Die PFC-Kontamination in Baden-Württemberg und ihre Auswirkungen – Teil 1
Teure Geschenke
Das verwendete Löschmittel gehört zu den wasserfilmbildenden Löschschäumen (AFFF), die aufgrund ihrer Fähigkeit, einen wasserhaltigen Film zwischen Schaum und brennbarer Flüssigkeit auszubilden, bei Unfällen mit Tanklastzügen, Flugzeugunglücken oder Bränden in Raffinerien zum Einsatz kommen. Nach einem Bericht der Lokalpresse hatte die Feuerwehr das Mittel eher zufällig auf Lager. Ein Chemieunternehmen der Region habe den Löschschaum loshaben wollen und der Feuerwehr geschenkt, heißt es später in den Badischen Neuesten Nachrichten (siehe Datensammlung unten). Das Mittel durfte damals noch genutzt werden; die Verwendung war erst ab Mitte 2011 verboten.
Bei der Bekämpfung des Brandes in Sandweier kommt eine große Menge der giftigen Chemikalie zum Einsatz. Enthalten ist eine Substanz, die 2006 bis auf wenige Einsatzbereiche verboten wurde und seit 2011 auch in Feuerlöschschäumen nur noch in einer Konzentration von weniger als 0,001 Prozent enthalten sein darf: Perfluoroctansulfonsäure, abgekürzt PFOS. Die Chemikalie wurde 2009 als Schadstoff in den Anhang B des Stockholmer Übereinkommens aufgenommen. In Tierversuchen waren krebserzeugende und reproduktionstoxische Eigenschaften nachgewiesen worden.
PFOS gehört zu den per- und polyfluorierten Chemikalien, kurz PFC, eine Stoffgruppe, die mehr als 3000 verschiedene Substanzen umfasst. Die synthetisch hergestellten Fluorverbindungen kommen nicht natürlich vor, sind sehr stabil, können nicht natürlich abgebaut werden – weder durch Bakterien noch durch UV-Strahlung – und reichern sich so in der Umwelt an.

Beim Einsatz von Speziallöschschaum kam es im Raum Baden-Baden zu einer Kontamination mit PFC. Im Zuge weiterer Boden- und Wasseranalysen wurden noch andere Quellen für eine PFC-Verunreinigung gefunden. (Symbolbild)
Der in Sandweier verwendete Löschschaum wurde vor dem Verbot vor allem von Werkfeuerwehren zum Beispiel auf Flughäfen oder in Raffinerien eingesetzt. Häufiger als bei Brandereignissen kam er bei Übungseinsätzen und Brandsimulationen zum Einsatz. Als Ersatz finden sich seit der Reglementierung vermehrt andere Stoffe in Feuerlöschschäumen. In der Mehrzahl enthalten aber auch diese Ersatzstoffe fluorhaltige und somit umweltschädliche Substanzen.
Für die überwiegende Zahl denkbarer Brandeinsätze bis hin zu großen Tanklagerbränden werden inzwischen auch fluorfreie Schaummittel angeboten. Orientierung bietet der Leitfaden ‚Umweltschonender Einsatz von Feuerlöschschäumen‘, den das Bayerische Landesamt für Umwelt auf seiner Internetseite zum Download bereithält.
Doch zurück ins baden-württembergische Baden-Baden. Nach dem Brand in Sandweier war die Stadtverwaltung alarmiert, weil sich im Abstrom der Schadstoffquelle Grundwasserwerke von Baden- Baden und Rastatt befinden. Das Umweltamt der Stadt Baden-Baden untersuchte den Boden unverzüglich auf eine mögliche PFC-Belastung und wurde prompt fündig. Daraufhin erfolgten rastermäßige Bohrungen bis zum Grundwasser, man installierte eine Grundwassermessstrecke und entnahm Grundwasserproben.
Die Schadstofffahne, also die Verbreitung mit der Fließrichtung des Grundwassers, wurde gründlich untersucht und kontrolliert. Schließlich ließ die Stadt Baden-Baden im Zentrum der Fahne eine Aktivkohleanlage installieren. Bis heute werden dort regelmäßig vor und nach dem Durchgang Wasserproben genommen und analysiert. Rund 32 kg PFC konnten mittels Aktivkohle seit dem Jahr 2011 aus dem Grundwasser entfernt werden. Jeder Aktivkohlewechsel kostet etwa 30.000 Euro, und die jährlichen Betriebsund Wartungskosten (inklusive Aktivkohle) kommen auf gut 100.000 Euro.
