Industrie + Wasser
Abwasserbehandlung im 21. Jahrhundert

01.10.2019 Chancen, Risiken und Nebenwirkungen des Umgangs mit dem – nach der Atemluft – zweitwichtigsten und zweitwertvollsten Stoffgemisch der Welt.

Bild 2 Container-Lösung der Pilotanlage Wasser 3.0 PE-X, hier: Testumgebung kommunale Kläranlage
© Foto: Wasser 3.0
Bild 2 Container-Lösung der Pilotanlage Wasser 3.0 PE-X, hier: Testumgebung kommunale Kläranlage
Mikroschadstoffe überschreiten in vielen Gewässern die gesetzlich vorgegebenen Umweltqualitätsnormen. Für die Verringerung der Mikroschadstoffe stehen unter anderem quellenorientierte und nachsorgende Maßnahmen zur Verfügung, die ihre jeweils spezifischen Vor- und Nachteile haben. Gerade im industriellen Umfeld ergeben sich weitreichende Möglichkeiten die Schadstofffracht bereits am Ort der Entstehung zu reduzieren und Prozessabwässer aufzuwerten. Neben einer Effizienzsteigerung der Anlagen gehören beispielsweise die Verbesserung der Wasserqualität oder die Rückführung von gereinigtem Wasser in den industriellen Wasserkreislauf zu den möglichen Maßnahmen. Insbesondere bei sichtbaren Belastungen, wie Mikroplastik ergeben sich große Chancen für die Anwender. Hier rücken vermehrt innovative Strategien in den Fokus („rethink-Prinzip“). Auch komplexe Belastungssituationen durch variable Mikroschadstoffe oder prozessual bedingte hochgradige Belastungen, nicht nur im industriellen, sondern auch im kommunalen wasserwirtschaftlichen Umfeld, werden seit vielen Jahren von Wissenschaftlern und Wirtschaftsunternehmen hinsichtlich Forschung, Entwicklung und Innovationsgehalt beleuchtet. Aufgrund der Vielschichtigkeit der Belastungsorte und Belastungssituationen rücken immer häufiger modulare Konzepte und adaptive Verfahren in das Interessensfeld der Anwender. Diese auf einzelnen Bausteinen basierende Herangehensweise fern ab von Standardlösungen verfolgen die Wissenschaftler des Netzwerks Wasser 3.0 bereits seit 2012. Der Grundgedanke sind Technologie-unabhängige Material-Lösungen passgenau in bestehende Technologie oder als Add-on-Einheiten einzusetzen. Hierbei bilden Pilotanlagen den Kern des vor-marktreifen Entwicklungsstadiums. Mit diesem Ansatz der praxisnahen Untersuchungen und passgenauen Lösungsermittlung, steigen die Chancen auf eine effiziente Abwasserreinigung maßgeblich.
Bild 1 Herausforderungen industrieller Abwässer /3/
Bild 1 Herausforderungen industrieller Abwässer /3/

Wenn Wasser zu Abwasser wird

Wird Wasser zu Abwasser spielt der Mensch dabei die ausschlaggebende Rolle. Es sind die vom Menschen eingebrachten sogenannten anthropogenen Stressoren, die Wasser zu Abwasser machen und die sich auch nach der Abwasserreinigung in zum Teil nicht unerheblichem Maße im Wasserkreislauf und darüber im gesamten Ökosystem wiederfinden. Es ist demnach auch der Mensch, der anthropogene Stressoren im Wasser verhindern und nachhaltige Lösungen erarbeiten kann, um sauberes Wasser als Lebensgrundlage zu erhalten.

Die Qualität und die Verfügbarkeit von Wasser zählen derzeit zu den drängendsten und gleichzeitig am meisten unterschätzten Problemen der Menschheit mit weitreichenden Folgen. So wird beispielsweise geschätzt, dass im Jahr 2030 (das ist in elf Jahren) die Unterdeckung des Wasserbedarfs der Weltbevölkerung bei 40 Prozent liegen wird.

