Ruutz - holländisches Fahrradrecycling
Vom Drahtesel zum flotten Citybike

24.08.2022 Ruutz – der Name hat es doppelt in sich. Eine Melange aus dem holländischen Begriff für Rost und dem Motto „Back to the roots“. Dabei sind die Fahrräder, die das niederländische Unternehmen Roetz herstellt aus verwaisten Rädern als robuste und farbenfrohe Unikate entstanden.

Ob Stadt oderLand: Niederländern greifen vermehrt auf runderneuerte Bikes zurück.
© Foto: Roetz
Ob Stadt oderLand: Niederländern greifen vermehrt auf runderneuerte Bikes zurück.

Und dafür beschäftigen die Amsterdamer vor allem Menschen, die es durch soziale oder körperliche Beeinträchtigungen schwer auf dem Arbeitsmarkt haben. Oder hatten. Im Interview schildert Gründer Tiemen ter Hoeven, wie das Konzept funktioniert.

Roetz Bikes gibt es bereits seit über zehn Jahren. Wie kam dazu, alten Rädern neues Leben einzuhauchen?

Ein Auftrag als Unternehmensberater führte mich 2009 nach Deutschland. Es ging um die Instandsetzung von Fahrrädern im B2B-Bereich, und bei diesem Projekt habe ich bemerkt, was für ein Potential darin steckt. Natürlich hätten wir die Räder einfach recyclen und den Rohstoff nutzen können, wie es ja vielerorts noch geschieht. Doch damit hätten wir den ökologischen Fußabdruck nicht kleiner gemacht. Und so entstand die Idee: Holländische Räder, besonders die Älteren, sind aus Stahl gefertigt und haben fast identische Rahmen – perfekt also für die Wiederverwertung. So ist 2011 dann Roetz Bikes Realität geworden. 

Aus alt mach neu: Wie funktioniert das genau?

Fahrradleichen sind ein Problem in den Niederlanden. Nicht nur an Bahnhöfen werden Räder zurückgelassen. Für die Entsorgung müssen die Städte jährlich große Summen aufbringen. Wir übernehmen diese Räder, nehmen sie auseinander und verwerten die Einzelteile. Wir entrosten und sandstrahlen die Rahmen und versehen sie mit einer neuen Pulverbeschichtung. Zusätzlich bekommen die Räder neue Felgen, Reifen, Sitze, Bremsen, eben alles, was ein Rad braucht. So entsteht auch aus den schlimmsten Fällen wieder ein neuwertiges, zuverlässiges und sicheres Fahrrad. Und vor allem ein Einzigartiges: Zwar sehen unsere Räder auf den ersten Blick ähnlich aus, doch sie sind alle Unikate. Mit unserer Kreislauf-Methode können wir inzwischen rund 30 Tonnen Rohmaterial pro Jahr einsparen. Das hilft allen Seiten – die Städte sparen Geld und werden ansehnlicher, und wir tun etwas für die Umwelt.

Eine weitere Besonderheit ist ja, dass ihr vor allem Menschen beschäftigt, die es auf dem Arbeitsmarkt schwer haben. Wie kam es dazu?

Wir wollten die Dinge von Anfang an anders machen und Menschen helfen. 2017 haben wir dann die Roetz Fair Factory gegründet. Hier bieten wir Menschen mit sozialen oder körperlichen Beeinträchtigungen, Einwanderern, aber auch Quereinsteigern, die Möglichkeit, an Trainingsprogrammen teilzunehmen, und wir können ihnen sogar eine berufliche Perspektive geben. Unsere Lehrgänge dauern zwischen sechs Monaten und zwei Jahren. Die Trainees lernen dort im Berufsleben zu stehen, mit Werkzeugen umzugehen und schließlich Fahrräder zu bauen.

Und könnt ihr so wirtschaftlich arbeiten?

Wir sind zumindest seit über zehn Jahren erfolgreich am Markt. Natürlich wollen wir als Unternehmen wachsen, aber nicht um jeden Preis. Wir sehen – genau wie unsere Investoren - unsere Arbeit auch als soziale Mission. Sicherlich könnten wir den Umsatz steigern, wenn wir nur ausgebildete Fahrradmechaniker einstellen würden, aber ein positiver Einfluss auf die Gesellschaft ist uns wichtiger. Im Moment beschäftigen wir 45 Mitarbeiter in Voll- und Teilzeit – je nach Leistungsfähigkeit. So können wir im Jahr rund 2.500 Fahrräder bauen.

Die Räder lassen sich in breitem Umfang konfigurieren, auch mit elektrischen Antrieben. Dafür arbeitet ihr jetzt mit Pendix aus Zwickau zusammen. Wie kam es zu der Kooperation?

Die Niederländer waren lange Zeit skeptisch gegenüber E-Bikes, inzwischen hat aber ein Umdenken stattgefunden. Auch hier wünschen sich jetzt immer mehr Menschen Unterstützung beim Fahren. Deshalb haben auch wir uns entschlossen, unsere Fahrräder zu elektrifizieren. Wir entwickeln im Moment ein eigenes Modell, das sich kaum von einem regulären Fahrrad unterscheiden lässt. Aber da wir unseren Kunden gerne mehr Auswahl geben möchten, haben wir uns für die Zusammenarbeit mit Pendix entschieden. Auf der Eurobike 2019 habe ich die Nachrüstsysteme von Pendix das erste Mal erlebt, und sie haben mich überzeugt. Der eDrive ist verlässlich, robust und passt als Mittelmotor perfekt an unsere Fahrräder. Außerdem hat das System eine tolle Reichweite, es ist also auch für Menschen interessant, die längere Touren unternehmen oder täglich mit dem Rad zur Arbeit fahren. Bei unseren Verkäufen liegen die regulären und elektrischen Varianten fast gleichauf. 

Wie sieht die Zukunft aus?

Im Moment liegt unser Fokus noch auf den Niederlanden. Wir arbeiten aber auch schon daran, stärker im DACH-Raum vertreten zu sein – die Kooperation mit Pendix war dafür ein erster Schritt. Neben unserem Online-Shop haben bereits Händler in Berlin, Leipzig, Basel oder Wien unsere Räder im Sortiment. Wir denken, dass unser Konzept auch dort gut funktionieren wird.

 

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