Die Haftungsfrage beschäftigte mehrere Instanzen. Dabei stand die Gemeindefeuerwehr der Stadt Baden-Baden im Zentrum der Anklage: Warum hat sie diesen Spezialschaum eingesetzt? War das wirklich notwendig? Vergangenes Jahr bestätigte der Bundesgerichtshof (BGH), dass die Stadt Baden-Baden bzw. das Versicherungsunternehmen der Kommune für den Schaden aufkommen muss.
Doch Sandweier ist nur die Spitze des Eisberges einer Umweltproblematik weit größerer Dimension mit Durchschlag bis hin zur Lebensmittelversorgung der Bevölkerung und weitgehend unzulänglichen, ja hilflosen Gegenmaßnahmen.
Um zu sehen, ob die Schadstofffahne in ihrer Richtung konstant bleibt oder ob es Schwankungen gibt, wollte die Behörde wissen, wie es in der Umgebung aussieht und ließ links und rechts der Fahne Grundwasseraufschlüsse beproben. Das überraschende Ergebnis: Auch dort war das Grundwasser mit PFC kontaminiert – eine Verunreinigung, die gar nicht vom Brandereignis und der damit verbundenen PFC-Verunreinigung durch Löschschaum stammen konnte.
Datensammlung zum Thema PFC
Badische Neueste Nachrichtenwww.bnn.de/nachrichten/suedwestecho/pfc
www.bnn.de/lokales/rastatt/der-pfc-skandal-in-mittelbaden-eine-dokumentation
www.baden-baden.de/mam/files/aktuell/pfc/hb_ra_2018_der_pfc-skandal_in_mittelbaden_patricia_klatt.pdf
Bayrisches Landesamt für Umwelt
www.lfu.bayern.de/analytik_stoffe/per_polyfluorierte_chemikalien/index.htm
www.lfu.bayern.de/analytik_stoffe/per_polyfluorierte_chemikalien/feuerloeschschaeume_und_umwelt/index.htm
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU)
www.bmu.de
Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW)
PFC-Karten online: www.lubw.baden-wuerttemberg.de/wasser/pfc-karten-online
Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg
www.um.baden-wuerttemberg.de
Regierungspräsidium Karlsruhe
www.rp.baden-wuerttemberg.de/rpk/Abt5/Ref541/PFC/
Stadt Baden-Baden
www.baden-baden.de/stadtportrait/aktuelles/themen/pfc-problematik/
Stadt Mannheim
www.mannheim.de/de/service-bieten/umwelt/bodenschutz/pfc
Stadtwerke Rastatt
www.stadtwerke-rastatt.de/de/wasser/Trinkwasser-Schutz-PFC/Was-ist-PFC/
Umweltbundesamt (UBA)
www.umweltbundesamt.de/themen/chemikalien/chemikalien-reach/stoffgruppen/per-polyfluorierte-chemikalien-pfc#textpart-3
Umweltministerkonferenz
Umlaufbericht 2017: www.umweltministerkonferenz.de
Hunderte von Bodenproben
Bei näherer Untersuchung der Einzelsubstanzen ergab sich außerdem, dass das PFC-Spektrum von der Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) in Richtung Perfluoroctansäure (PFOA) verschoben war.Auf der Suche nach den Ursachen der Grundwasserbelastung ließ das Umweltamt landwirtschaftlich genutzte Flächen in der Umgebung beproben und analysieren. Dabei wurde schnell klar, dass es sich um ein erschreckend großräumiges Problem handelt.
Als Geologe und freiberuflicher Gutachter ist auch Dr. Jürgen Walzenbach seit 2013 mit Untersuchungen in verschiedenen PFC-Fällen betraut. In der ganzen Umgebung habe man ein ähnliches PFC-Spektrum mit dem Hauptbestandteil PFOA vorgefunden, berichtet er. Die durchgängig fluorierte Carbonsäure ist fettabweisend und sehr beständig. Sie kommt unter anderem bei der Herstellung bestimmter Spezialpapiere zum Einsatz, etwa in der Antihaftbeschichtung von Pizzakartons und in Butterbrot-Einwickelpapier. Wenn Jürgen Walzenbach von PFC-Spektrum spricht, meint er die 23 Substanzen, die überhaupt gemessen werden. „Doch wir kennen Hunderte identifizierbarer Einzelsubstanzen; nur 23 werden analytisch bestimmt, und 13 sind derzeit bewertungsrelevant“, warnt der Geologe, der Hunderte von Bodenproben im Gebiet Rastatt und Baden-Baden gezogen, bewertet und entsprechende Gutachten erstellt hat. Es sei nicht auszuschließen, dass künftig andere Bewertungsmaßstäbe gälten und heute als unbedenklich eingestufte Fluor-Ersatzstoffe
dann ebenfalls kritisch bewertet würden.