Unternehmen der Abwasserbranche versuchen den mannigfaltigen Herausforderungen ihrer Abwässer mit Ansätzen wie zero liquid discharge, closed circle economy oder zero emission strategy zu begegnen. Jedoch bleiben auch diese oftmals hinter ihren Versprechungen zurück, wenn Standardprozesse an ihre Grenzen gelangen und passgenaue Lösungen fehlen. Globale Aufgabenstellungen wie

  • Mikroplastik
  • Multiresistente Keime
  • hochgradig industriell kontaminiertes Grundwasser
  • verschmutzte Flüsse, Seen und Meere

werden zunehmend im Rahmen einer anwendungsorientierten und praxisnahen Forschung aufgegriffen. Sie bringt innovative und gleichzeitig wissenschaftlich fundierte Ideen und Ansätze hervor, die tatsächliche Verbesserungen für komplexe Wasserverschmutzungen ermöglichen. Für die Bewältigung der vielfältigen Aufgaben in der Abwasserreinigung stehen neue und bahnbrechende Technologien und Forschungsansätze in den Startlöchern. Sie könnten zu Lösungen der drängenden Probleme der Abwasserbranche werden.

Das Thema industrielle Abwasserwasserreinigung bildet eines von vielen Kernthemen neben z. B. kommunaler Klärtechnik, Bereitstellung transparenter analytischer Daten, Standardisierung und der Implementierung neuer Technologien und Verfahren zur Verbesserung der Wasserqualität und Behebung von Wassermangel.

Welche Rolle kommt der industriellen Abwasserreinigung zu, wenn es um die Verbesserung der Wasserqualität und dessen global betrachteter Verfügbarkeit geht?

Die industrielle Abwasserbehandlung umfasst die Mechanismen und Verfahren zur Behandlung von Gewässern, die durch anthropogene industrielle oder kommerzielle Aktivitäten kontaminiert wurden, bevor sie in die Umwelt gelangen oder wiederverwendet werden. Die meisten Industrien produzieren nicht zu vernachlässigende Mengen Nassabfall, obwohl die jüngsten Trends in den Industrieländern darin bestanden, die Produktionsmengen zu minimieren oder diese Abfälle im Produktionsprozess zu recyceln. Viele Branchen sind jedoch nach wie vor auf Prozesse angewiesen, die Abwasser produzieren.

Was macht industrielle Abwässer im Bereich der Abwasserreinigung speziell?

Industrielles Abwasser kann von seiner Zusammensetzung, der Morphologie der Belastung sowie dem Belastungsgrad pro Schadstoff und Belastungsgrad der Abwassermatrix prozessual sehr unterschiedlich sein /1, 2/. Je nach Produktionssektor und Art des industriellen Betriebs liegen unterschiedliche Abwasserinhaltsstoffe in variablen Konzentrationen und vor allem in unterschiedlichen toxikologischen Risiko- und Bewertungsbereichen vor. Auch die Möglichkeiten der Vermeidung und Reduktion unterscheiden sich je nach Branche und Motivation innerhalb der Branche.

Das Einleiten von Stoffen und damit auch von Abwasser in oberirdische Gewässer bedarf nach § 8 des Gesetzes zur Ordnung des Wasserhaushaltes (Wasserhaushaltsgesetz – WHG) einer Genehmigung.

In diesem Arbeitsumfeld wird zwischen Direkt- und Indirekteinleiter unterschieden. Direkteinleiter leiten ihr behandeltes Abwasser unmittelbar in ein oberirdisches Gewässer oder bringen es in den Untergrund ein (Versickerung). Indirekteinleitungen sind Einleitungen von Abwasser in das kommunale Kanalnetz. Dieses Abwasser wird in der kommunalen Kläranlage behandelt und danach ins Gewässer eingeleitet. Indirekteinleiter bedürfen einer Indirekteinleitergenehmigung (§§ 58, 59 WHG), wenn für den betreffenden Betrieb in einem der Anhänge der Verordnung über Anforderungen an das Einleiten von Abwasser in Gewässer – Abwasserverordnung - (AbwV) allgemeine Anforderungen oder Anforderungen an bestimmte Teilströme gestellt werden /2, 4/. Für Indirekteinleiter gelten außerdem die sich aus den jeweiligen kommunalen Entwässerungssatzungen ergebenen Anforderungen. Die in Tabelle 1 zusammengestellten charakteristischen Daten aus unterschiedlichen industriellen Umfeldern lassen die zunehmende Komplexität und die teilweise hohe Belastungswerte in bestimmten Bereichen erkennen. Entsprechend viele Ansatzpunkte ergeben sich für Materialwissenschaftler und Ingenieure.

