DVGW Wasser-Impuls
Nichts ist so wertvoll wie unser Trinkwasser

07.04.2020 Sicheres Trinkwasser heute und morgen: Unter dem Thema „Zukunftsbilder 2030 bis 2100 – Wandel erfordert bereits jetzt die Entwicklung langfristiger regionaler und lokaler Konzepte“ ging am 10. März 2020 die vom DVGW initiierte Dialog-Serie „Wasser-Impuls“ in die letzte Runde.

Dr. Wolf Merkel, Vorstand des Ressorts Wasser beim DVGW
© Foto: DVGW
Dr. Wolf Merkel, Vorstand des Ressorts Wasser beim DVGW
Dr. Wolf Merkel, Vorstand des Ressorts Wasser beim DVGW begann das fünfte Expertenforum mit einem Appell: „Was immer zuverlässig läuft, dem wird keine besondere Beachtung geschenkt. Der Wert des Wassers ist neu zu verankern und muss neu auf die Agenda von Gesellschaft und Politik kommen.“ Die funktionsfähige Infrastruktur von heute ist kein Garant für eine funktionsfähige Wasserversorgung von morgen und das mit der historischen Entwicklung gewachsene Erfahrungswissen allein genügt nicht für die Bewältigung der Herausforderungen von morgen, stellt Merkel fest. Gesellschaft, Wirtschaftsabläufe, Energiesystem, Technologien, Klima: Die Welt befindet sich im Wandel.

Die Auswirkungen der Klimaveränderungen skizzierte Dr. Andreas Marx vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ in Leipzig. Er begann seinen Impulsvortrag mit einem Rückblick: Selbst für ihn als Wissenschaftlichen Koordinator für Anpassung der Helmholtz-Klimainitiative kamen die Jahre 2018 und 2019 in ihrer extremen Ausprägung überraschend. „Es hat sich gezeigt, dass Dürre langsam kommt und lange bleibt und dabei viele Branchen betrifft.“ Es war nicht nur die Wasserversorgung auf vielfältige Weise betroffen, sondern auch Land- und Forstwirtschaft litten unter Trocken- und Hitzestress. Industrie und Energiewirtschaft mussten Einschränkungen durch drastisch verringerte Transportkapazitäten der Binnenschifffahrt meistern. Extremereignisse wie Trockenzeiten, Hitzeperioden und Starkregenereignisse werden nach Ansicht von Andreas Marx in Zukunft gehäuft auftreten.
 
Der DVGW hatte bereits im Factsheet zum Expertenforum darauf hingewiesen: Das Trockenjahr 2018 stellt einen Wendepunkt dar, weil es schlaglichtartig deutlich gemacht hat, dass der Klimawandel spürbare Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von Rohwasser für die Trinkwasserversorgung hat und wo die Herausforderungen und teilweise auch Schwachstellen in der Versorgungsinfrastruktur liegen. Bis 2100 rechnet der Deutsche Wetterdienst mit einer Reduzierung des klimatischen Wasserbilanzüberschusses um zwei Drittel allein aufgrund steigender Temperaturen. Allein dadurch wird unabhängig von den zusätzlichen Effekten häufigerer Trockenperioden weniger Wasser für das Auffüllen der Trinkwasserressourcen zur Verfügung stehen.

Vision 2100: Wie sieht die Wasserversorgung in 80 Jahren aus?

Zusätzlich zu veränderten demografischen, wirtschaftlichen und technologischen Faktoren schafft der Klimawandel eine grundlegend veränderte Situation bei der Verfügbarkeit der Trinkwasserressourcen, der Befriedigung der zukünftigen Wasserbedarfe und den Anforderungen an die Wasserinfrastruktur. Damit die Wasserversorgung auch in Zukunft ihre Rolle in der Daseinsvorsorge verlässlich übernehmen kann, braucht es eine Vision für 2100, die diese Herausforderungen adressiert. Ingo Hannemann, technischer Geschäftsführer bei Hamburg Wasser, illustrierte eine positive Vision der Wasserversorgung im Jahre 2100: Der Klimawandel hat seinen Höhepunkt überschritten, die Klimaanpassung ist in allen Bereichen weitgehend abgeschlossen. Einst stark versiegelte urbane Regionen wurden zu Schwammstädten umgebaut, in denen Niederschläge versickert oder gespeichert werden.