Die weitere Ursachen-Recherche seitens der Kommune führte zu einem Komposthändler aus Bühl/Baden-Baden. Offensichtlich wurden innerhalb von drei Jahren mehr als hunderttausend Tonnen Papierschlämme von Firmen aus ganz Deutschland an seinen Betrieb geliefert. Nach eigenen Angaben wurde deren Entsorgung mit zwei bis drei Euro pro Tonne vergütet. Außerdem hat der Zuschlagstoff im Kompost durchaus einen Wert: Zellstoff fördert als zusätzliche Kohlenstoffquelle das Pflanzenwachstum. Die Recherchen ergaben jedoch, dass der Komposthändler auch PFC-haltige Papierschlämme bezogen hatte. Mit Kompost vermischt, verschenkte er die Papierschlämme in den Jahren 2006 bis 2008 an Landwirte, ganz offensichtlich, ohne sich der Umweltproblematik bewusst zu sein.
Über 600 Hektar Ackerflächen wurden so im Raum Baden-Baden/Rastatt mit PFC verseucht; zahlreiche Landwirte waren betroffen. Sie durften mit dem belasteten Grundwasser ihre Felder nicht mehr bewässern und mussten sich mit hohem Aufwand an die öffentliche Wasserversorgung anschließen lassen. Mit einem Vor-Ernte-Monitoring kontrollierte die Behörde auf den Verdachtsflächen, was in den Verzehr kommen durfte und was nicht. Viele Flächen fielen brach und wurden gar nicht mehr bewirtschaftet. Für den Schaden mussten die Eigentümer der Parzellen als sogenannte Zustandsstörer selbst aufkommen.

Der Geologe Dr. Jürgen Walzenbach ist bei den Untersuchungen der großflächigen PFC-Kontaminationen in Mittelbaden beteiligt und fertigte zahlreiche Gutachten zur PFC-Belastung an. Hier entnimmt er in einer Kleingartenanlage aus 30 Zentimetern Tiefe eine Bodenprobe.
Der Komposthändler wurde verklagt, doch die Staatsanwaltschaft stellte ihre Ermittlungen wegen fehlenden Vorsatzes und Verjährung ein. Er muss sich allerdings auch verwaltungsrechtlich verantworten, und dieses Verfahren dauert noch an.
Verantwortlichkeiten zu klären
„Es hat angeblich Ausgangskontrollen von Seiten der Papierindustrie gegeben, und da gab es anscheinend nichts, was auffällig war oder Besorgnis hervorgerufen hätte“, berichtet Jürgen Walzenbach.Die Badischen Neuesten Nachrichten (BNN) und ihre Redakteurin Patricia Klatt recherchierten umfangreich zu dem PFC-Skandal. „Es liegt bislang noch einiges im Dunkeln bei diesem Umweltskandal im beschaulichen Badener Land und letztendlich werden wohl wirklich die zuständigen Gerichte die verschiedenen Verantwortlichkeiten klären müssen“, schreibt Klatt. Unstrittig sei, dass der Komposthändler hätte sicherstellen müssen, dass ihm nur Materialien geliefert wurden, die nach der Düngemittelverordnung (DüMV) für die Aufbringung auf die Felder zugelassen sind. Für die richtige Deklarierung von Abfällen bzw. Papierschlämmen sei aber der Erzeuger verantwortlich, das heißt, die Papierfabriken. Da aber Papierschlämme grundsätzlich keine gefährlichen Abfälle darstellen, so zitiert die BNN das Regierungspräsidium Stuttgart, „ist keine vorgelagerte Prüfung des geplanten Entsorgungswegs durch die Behörden vorgeschrieben“.
Man müsse sich der Frage stellen, warum nach der Düngemittelverordnung bei allen offensichtlichen Unwägbarkeiten hinsichtlich der chemischen Zusammensetzung nach wie vor Papierfaserabfälle aus sogenannten Frischfasern, also kein Recyclingmaterial, auf die Felder kommen dürfen – so Patricia Klatt.