Tabelle 1: Zusammenstellung charaktisterischer Daten aus unterschiedlichen Industrien /5-10/
Industrie Produktion
Besondere Belastung
Nahrungsmittel
Obst, Gemüse, Fleisch
(Getränke, Süßigkeiten, Backwaren)
Abhängig von Produziertem Lebensmittel
Hoher BSB (200- 36000 mg / l)
Hoher CSB (400- 60000 mg / l)
Hohe SS (50 – 15000)
N (6 - 2000 mg / l) und P (6 - 100 mg / l)
Teilweise Extreme pH-Werte
Öle und Fette
Hormone, Antibiotika, Pestizide
Tenside
Molkereien Verbrauchermilch, Butter, Käse, Joghurt, Kondensmilch, Trockenmilch Zucker, Proteine, Fette und Zusatzstoffe
Hoher BSB (0,8-2,5 mg / l)
Hoher CSB (1,2-3,75 mg / l)
Hohe SS (100–1.000 mg / l)
P (10–100 mg / l) und N (6 % des BSB) Belastung
Krankheitserreger und Gerüche
Brauereien Bier Hohe SS (10-60 mg/l)
Hoher BSB (1.000 - 1.500 mg / l)
CSB (1.800 .- 3.000 mg / l. )
N (30–100 mg / l) und P (10-30 mg/l) Belastung
pH schwankend 3-12
Papierindustrie Papier, Pappe, Zellstoff Hoher CSB / BSB / SS
Kanzerogene und toxische Verbindungen
Adsorbierbare organische Halogene (AOX), z.B. chlorierte Lignosulfonsäuren, chlorierte Harzsäuren, chlorierte Phenole und chlorierte Kohlenwasserstoffe
organische Verbindungen, z.B. Chloroform, Chlorat, Harzsäuren, Phenolen, Catecholen, Guajakolen, Furanen, Dioxinen, Syringolen, Vanillinen
Farbstoffe
Eisen- und Stahlindustrie Produktion von Eisen aus seinen Erzen, Beizen, Galvanisieren Hydrauliköle (löslich)
Kühlschmierstoffe
Hohe SS z.B. Talg
Säuren (Salzsäure und Schwefelsäure)
Belastung mit Schadstoffen: Ammoniak und Cyanid, organische Verbindungen wie Benzol, Naphthalin, Anthracen, Cyanid, Ammoniak, Phenole, Kresole, PAK.
Minen Gewinnung von Erzen und Kohle Hohe Wassermengen
Schwebstoffe und SS (sehr fein)
Öle und Hydrauliköle
Tenside
Metalle wie Zink oder Arsen
Textilindustrie Produktion, Färben und Finish Hohe Mengen SS (8000-12000 mg / l)
Hoher CSB (150-12000 mg / l)
Hoher BSB (80-6000 mg / l)
Säuren, Laugen und Bleichen
Tenside
Öle und Wachse (10 – 30 mg / l)
Lösliche Schadstoffe (z.B. Schwermetalle, Farbstoffe, PFCs)
Sulfate (600-1000 mg / l)
N (70-80 mg / l)



Was passiert, wenn die Komplexität an Mikroschadstoff-Belastungen zunimmt?

Die Betreiber industrieller Kläranlagen sehen sich immer häufiger gezwungen Grenzwerte zu senken, weil die biologische Reinigungsstufe (Biologie) in den allermeisten Fällen angesichts der enormen Schmutzfracht am Rande des Kollaps steht. Kleine Ursachen können hier drastische Folgen haben. So reichen bereits 20 mg Kohlenwasserstoffe auf einen Liter Abwasser aus, um die relativ sensiblen Bakterienkulturen in kurzer Zeit absterben zu lassen. Kohlenwasserstoffe sind in den meisten herstellenden Industrien zu finden. Vom Förderband bis zum Kühl- und Schmieröl, von Druckfarben bis zum Oberflächenwasser des Parkplatzes bei Regen. Das Massensterben der Bakterienstämme kündigt sich oftmals mit Schaumbildung und im mikroskopischen Bild an. Wenn es zu augenscheinlichen Veränderungen kommt ist es jedoch meist zu spät. Der Prozess lässt sich dann kaum mehr aufhalten, es kommt zum Absterben der aeroben und anaeroben Bakterienstämme. Folge ist eine Überlastung der biologischen Reinigungsstufe, welche schlussendlich oftmals zum sogenannten Umkippen der Kläranlage führt.