Die hoch effiziente Landwirtschaft kommt mit viel weniger Fläche aus, durch veränderte Ernährungsgewohnheiten ist die Tierhaltung auf einen Bruchteil der Zahlen im Jahr 2020 zurückgegangen. Wiedergewonnene naturnahe Flächen dienen erfolgreich der Wasserspeicherung und -versickerung sowie dem Hochwasserrückhalt. Nitrat- und Spurenstoffbelastungen gehören der Vergangenheit an. Dazu haben technische Weiterentwicklungen und eine konsequente Hersteller- und Produktverantwortung maßgeblich beigetragen. Durch den DVGW mitvorangetriebene technische Innovationen in den Hausinstallationen und im Sanitärbereich haben den Trinkwasserbedarf pro Kopf gegenüber 2020 um mehr als die Hälfte reduziert. Dieser Bedarf kann flächendeckend auch mit den dann deutlich geringeren Wasserdargeboten gedeckt werden. Wasserverluste in der Trinkwasserversorgung wurden durch langlebige Materialien und smarte Überwachungssysteme in den Verteilnetzen auf 1% reduziert. Auch der gewerbliche und industrielle Brauchwasserbedarf hat sich erheblich reduziert und wird sehr viel stärker durch Wasserwiederverwendung und Kreislaufnutzungen gedeckt.
 
Ingo Hannemann richtete die Frage an die Gruppe, was zu tun sei, um diese Vision zu erreichen. Diese Frage war dann auch das Leitmotiv für die den beiden Impulsvorträgen folgende Diskussion.

Die Bedingungen und Implikationen des Rekordsommers 2018

Die Teilnehmenden waren sich einig, dass in den nächsten Jahren und Jahrzehnten erhebliche Anstrengungen auf Länder, Kommunen und Akteure der Wasserwirtschaft zukommen werden. Außerdem müssen regionale und lokale Zukunftsbilder mit den Perspektiven 2030, 2050 und 2100 entwickelt werden. Als Voraussetzung dafür müssen alle Akteure gemeinsam

  • regionale und überregionale Wasserdargebote und Betroffenheiten herausarbeiten,
  • zukünftige Wasserbedarfe identifizieren und quantifizieren,
  • Vorranggebiete als Reservegebiete für die Trinkwassergewinnung etablieren,
  • ein nachhaltiges überregionales Wassermanagement entwickeln,
  • die Wasser-Infrastruktur an den Klimawandel anpassen sowie
  • Bewusstseinsbildung und Kommunikation mit allen Beteiligten etablieren.

Fundamente für ein Zukunftsbild 2100

Bislang fehlen deutschlandweite und gleichzeitig regional differenzierte Wasserdargebots­prognosen mit dem Fokus Wasserversorgung als Voraussetzung für ein vorausschauendes und nachhaltiges Ressourcenmanagement sowie die Planung von Gewinnungsanlagen. Dafür bedarf es einer noch engeren Vernetzung von Klima-, Geo- und Wasserforschung, beispielsweise bei der Kopplung von Klima- und Wasserhaushaltsmodellen. Wasserkonkurrenzen werden zunehmen – sowohl zwischen der Trinkwasserversorgung und gewerblichen Wassernutzungen in einer Region als auch zwischen Regionen mit unterschiedlichen Wasserdargeboten und Wasserbedarfen. Daraus ergibt sich ein Dilemma für die Politik, die sowohl die wirtschaftliche Entwicklung der Kommunen fördern als auch die Trinkwasserversorgung sichern muss.
 
