchentratsch basieren, sondern gutachterlich bestätigt sind. Doch die soll es so schnell nicht geben: „In dieser Legislaturperiode nicht mehr“, zitierte BDE-Präsident Peter Kurth Aussagen aus dem Bundesumweltministerium. Der BDE will das nach Aussagen Kurths so nicht akzeptieren. „Ich bitte Sie dringend, das noch mal zu überprüfen“, so der BDE-Präsident in Kassel.

Das ist um so bitterer für jene Marktteilnehmer, die wie Enno Simonis, Geschäftsführer des Hamburger Entsorgers Otto Dörner, in die Gewerbeabfallsortierung investierten. In Kassel berichtete Simonis mit viel Galgenhumor von seinen Erfahrungen mit der Gewerbeabfallverordnung. Aus seiner Sicht sollten die Betreiber von Müllverbrennungsanlagen zu Adressaten der Gewerbeabfallverordnung gemacht werden. Auch die Verbände BDE und bvse wollen die Betreiber thermischer Abfallbehandlungsanlagen stärker in die Pflicht nehmen. Aktuell sind sie außen vor.

Es geht auch anders

Dass es beim Vollzug der Gewerbeabfallverordnung auch anders geht, zeigt das Land Baden-Württemberg. In Kassel berichtete Caroline Knefel vom baden-württembergischen Umweltministerium über den Vollzug der Gewerbeabfallverordnung im Südwesten Deutschlands. Die Baden-Württemberger genießen in diesem Punkt in der Branche einen ausgezeichneten Ruf. Mit einer auf Schwerpunktaktionen konzentrierten Strategie versucht Baden-Württemberg demnach, die Vorgaben der Gewerbeabfallverordnung möglichst effektiv zu vollziehen, ohne dass es hinsichtlich des Personalaufwandes ausufernd wird. Die Schwerpunktaktionen konzentrieren sich dabei immer auf bestimmte Teile der Verwertungskette.

So lag der Schwerpunkt 2018 auf den Dokumentationen, 2019 waren die Vorbehandlungsanlagen dran, 2020 die Müllverbrennungsanlagen und der Lebensmitteleinzelhandel, 2021 und 2022 konzentrierten sich die Beamten auf die Kontrolle von Baustellen. Insgesamt forderten die Behörden im Zeitraum von 2018 bis 2020 landesweit insgesamt mehr als 1.400 Dokumentationen von Abfallerzeugern und 45 Dokumentationen von Müllverbrennungsanlagen an, mehr als 1.250 davon wurden im Nachgang überprüft. Bei mehr als 170 der Dokumentationen erfolgte eine anschließende Überprüfung vor Ort. Darüber hinaus seien landesweit insgesamt 140 Lebensmitteleinzelhandelsfilialen überprüft worden. Die Ergebnisse der Schwerpunktaktion 2021 und 2022 auf den Baustellen lagen in Kassel noch nicht vor.

Wird am Ende der CO2-Preis die Gewerbeabfallverordnung „vollziehen“?

Der Ruf nach einem besseren Vollzug der Gewerbeabfallverordnung könnte allerdings durch die kommende CO2-Bepreisung für die thermische Abfallverwertung obsolet werden. Denn zumindest die Verbrennung von Kunststoffen wird in Zukunft richtig teuer werden. Auf diesen Zusammenhang wies der Geschäftsführer der Sparte Abfallwirtschaft und Stadtsauberkeit (VKS) im Verband kommunaler Unternehmen (VKU), Holger Thärichen, hin. Anlagenbetreiber würden zunehmend selbst sortieren, um den Kunststoff vor der Verbrennung aus dem Abfallgemisch zu entfernen.

Einer der Marktteilnehmer, die eine solche „Nachsortierung“ von kunststoffhaltigen Abfallgemischen planen, ist das Helmstedter Anlagenbetreiber EEW. An seinem Standort im niederländischen Delfzijl plant EEW unter dem Codenamen „Fossile Eye“ eine entsprechende Nachsortierung. In Kassel stellte Thomas Obermeier – unter anderem der Leiter Unternehmensentwicklung bei EEW – das Anlagenkonzept vor. Demnach soll die Anlage pro Jahr rund 100.000 Tonnen kommunalen Restmüll und rund 50.000 Tonnen Gewerbeabfall nachsortieren.

An diesen Zahlen wird deutlich: „Fossile Eye“ wird nicht den gesamten Anlageninput in Delfzijl nachsortieren können, um die Kunststoffe vor der Verbrennung auszusortieren. Denn EEW kann an dem niederländischen Standort in unmittelbarer Nähe zum Delfzijler Chemiepark nach eigenen Angaben 576.000 Tonnen verbrennen. Demnach wird Fossile Eye lediglich etwas mehr als ein Viertel des gesamten Anlageninputs nachsortieren. Größere Sortieranlagen seien unter anderem aufgrund des Platzbedarfs kaum umsetzbar, sagte Obermeier in Kassel. Außerdem gewinne man mit Sortieranlagen lediglich Kunststofffraktionen zurück, die größer als 60 Millimeter sind. „Die Feinfraktion greifen Sie gar nicht an.“ Obermeier zufolge sei eine Rückgewinnungsquote Nachsortierung von 70 Prozent realistisch.

An einem besseren Getrenntsammlung an der Anfallstelle und einen effektiveren Vollzug der Gewerbeabfallverordnung wird man daher auch in Zeiten der CO2-Bepreisung nicht vorbeikommen.

stats