Auf die Frage, was derzeit überhaupt auf die Felder aufgebracht werden darf, erklärt das baden-württembergische Umweltministerium (UMBWL): „Für Papierschlämme gelten hier sehr strenge Anforderungen, sodass zumindest in Baden-Württemberg praktisch keine für die Verwertung als Düngemittel geeigneten Papierschlämme anfallen. Dennoch setzen sich das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg und unser Haus (Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft; Anm. d. Redaktion) für eine deutliche Absenkung der PFC-Grenzwerte in der DüMV ein.“ Dort ist ein PFC-Grenzwert von 100 μg/kg in der Summe aus PFOA und PFOS genannt.

Die höchste PFC-Belastung im Boden findet sich in der Regel in den oberen 30 bis 60 Zentimetern. Was davon ins Grundwasser ausgewaschen wird, hängt von den geologischen Gegebenheiten ab.
Was geschieht nun gegenwärtig mit PFC-haltigen Schlämmen aus der Papierindustrie? Wie kommen diese Chemikalien überhaupt in die Schlämme? Und besteht nicht immer noch die Gefahr der Beimischung in landwirtschaftlich genutztem Kompost? Darüber spricht man nicht gerne bzw. überhaupt nicht: Das UMBWL erklärte dem ENTSORGA-Magazin auf Anfrage: „Dieser Eintragspfad besteht in Baden-Württemberg nicht mehr. Sämtliche Papierfabriken im Land wurden bereits 2015 aufgefordert, ihre Entsorgungswege für Papierschlämme offenzulegen. Dabei wurde deutlich, dass die Abfälle in der Regel in die thermische Verwertung gehen. Hier im Land gibt es nach aktuellem Kenntnisstand keine Papierschlämme, die die DüMV uneingeschränkt erfüllen. Demnach wäre eine landwirtschaftliche Verwertung auch nach DüMV nicht möglich.“
Die Papierfabriken sollten es am besten wissen. Doch hier wird gemauert. Aufgrund schwebender rechtlicher Verfahren könne man sich zu diesem Sachverhalt nicht äußern, erklärte ein Sprecher des Verbandes Deutscher Papierfabriken e.V. (VDP). Weder zum gegenwärtigen Entsorgungsweg PFC-haltiger Schlämme noch zu irgendwelchen Mengen oder gar zu möglichen Eintragswegen gegenwärtig oder in der Vergangenheit möchte sich der VDP äußern.
Besonders pikant die Meinung des UMBWL hierzu: „Schwebende rechtliche Verfahren im Rahmen der PFC-Problematik gegenüber den Papierfabriken sind uns nicht bekannt“, erklärte ein Ministeriumssprecher.

Im Zentrum der mit PFC belasteten Grundwasserfahne wurde in der Nähe der Autobahn bei Baden-Baden eine Aktivkohleanlage installiert. Bis heute werden dort regelmäßig vor und nach dem Durchgang Wasserproben genommen und analysiert.
„Ein besonderes Verantwortungsgefühl der Papierindustrie konnte man nicht feststellen, die Kontrollen haben versagt“, meint auch die BNN-Redakteurin. Die Rolle der Papierfabriken bleibe nebulös. „Der Komposthändler und seine Berater bestreiten bis heute, dass die Papierschlämme überhaupt per- und polyfluorierte Chemikalien in nennenswerten Mengen enthalten haben könnten“, schreibt Klatt.
Die Regulierung von PFOS und PFOA
Die Vertragsstaatenkonferenz des Stockholmer Übereinkommens zum weltweiten Umgang mit schwer abbaubaren Chemikalien bereitet ein globales Verbot der Industriechemikalien Perfluoroktansäure (PFOA) und Perfluoroktansulfonsäure (PFOS) vor. Sie sollen ab 2020 weltweit nicht mehr eingesetzt werden.Bis 2025 gilt für PFOA eine Übergangsfrist für folgende Anwendungsbereiche: Feuerlöschschäume, Berufstextilien, Arbeits- und Gesundheitsschutz, medizinische Textilien und Membranen einiger Industrieverfahren, implantierbare medizinische Geräte, Filmbeschichtungen und Halbleiterherstellung. PFOA wurde bereits im Jahr 2013 als sogenannte besonders besorgniserregende Chemikalie identifiziert und auf Initiative des Umweltbundesamtes der Kandidatenliste der Europäischen Chemikalienverordnung REACH zugefügt. In der EU-POP-Verordnung sind bislang die PFOA allerdings noch nicht berücksichtigt.
