Aus Schadstoffen werden Treibstoffe
Gasgewinnung durch Abbau von Stickstoffverbindungen in Abwässern

14.09.2020 Wasserstoff lässt sich nicht nur aus Wassermolekülen herstellen, sondern auch aus Stickstoffverbindungen wie Nitraten und Ammoniumsalzen, mit denen Abwässer und Gärreste von Biogasanlagen belastet sind. In einer Demonstrationsanlage erzeugt ein Berliner Unternehmen mit einem Plasmalyse-Verfahren Wasserstoff aus Brüdenwasser, das bei der Trocknung von Klärschlamm anfällt. Mit Biomethan gemischt werden Gasfahrzeuge betankt.

Dr. Jens Hanke ist Graforce-Geschäftsführer; er demonstriert am ersten Prototypen des Plasmalyzers die Dissoziation von Abwasser und die Gewinnung von Wasserstoff.
© Foto: C. Rudolph
Dr. Jens Hanke ist Graforce-Geschäftsführer; er demonstriert am ersten Prototypen des Plasmalyzers die Dissoziation von Abwasser und die Gewinnung von Wasserstoff.

Abwässer aus Siedlungen oder Industrieanlagen sind eine für die Gesellschaft teure Umweltlast. Und auch im Output von Biogasanlagen wird die Fracht aus Harnstoff, Aminosäuren, Nitraten und Ammoniumsalzen zum Problem, wenn es nicht genügend Fläche gibt, um sie als Pflanzendünger zu nutzen. Für Dr. Jens Hanke vom Berliner Unternehmen Graforce (www.graforce.com) können derartige Flüssigkeiten als Input für die von ihm entwickelte Technologie gar nicht schmutzig genug sein. „Je mehr Ballast darin gelöst ist, desto breiter sind die Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich der Endprodukte“, sagt der Gründer und Geschäftsführer der Graforce GmbH.

Win-win-Effekt

wenig nach Zauberei. Denn das neuartige Verfahren der Plasmalyse soll es nicht nur ermöglichen, mit hoher Energieeffizienz Wasserstoff
zu erzeugen und zusätzlich andere Gase, die sich für eine Weiterverarbeitung zu umweltfreundlichen Kraftstoffen eignen. Sondern das dafür eingesetzte Schmutzwasser wird bei diesem Prozess zugleich gereinigt und kann in den natürlichen Kreislauf zurück fließen. Mit Zauberei habe das aber nichts zu tun, versichert der studierte Mathematiker, Robotikexperte und Doktor im Bereich der theoretischen Medizin. Eher mit der Nutzung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, namentlich über die Wirkmechanismen bei der Auflösung und Entstehung chemischer Verbindungen.

Wie es funktioniert, veranschaulicht Hanke im Entwicklungslabor der Firma im dritten Obergeschoss des Zentrums für Photovoltaik und Erneuerbare Energien Berlin-Adlershof. Hier arbeiten die Graforce- Mitarbeiter an der Modifizierung des Plasmalyse-Verfahrens für unterschiedliche Anwendungsfälle. In einem der Räume schaut Dr. Simon Schneider gerade durch das Sichtfenster einer kühlschrankgroßen Apparatur, dem sogenannten Plasmalyzer. Ein Glasgefäß darin ist knapp zur Hälfte mit Brüdenwasser befüllt, das bei der Trocknung von Klärschlamm anfällt. Wegen der darin konzentrierten Umweltgifte erfordert Brüdenwasser einen besonders hohen Reinigungsaufwand.

Hinter der Scheibe des Plasmalyzers herrschen Zustände, wie sie sich vermutlich vor Millionen Jahren auf dem Urmeer der Erde abgespielt haben. Über der Wasserfläche zucken Blitze in so hoher Zahl und Abfolge, dass sie das menschliche Auge als flackernde Plasmawolke über der brodelnden Flüssigkeit wahrnimmt. „Das sind Ladungsausgleiche wie beim Gewitter. Wir erzeugen die Blitze durch ein starkes elektrisches Feld von mehreren Tausend Kilovolt“, erläutert der 34 Jährige. Die Entladungen setzen unter anderem Wasserstoff frei. Dieser kann über eine Membran aus dem Gasgemisch separiert und beispielsweise als grüner Kraftstoff für eine emissionsfreie Mobilität eingesetzt werden.

Doch wozu dieser Aufwand? Schließlich lässt sich mit der herkömmlichen Elektrolyse ebenfalls Wasserstoff herstellen. Dabei werden bekanntlich Elektroden in klares Wasser getaucht und dessen Leitfähigkeit durch die Zugabe von Säuren oder Salzen verbessert. Damit sich aber an der Kathode Wasserstoff und an der Anode Sauerstoff bilden, muss die zugeführte Energiemenge in Form von Elektrizität höher sein als die Bindungskräfte zwischen den Wasserstoff und Sauerstoffatomen. Diese liegt bei 486 Kilojoule (kJ) pro Mol.

Das gilt im Prinzip auch für die Blitze im Plasmalyzer. Doch hier kommt nun das schmutzige Wasser als Elektrolyt ins Spiel. Denn wozu das reine Lebenselixier mit hohem Energieaufwand in seine Bestandteile zerlegen, wenn die Verunreinigungen darin, etwa Ammonium (NH4+), ebenfalls Wasserstoff enthalten. Hilfreich ist dabei der Umstand, dass die Bindungskräfte in diesen chemischen Verbindungen schwächer sind als beim Wasser. Für die Aufspaltung von (NH4+) beispielsweise genügt eine Zersetzungsspannung von 90 kJ/mol, also weniger als ein Fünftel der Energie, die für den Aufbruch von H2O aufgewendet werden muss.

