Eawag und EPFL (Schweiz)
Verlauf der Pandemie ist im Abwasser lesbar
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Verlauf der Ansteckung aufzeigen, nicht absolute Zahl der Infizierten
Die erfolgreiche Detektion von tiefen Virenkonzentrationen zu einer frühen Zeit des Ausbruchs sollte es möglich machen, rückwirkend die Kurve des Covid-19-Anstiegs zu rekonstruieren. Bis die über 300 Proben, die zurzeit an der Eawag und der EPFL eingefroren lagern, alle ausgewertet sind, werden aber noch Wochen vergehen. Auf eine exakte Zahl von Infizierten rückschließen wird man daraus kaum können. Unter anderem schwankt dazu die Zahl der ausgeschiedenen Viren pro Angestecktem zu stark. Wichtig ist jedoch der Verlauf. Am Beispiel der Proben aus Lausanne konnten die Wissenschaftler in den letzten Tagen den Anstieg der SARS-CoV-2-Viren im Abwasser zwischen März und April grob nachzeichnen: Kohn schätzt die Vervielfachung der Konzentration derzeit auf das Zehn- bis Hundertfache.Ziel Frühwarnsystem
Von zwölf Kläranlagen, neun davon aus dem Tessin, wurden seit dem Bekanntwerden der ersten Covid-19-Erkrankungen Proben genommen – ein wertvolles Archiv. Hauptziel des Projekts ist jedoch nicht der Rückblick, sondern der Aufbau eines Systems mit Frühwarnfunktion. „Mit Proben aus 20 großen, geografisch gut über die Schweiz verteilten Kläranlagen könnten wir das Abwasser von rund 2,5 Millionen Leuten überwachen“, sagt Umweltingenieur Christoph Ort. Werden die Proben rasch analysiert, könnte ein Wiederanstieg von Infektionen während des Exits aus dem Lockdown wohl früher erkannt werden als über klinische Tests bei den Betroffenen. Ort hofft, ungefähr eine Woche früher. Der Eawag-Forscher befasst sich seit längerem mit Abwasser-Epidemiologie. Bisher stand der europaweite Vergleich des Drogenkonsums im Fokus, denn „das Abwasser lügt nicht und spiegelt in wenigen Stunden, was die Bevölkerung ausscheidet“, sagt Ort. Jetzt kamen den Forschenden die eingespielten Kontakte zu Kantonen und Kläranlagen zu Gute.Aufwändige Methodik
Trotz der ersten Erfolge muss die Methodik jetzt weiter optimiert werden. So steht noch nicht eindeutig fest, welcher Anteil der Viren beim Extrahieren – dem Knacken der Hülle um die verräterische Erbinformation (RNA) – erfasst wird. Dieser Schritt folgt mehreren Filtrations- und Zentrifugierschritten. Und auch danach, bei der selektiven Vervielfältigung der gesuchten Gensequenz, sind die Unsicherheitsfaktoren aktuell noch zu groß. Erst wenn auch diese eingegrenzt werden können, werden die Rückschlüsse auf die in den Originalproben enthaltenen Virenkonzentrationen vergleichbar.https://www.eawag.ch