Für PFOS wurden fast alle noch erlaubten Ausnahmen gestrichen. Dieser Stoff darf nur noch in Feuerlöschschäumen und bei der Hartverchromung so verwendet werden, dass er nicht in die Umwelt gelangen kann. Auch PFOS muss bis spätestens 2025 ersetzt sein. Das Europäische Parlament hatte die Verwendung von PFOS bereits im Jahr 2006 bis auf wenige Einsatzbereiche eingeschränkt. Die Chemikalie wurde 2009 als Schadstoff in den Anhang B des Stockholmer Übereinkommens für persistente organische Schadstoffe (Persistent Organic Pollutants, POP) aufgenommen.
Früchte untergepflügt
Ob PFC-Verbindungen über das Altpapierrecycling oder über Additive der Papierfaserreststoffe, die aus Frischholz hergestellt werden, ausgetragen werden bzw. wurden, lässt sich praktisch nicht mehr feststellen und schon gar nicht, welche Papierfabrik für welche Schlämme zuständig war.Jessica Schuldt, die Juristin des Landratsamtes Rastatt, war mit dem PFC-Skandal intensiv befasst. Es sei schwierig, einzelne Papierfabriken nach dem Bundesbodenschutzgesetz zu belangen, weil der Komposthändler die Abfälle vermischt habe. Und es sei unklar, ob die PFC und ihre Vorläufersubstanzen aus den Barrieremitteln der Papierindustrie oder aus den Recyclingschlämmen stammten, wird sie in Presseberichten zitiert. „Und wenn die Konzentrationen auch gering gewesen sein mögen, kann sich das bei mindestens 106.000 Tonnen Papierschlämmen im Boden eben zu den nachgewiesenen Belastungen aufsummieren.
Hilfreich wären die Unterlagen der Fabriken über die an den Komposthändler gelieferten Stoffe, die wurden aber von der Staatsanwaltschaft nicht angefordert“, schreibt Patricia Klatt. Das Landratsamt habe zwar den Weg von Papierschlämmen einer Firma über den Komposthändler auf einen hochbelasteten Acker belegen können, aber die Staatsanwaltschaft habe das nicht berücksichtigt.

Beim Anbau von Ackerkulturen wie Mais verbleiben nach der Ernte die vegetativen Pflanzenteile weitgehend auf dem Feld und tragen durch die organische Masse zum Erhalt der Bodenfruchtbarkeit bei. Im Falle einer PFC-Belastung bleibt damit ein Großteil der in Pflanzen gebundenen PFC auf dem Feld. Eine energetische Nutzung über eine Biogasanlage gilt wegen der PFC-Verschleppung in die Gärreste als nicht sinnvoll.
Noch weitgehend ungeklärt sind die großflächigen PFC-Belastungen im Mannheimer Norden, die schon 2015 bekannt wurden. Auch im Sommer dieses Jahres wurden PFC-haltige Erdbeeren, die von einem Feld bei Mannheim stammen, bei Kontrollen des Chemischen und Veterinäruntersuchungsamt Freiburg (CVUA) entdeckt und aus dem Handel genommen. Soweit die Früchte noch auf dem Feld waren, mussten sie untergepflügt werden.
Das Regierungspräsidium (RP) Karlsruhe vermutet, dass auch hier PFC-Verbindungen über verunreinigte Kompostmischungen in die Böden gelangt sind. Diese seien wahrscheinlich mit Rückständen aus der Papierindustrie belastet gewesen. Proben aus der Zeit gibt es nicht mehr. Der Dünger stamme vermutlich aus einem Kompostwerk in Mannheim. Zwar seien alle Äcker kontrolliert worden, für die Lieferscheine mit kritischen Kompostmischungen vorhanden waren, und betroffene Landwirte seien befragt worden, doch das habe, so das RP, wohl nicht ausgereicht.
Die Stadtverwaltung Mannheim informiert nun umfangreich über die PFC-Kontamination, doch lösen kann auch sie das Problem nicht – bestenfalls verwalten. „Von den 317 Hektar untersuchten Flächen sind 237 Hektar als belastet einzustufen. Spuren von PFC lassen sich auf nahezu allen Flächen nachweisen. Von den in diesem Jahr beprobten 56 Beregnungsbrunnen sind 8 unbelastet. 39 Brunnen wiesen Spuren von PFC auf und 9 Brunnen waren höher belastet (Quotientensumme größer 1). Im Vergleich zu den Ergebnissen der Vorjahre ist mittelfristig mit einer Verschlechterung der Bewässerungssituation zu rechnen“, heißt es bei der Stadt offiziell.