Seit zwei Jahren produziert Graforce in einer Demonstrationsanlage mit der Plasmalyse-Technologie Wasserstoff aus Brüdenwasser. Hier befindet sich auch eine Zapfstelle zum Betanken von Gasfahrzeugen mit einem Gemisch aus Biomethan und Wasserstoff. © Foto: C. Rudolph
Seit zwei Jahren produziert Graforce in einer Demonstrationsanlage mit der Plasmalyse-Technologie Wasserstoff aus Brüdenwasser. Hier befindet sich auch eine Zapfstelle zum Betanken von Gasfahrzeugen mit einem Gemisch aus Biomethan und Wasserstoff.

Bindungen brechen

Ähnlich verhält sich das bei der Dissoziation anderer Verbindungen mit einem oder mehreren H-Atomen. „Das machen wir uns bei der Plasmalyse zunutze“, beschreibt Hanke den Ansatzpunkt der Innovation. Über die Stärke des elektrischen Feldes, das die Plasmaentladungen hervorruft, lasse sich die Energieeinbringung so dosieren, dass nur die chemischen Bindungen im Elektrolyten aufbrechen, während die Wassermoleküle erhalten bleiben. Die aus der Flüssigkeit heraustretenden Gase werden über spezielle Membranen sortiert und ausgefiltert. Stickstoff und Sauerstoff gelangen zurück in die Atmosphäre. Der Wasserstoff wird aufgefangen und steht für verschiedene Anwendungsbereiche beispielsweise als emissionsfreier Kraftstoff oder Energiespeicher zur Verfügung.

Mit der Demonstrationsanlage, die seit zwei Jahren am Firmensitz in Berlin-Adlershof arbeitet, will Graforce zeigen, dass die Plasmalyse-Technologie praxisreif ist. In dem weitgehend automatisch arbeitenden Komplex von der Größe eines Buswartehäuschens entsteht Wasserstoff durch die Dissoziation von Zentrat- und Brüdenwasser. Dies stellen die Berliner Wasserbetriebe, die als Projektpartner fungieren, zur Verfügung. Der gewonnene Wasserstoff wird direkt in der Demonstrationsanlage mit Biomethan vermischt. Das Gas enthält dann 30 Vol.-% Wasserstoff und 70 Vol.-% Biomethan. „Als Kraftstoff eingesetzt, erhöht sich dadurch der Brennwert. Die Effizienz von Gasmotoren verbessert sich um sechs Prozent und beim Verbrennungsprozess in den ohnehin emissionsarmen Aggregaten entstehen nochmal deutlich weniger Stickoxide, CO2 und Kohlenwasserstoffe“, benennt Hanke die Vorteile des Gasgemischs. Die Berliner Wasserbetriebe betanken damit künftig einige Nutzfahrzeuge aus ihrem Fuhrpark. In einem nächsten Schritt will Graforce ein Gasgemisch aus Wasserstoff und Rohbiogas testen.

Dr. Simon Schneider überwacht am Plasmalyzer im Entwicklungslabor von Graforce den Prozessablauf der Dissoziation von schadstoffbelastetem Brüdenwasser zur Gewinnung von Wasserstoff. © Foto: C. Rudolph
Dr. Simon Schneider überwacht am Plasmalyzer im Entwicklungslabor von Graforce den Prozessablauf der Dissoziation von schadstoffbelastetem Brüdenwasser zur Gewinnung von Wasserstoff.

Pilotanlage geplant

Zur Vermeidung langer Transportwege wäre es nach Ansicht von Hanke denkbar, die kaskadenförmig erweiterbare Plasmalyse- Technologie auf dem Gelände von Klärwerken sowie in Regionen mit einer hohen Dichte von Biogasanlagen anzusiedeln. Eine erste Pilotanlage entsteht daher ab Herbst im Klärwerk Waßmannsdorf der Berliner Wasserbetriebe. Eine zweite ist auf dem Klärwerksgelände Schönerlinde geplant. Bei Graforce ist man überzeugt, dass die Plasmalyse-Technologie darüber hinaus weitere Perspektiven für eine klimafreundliche Energiebereitstellung und Mobilität eröffnet. Denn im 400 bis 600 °C heißen Blitzgewitter des Plasmalyzers brechen auch Kohlenstoffketten auf, und es entstehen unter Hinzuziehung von Elektronen aus anderen Molekülcrashs neue Bindungen. „Gegenwärtig arbeiten wir in Kooperation mit dem e-gas-Projekt von Audi daran, durch eine entsprechende Steuerung der Dissoziation von Abwässern im Plasmalyzer gezielt auch Kohlendi- bzw. -monoxid zu erzeugen, das in einem nachfolgenden Prozessschritt mit Wasserstoff zu Methan oder synthetischen Kraftstoffen, beispielsweise grünem Kerosin, reagiert“, gibt der Graforce-Geschäftsführer einen Einblick in die aktuelle Entwicklungsarbeit.


Ein Beitrag von Wolfgang Rudolph, Bad Lausick
Fachartikel aus dem ENTSORGA-Magazin Nr. 4/2020

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