Daher müssen Bund und Länder vermehrt fachliche Grundlagen und Daten bereitstellen sowie in stärkerem Maße eine Koordinierungs- und Steuerungsfunktion für die Erarbeitung langfristiger regionaler Wasserversorgungskonzepte übernehmen. Bundesländer arbeiten an regionalen Wasserwirtschafts- und Wasserversorgungskonzepten oder haben diese bereits aufgestellt. Das schafft wichtige Voraussetzungen und eröffnet vielerorts einen überfälligen gesellschaftlichen Diskurs über den Wert einer sicheren Trinkwasserversorgung. Politik und Kommunen müssen als wichtige Akteure gezielt adressiert werden. Risikomanagement und vorsorgendes Handeln in puncto Versorgungssicherheit müssen nach Meinung der Teilnehmenden zur Pflichtaufgabe für alle Verantwortlichen in der Wasserversorgung werden. Bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben müssen Kommunen und Wasserversorger durch kompetente staatliche Stellen vorausschauend unterstützt werden. Dazu gehört eine grundlegende Umgestaltung der Genehmigung und des Managements von Wasserentnahmerechten. Notwendige Maßnahmen sind das einzugsgebietsbezogene Monitoring aller Entnahmen und ein akzeptiertes System der Zuteilung in Engpasssituationen. Bei jeder Nachfrage müssen Priorität und Anspruch geklärt werden und eine Abwägung der Bedürfnisse stattfinden. Die Raumordnungspolitik hat grundsätzlich die Möglichkeit, auf Landes- und regionaler Ebene entsprechende der Trinkwasserversorgung entsprechende Priorität einzuräumen, aber sie hat diese Aufgabe in den vergangenen Jahrzehnten aus dem Blick verloren.
 
Für all diese Aufgaben braucht es integrierte Prognosewerkzeuge, die in der Lage sind, die kumulierten Effekte klimatischer, demografischer, wirtschaftlicher und technologischer Entwicklungen auf die Wasserversorgung abzubilden.
 

Überregionale Zusammenarbeit: Den Klimawandel mit Wissen und Netzwerk überwinden

Eine zunehmende Vernetzung von Gewinnungs-, Speicherungs- und Verteilungsinfrastrukturen verbessert die Versorgungssicherheit. Das bedeutet nicht nur den Aufbau neuer und die Erweiterung bestehender Verbundsysteme. Es schafft auch engere Verknüpfungen zwischen Fern- und Endversorgern, zwischen Stadt und Land, zwischen Wassermangel- und Wasserüberschuss­gebieten. Die damit verbundenen Herausforderungen sind nicht nur technischer, sondern auch kommunikativer, vertraglicher und politischer Art. Auf technischer Ebene wurde intensiv diskutiert, welche Lehren sich aus der Entwicklung der Energieversorgungsinfrastrukturen im Zuge der Energiewende für die Wasserversorgung der Zukunft ziehen lassen. Der Energiesektor zeige, dass dezentrale, lokale Gewinnungen und Verteilungen sowie leistungsfähige, überregionale Verbundstrukturen kein Gegensatz sein müssen, sondern sich im Gegenteil gegenseitig ergänzen. Zusätzlich werden parallele, sich ergänzende Verteilsysteme für Wässer unterschiedlicher Beschaffenheiten für unterschiedliche Zwecke nach Auffassung vieler Diskutanten Teil der Wasserinfrastruktur von morgen sein. Und hier kommt es auf politischer und kommunikativer Ebene darauf an, die Kommunen als Dreh- und Angelpunkt einer sicheren Versorgungsinfrastruktur mit ins Boot zu holen. Um das auf kommunaler Ebene oft noch vorherrschende Kirchturmdenken zu überwinden, braucht es daher eine positive Vision sowie finanzielle Anreize, Investitionssicherheit und die Möglichkeit zur Mitgestaltung. Nur dann wird eine vorausschauende Stärkung der Versorgungssicherheit nicht durch kurzfristiges und kurzsichtiges politisches Kalkül infrage gestellt werden.
 

Konkrete Schritte, First Mover und Reallabore

Zum Abschluss widmeten sich die Teilnehmenden dem Thema innovative Technologien und Managementkonzepte für die Umsetzung langfristiger Zukunftskonzepte. Aus dem Teilnehmerkreis wurde der Ruf nach „First Movern“ unter den Wasserversorgern laut, die innovative Konzepte und Technologien in ihren Versorgungssystemen als „Reallabore“ erproben und als Vorreiter helfen, Erfolgsrezepte in der Branche zu etablieren. Für den DVGW heißt das, dass er ausgehend von der technischen Regelsetzung auch seine Rolle als Innovationstreiber der Branche noch stärker wahrnehmen muss.
 