„Die aktuellen Untersuchungen zeigen eine wesentlich größere Flächenbelastung als nach den bisherigen Befunden zu vermuten war. Der Verdacht, dass nur Flächen betroffen sind, die zwischen 2006 und 2008 mit entsprechendem Kompost behandelt wurden, hat sich nicht bestätigt. Die Belastung erstreckt sich auch auf Flächen, auf denen nach 2008 Kompost ausgebracht wurde, der vermutlich mit Papierschlämmen vermischt war. Somit sind nun auch Untersuchungen auf Ackerflächen erforderlich, für die es bisher keine Hinweise auf die Ausbringung von Dünger oder Kompost gab. Circa 1000 Hektar im Umfeld der bereits bekannten Belastungsflächen werden untersucht. Die Untersuchung beginnt in diesem Jahr und soll bis 2021 abgeschlossen sein.“
Das Amt für Landwirtschaft und Naturschutz Sinsheim führt in der Region nördlich von Mannheim seit 2015 ein so genanntes Vor-Ernte-Monitoring durch. Dabei werden Erzeugnisse von den mit PFC belasteten Ackerflächen rechtzeitig vor der Ernte geprüft. Das Landwirtschaftliche Technologiezentrum Augustenberg (LTZ) untersucht die Pflanzenproben auf ihre Gehalte an verschiedenen PFC-Verbindungen. Liegen die Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg festgelegten Beurteilungswerten, darf das Erzeugnis nicht als Lebensmittel vermarktet werden. Beim diesjährigen Vor-Ernte-Monitoring konnte man bei zwei der untersuchten Pflanzenproben einzelne Werte oberhalb der Beurteilungswerte feststellen; die Produkte durften nicht verkauft werden.
Zusätzliche Lebensmittelkontrollen
Im Jahr 2018 war auf fünf Weizenflächen und auf einer Maisfläche der sogenannte Beurteilungswert überschritten. Die erntereifen Agrarerzeugnisse dieser Flächen konnten nicht als Lebensmittel vermarktet werden. Auch Honig musste aus dem Verkehr genommen werden, und in diesem Jahr waren es Erdbeeren auf einer 0,75 ha großen Anbaufläche, die aufgrund zu hoher PFC-Werte vernichtet werden mussten.
PFC werden aufgrund ihrer wasser-, schmutz- und fettabweisenden Eigenschaften in einer Vielzahl von Verbraucherprodukten eingesetzt. Die attraktiven Eigenschaften der PFC haben aber auch eine Kehrseite.
„Anbauverbote sind bisher nicht notwendig. Die Landwirte beachten die Bewirtschaftungsrichtlinien der Landwirtschaftsverwaltung und befinden sich über das Bewirtschaftungs- und Minimierungskonzept (BEMIKO) in ständigem Dialog mit dem RP Karlsruhe. Kulturen, die nach derzeitigem Kenntnisstand PFC aufnehmen, werden nicht auf bekannten belasteten Flächen angebaut. Deshalb können alle landwirtschaftlichen Flächen im Mannheimer Norden mit anderen Kulturen weiter bewirtschaftet werden. Neu ermittelte PFC-verunreinigte Flächen werden sofort ins Vor-Ernte-Monitoring mit aufgenommen. Zudem gibt es zusätzliche Lebensmittelkontrollen hinsichtlich PFC in der Region. Diese miteinander verzahnten Systeme bieten ein hohes Maß an Verbraucherschutz in der Region“, erklärte Pressesprecher Kevin Ittemann die Strategie der Stadt Mannheim gegenüber dem ENTSORGA-Magazin.
Verzahnte Systeme
Vielfach diskutiert wird auch das Thema Klärschlamm als mögliche PFC-Eintragsquelle. Diese führte auch der Komposthändler aus Bühl vor Gericht an. Laut Mitteilung der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg LUBW kommt Klärschlamm als Ursache für die PFC-Belastung jedoch nicht infrage. Zur Kontrolle hatte die LUBW Ackerflächen in ganz Baden-Württemberg auf PFC untersucht und nur geringe Hintergrundkonzentrationen gefunden. Auch bei Flächen, auf denen Klärschlamm ausgebracht worden war, zeigten sich keine Auffälligkeiten bei den PFC-Werten.Dies gilt auch für Flächen, die laut eines landesweiten PFC-Untersuchungsprogramms von 2007 und 2008 überdurchschnittlich mit PFC-belasteten Klärschlämmen beaufschlagt worden waren. Auslöser für die damaligen Untersuchungen baden-württembergischer Kläranlagen und Gewässer waren Schlagzeilen im Sommer 2006, als in Nordrhein-Westfalen erhöhte Konzentrationen an PFOS und PFOA in Gewässern und Trinkwässern im Einzugsgebiet von Ruhr und Möhne nachgewiesen wurden. Wesentliche Ursache hierfür war die illegale Entsorgung von PFC-haltigen Industrieschlämmen, die mit kommunalen Klärschlämmen vermischt und als Bioabfall deklariert von Landwirten als Bodenverbesserungsmittel ausgebracht wurden.