Bei der Entwicklung und Umsetzung langfristiger Zukunftskonzepte werden digitale Lösungen eine erhebliche Unterstützung sein: Monitoring und Erhebung von Mengen- und Qualitätsdaten, Nutzung von Datenplattformen zur Erhöhung der Transparenz für Behörden, Prognose- und Managementmodelle für ganze Einzugsgebiete, Steuerung des Verbrauchsverhaltens in Engpassregionen etc. sind wichtige Bausteine der Anpassung der Wasserversorgung an den Klimawandel.
 
Das Fazit des Experten-Dialogs lautet: Wir brauchen eine Wasserwende mit einer positiven Vision „Wasserwirtschaft / Wasserversorgung 2100“ als Startschuss. Auf technologischer, gesellschaftlicher, wirtschaftlicher, politischer und gesetzgeberischer Ebene müssen jetzt die notwendigen Schritte für eine nachhaltige und zukunftsfähige Wasserversorgung identifiziert werden. Konkrete regulative und kommunikative Maßnahmen zur Sicherung des Vorrangs der Wasserversorgung bei bestmöglichem Interessensausgleich zwischen betroffenen Sektoren und Handlungsebenen müssen identifiziert werden. Forschung und Entwicklung müssen erforderliche Technologien, Verfahren, Modelle und Datengrundlagen bereitstellen. Um diese Wasserwende als konzertierte Aktion voranzubringen ist die Wasserversorgung auf Partner angewiesen. Zum einen muss Trinkwasserversorgung eingebunden werden in ein umfassendes wasserwirtschaftliches Zukunftskonzept, das den gesamten Wasserkreislauf einbezieht. Zum anderen braucht es gemeinsame Lösungen mit Partnern in anderen Wirtschaftssektoren, in Raumordnung und Städtebau, Bevölkerungsschutz und Notfallvorsorge. Aus der Vision muss schließlich eine Initiative werden, die auch von Bund, Ländern und Kommunen, von Zivilgesellschaft und Politik mitgetragen werden kann. Wir danken den anwesenden Gästen für ihre Perspektiven und Erfahrungswerte, die sie zu der Diskussion beitragen konnten und freuen uns auf den weiteren Dialog.

Der DVGW Wasserimpuls als Zukunftswerkstatt der Wasserversorgung von morgen

Im DVGW und seinen Gremien werden vor dem Hintergrund umfangreicher Erfahrungen und Erkenntnisse konkrete Vorstellungen entwickelt, wie sich dauerhaft eine sichere Wasserversorgung gewährleisten lässt. Der Wasser-Impuls des DVGW gibt im Austausch mit Wissenschaft, Politik, Verbänden und Vertretern der Branche den Anstoß für weitere Forschungsprojekte, Studien, inhaltliche Handlungsvorschläge und Denkanstöße. Ziel ist es, den Wert des Wassers und die Beiträge der Wasserinfrastrukturen für eine sichere Daseinsvorsorge sichtbar zu machen sowie zu einer Erneuerung der dauerhaft breiten gesellschaftlichen Akzeptanz der öffentlichen Trinkwasserversorgung zu gelangen. Lösungsansätze und Vorschläge für die notwendigen Maßnahmen möchte der DVGW auf diese Weise in die gesellschaftliche und politische Diskussion einbringen und technische und betriebliche Innovationen anstoßen. Die „Zukunftsbilder der Wasserversorgung“ sind die Orientierung an einer positiven Vision, die durch enge Zusammenarbeit, gemeinsame Ideen und Vordenker und Pioniere Schritt für Schritt realisiert werden soll. In Kürze ziehen wir ein gemeinsames Fazit aus dem „Wasser-Impuls“ und werden in der bevorstehenden Abschlussveranstaltung mit Ihnen die nächsten Schritte reflektieren. Wir würden uns sehr freuen, Sie zu der Ergebnisvorstellung und weiterführenden Gesprächen in kreativer Atmosphäre zu begrüßen.

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