Die LUBW sieht die aktuellen Untersuchungsergebnisse als ein Indiz dafür, dass die Ausbringung von Klärschlämmen nicht die Ursache der PFC-Schadensfälle in Mittelbaden sein kann. In einer Mitteilung der Institution heißt es: „Flächen mit Komposten aus zwei Kompostwerken, die bekanntermaßen in einem Fall Papierschlamm (auch aus Altpapier), im anderen Fall Textilfaserabfälle angenommen haben, zeigten ebenso geringe PFC-Gehalte wie die übrigen Flächen. Dies ist insoweit nachvollziehbar, als die Papierfabrik und das Textilunternehmen, aus denen die Abfälle stammen, keine PFC einsetzen und auch früher nicht einsetzten. Dagegen gibt es bekanntermaßen Papierfabriken in Baden-Württemberg, die PFC einsetzen und demnach PFC-belastete Papierschlämme erzeugen können. Solche Papierschlämme sind weiterhin als Ursache für Boden- und Grundwasserbelastungen in Betracht zu ziehen.“
Die Schadensflächen in Mittelbaden werden bis heute gründlich untersucht, dokumentiert und kontrolliert. Eine vollständige Sanierung erscheint jedoch aussichtlos. „Mittel- und Nordbaden wird auf längere Sicht mit der PFC-Belastung der Böden und des Grundwassers leben müssen“, stellt die Stadt Baden-Baden auf ihrer Internetseite resigniert fest. Weiter heißt es: „Nach aktuellem Erkenntnisstand ist eine flächendeckende Sanierung mit verhältnismäßigen Mitteln nicht zu bewerkstelligen. Für die beteiligten Behörden hat der Schutz der Bevölkerung vor gesundheitlichen Beeinträchtigungen höchste Priorität.“
Jürgen Walzenbach ist in Sachen Klärschlamm jedoch anderer Ansicht: „Klärschlamm kann aber durchaus als PFC-Eintragsquelle infrage kommen; das haben wir in einem Fall im Bereich Baden-Baden/ Rastatt eindeutig nachweisen können“, stellt der Gutachter klar. Es hänge immer davon ab, welche Industrieunternehmen der Kläranlage angeschlossen seien.
29. Karlsruher Deponie- und Altlastenseminar
Am 16. und 17. Oktober 2019 findet im Kongresszentrum Karlsruhe das 29. Karlsruher Deponie- und Altlastenseminar statt. Es steht unter dem Motto „Abschluss und Rekultivierung von Deponien und Altlasten – Planung und Bau neuer Deponien“. Organisiert wird die Tagung von der ICP Ingenieurgesellschaft Prof. Czurda und Partner mbH, Karlsruhe.Aus aktuellem Anlass wird erneut die Mantelverordnung in Form der zwischen Bund (BMU) und den Ländern kontrovers diskutierten Ersatzbaustoffverordnung aufgegriffen. Auch der aktuelle Verfahrensstand und Diskussionspunkte der LAGA/LABO Ad-hoc-AG ‚Mantelverordnung‘ werden vorgestellt.
Das Thema Genehmigungsprozesse für die Erweiterung bzw. Fortführung von Deponien wird am Beispiel der Deponien Haschenbrock und Vereinigte Ville aufgegriffen und mit einem Erfahrungsbericht Deponie auf Deponie aus der Sicht eines Deponiebetreibers ergänzt.
Einen weiteren thematischen Schwerpunkt bilden Deponiesanierungen mit einem Bericht über die Rückbaumaßnahme Perimeter 1/3 Nordwest der Kesslergrube mit dem Schwerpunktthema Öffentlichkeitsarbeit, einem Erfahrungsbericht vom Rückbau der Schweizer Sondermülldeponie Bonfol sowie von aktuellen Erkenntnissen der Sicherung und Sanierung der Deponie Morgenstern.
Interessante rechtliche und abfallwirtschaftliche Aspekte beleuchtet der Beitrag Entsorgungspflicht öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger für Bodenaushub bei fehlenden bzw. unzumutbaren Verwertungsmöglichkeiten.
Schutz der Bevölkerung
Dr. Thomas Egloffstein, Geschäftsführer der ICP Ingenieurgesellschaft Prof. Czurda und Partner mbH in Karlsruhe, ist ein ausgewiesener Experte für die Bearbeitung schädlicher Bodenveränderungen und Altlasten. Auch er macht deutlich: Es geht in erster Linie darum, zu verhindern, dass die Schadstoffe weiter in der Umwelt verteilt werden. Es bleibt also nur das Auskoffern belasteter Böden und das Filtern von Grundwasser. Die Verordnung (EU) 2019/1021 vom 20. Juni 2019 über persistente organische Schadstoffe (POP-Verordnung) legt fest, dass Abfälle mit Gehalten an PFOS von mehr als 50 mg/kg nicht mehr oberirdisch abgelagert werden dürfen.Zwischenzeitlich liegt ein Entwurf der Bund/Länder-Arbeitsgruppe PFC vor, die zulässige Konzentrationen auf der Basis der humantoxikologisch für das Trinkwasser abgeleitete Geringfügigkeitsschwellenwerte (GFS) und gesundheitliche Orientierungswerte (GOW) im W:F=2:1 Eluat für die Verwertung vorschlägt. Hier gibt es allerdings Bedenken, dass die vorgeschlagenen sehr geringen Vorsorgewerte (Z0) auf dem Niveau der halben GFS/GOW-Werte dazu führen, dass in vielen Bereichen, aufgrund bereits ubiquitär vorhandener PFC-Grundbelastungen durch die atmosphärische Deposition, viele Böden nicht mehr uneingeschränkt verwertet werden können.
Weitere Kritik
Thomas Egloffstein macht deutlich: Für andere PFC als PFOS existieren im Abfallrecht aktuell bundesweit keine anwendbaren Regelungen. „Konservativ vereinfachend wird daher empfohlen, für die Beseitigung auf Deponien den bislang ausschließlich für PFOS geltenden Grenzwert von 50 mg/kg auch für die Summe der im konkreten Fall ermittelten PFC anzuwenden, wie das der Erlass II des Umweltministeriums Baden-Württemberg vom April 2019 und auch der Entwurf des bundeseinheitlichen ‚Leitfaden zur PFC-Bewertung‘, vorsehen. Die inhaltlich weitestgehend identischen Papiere regeln die Beseitigung auf Deponien pragmatisch. Es bleibt aber festzuhalten, dass die Voraussetzungen bei den wenigsten Deponien vorliegen: Dazu gehören eine Basisabdichtung nach DK I, spezielle Monobereiche für PFC-haltige Böden, eine getrennte Sickerwassererfassung und eine auf die jeweiligen PFC ausgerichtete Sickerwasserbehandlung.
Spargel zählt nicht zu den Pflanzen, die PFC bevorzugt aufnehmen; das gilt allerdings nicht bei höheren Temperaturen. Spargel, Erdbeeren und Gemüse sollten nur auf unbelasteten Böden angebaut werden, empfiehlt das RP Karlsruhe.
An diesem Punkt setzt eine weitere Kritik von Jürgen Walzenbach an. Zwar hätten die Behörden angesichts der großflächigen PFC-Kontamination umgehend und sorgfältig gearbeitet und entsprechende Messprogramme und – soweit möglich – auch Wasserreinigungsmaßnahmen veranlasst, doch letztlich bliebe nur die Verwaltung eines Umweltskandals. „Belasteter Boden kann nach derzeitigem Kenntnisstand nicht gereinigt, sondern bestenfalls ausgekoffert und sicher deponiert werden.“ Doch in ganz Deutschland und vor allem in Baden-Württemberg mangele es ganz entscheidend an ausgewiesenen Deponieflächen. Anfahrtswege über Hunderte von Kilometern durch die ganze Republik bis nach Mecklenburg-Vorpommern seien keine Ausnahme, sondern die Regel, weil es immer noch dem Deponiebetreiber obliege, was er annehme und was nicht.
In der folgenden Ausgabe des ENTSORGA-Magazins setzen wir die Berichterstattung zum Thema PFC fort. Dann wird es um die praktischen Herausforderungen beim Umgang mit PFC-Belastungen gehen.
Ein Beitrag von Martin Boeckh & Sabine Hebbelmann
Fachartikel aus dem ENTSORGA-Magazin Nr. 5/2019
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