Lediglich modernste Kläranlagen – oder solche, die derzeit noch als überdimensioniert gelten - besitzen die Kapazität der vollständigen zwischenzeitlichen Pufferung des gesamten anfallenden Abwassers oder gar einer technisch durchdachten Bypasslösung, damit sich die biologische Stufe regenerieren kann. Kommt es trotz aller Rettungsversuche zum Erliegen der biologischen Reinigungsstufe, ist der Austausch der Biologie notwendig.

Neue Animpfkulturen, beispielsweise in Form von „importiertem“ Belebtschlamm aus einer anderen Kläranlagenbiologie, benötigen jedoch Zeit um sich auf die neuen Bedingungen einzustellen. In solchen Fällen kann schon eine halbe Woche vergehen, in industriellen Kläranlagen mit komplexeren Abwässern auch mehrere Monate, bis das System der Abwasserreinigung wieder effizient funktioniert.

Beispielsweise lassen sich bei Ölen fast alle Zusammensetzungen mit Hilfe neuester Technologien sehr kostengünstig und höchst effizient entfernen, z. B. auch bevor sie die Becken einer kommunalen Kläranlage erreichen. Im besten Fall schon vor der Kanaleinleitung. Auch der Einsatz innovativer Add-on-Technologie, die an unterschiedlichen Orten der Abwasser-beinhaltenden Prozesse ansetzt, schafft zusätzliche Handlungsfreiheiten im Entwicklungsprozess neuer Anlagen oder im Optimierungsbereich bestehender Systeme. Für eine Vielzahl an Kontaminanten ergeben sich Möglichkeiten für Forschung, Entwicklung und Innovation prozessoptimierend aktiv zu werden. Der Entwicklungsprozess einer industriellen Abwasserreinigungsanlage, wie er in Bild 2 dargestellt ist, eröffnet somit weitreichende Möglichkeiten für die Betreiber.

Blick hinter die Kulissen: Was ist, wenn neben gelösten Mikroschadstoffen neu Verbindungen wie Mikroplastik den Wasserkreislauf bedrohen?

Ein Beispiel für das Anfallen komplexer Abwässer ist die Textilindustrie. Vor allem beim Färben und so genannten „Finish“ kommen zahlreiche Chemikalien zum Einsatz /10/. So kann es neben der Verunreinigung mit den eingesetzten Chemikalien auch zu einem starken Abfall / Anstieg des Nährstoffgehaltes so wie stark schwankenden pH-Werten des Abwassers kommen. Auch die Feststofffracht kann durch enthaltene Textil- oder Naturfasern stark ansteigen.

Im Allgemeinen werden die Gesamtheit der Plastikpartikel oder -fasern kleiner 5 mm unter dem Begriff Mikroplastik zusammengefasst. Die Quellen für Mikroplastik sind vielfältig. Dazu gehören auch Textilfasern, die durch das Auswaschen aus Textilien auf Kunstfaserbasis entstehen und so in das Wasser gelangen können. Viele Textilien bestehen aber auch aus gut abbaubaren, natürlichen Fasern oder Chemiefasern. Nicht jedes Textil aus schwer abbaubaren Chemiefasern setzt diese frei. In Textilien eingesetzte sogenannte Mono- oder Multifilamente aus schwer abbaubaren Kunststoffen setzen beispielsweise gar keine Faser frei. Auch werden in Deutschland viele technische Textilien produziert, die aufgrund ihres Einsatzes seltener als Bekleidungstextilien gewaschen werden. Das Thema Mikroplastik ist somit nicht nur im textilen Umfeld, sondern wie auch schon bei den Mikroschadstoffen differenziert über alle Wässer zu betrachten.

Zielgerichtet: Analysieren, evaluieren, verbessern.

Es gilt demnach die Prozesse zu analysieren, in denen Mikroplastikpartikel entstehen, eingesetzt werden bzw. in die Umwelt gelangen können.

Bereits 1992 thematisierte die United States Environmental Protection Agency die Abgabe von Plastikpellets der Industrie in die Umwelt. Hier können bei Umfüll- und Transportprozessen sowie durch defekte Lagerbehältnisse Plastics Pellets verloren gehen und anschließend bei der Reinigung mit Wasser oder bei Regenfällen in das Abwasser gelangen /12/.

Dies geschieht unter anderem bei Plastikproduzenten, Weiterverarbeitern, Recyclern und Transportunternehmen. Durch eine verbesserte Abwasserbehandlung und Reinigungspraxis der Betriebstätten lassen sich die Austräge von Plastik zwar verringern, aber nicht gänzlich verhindern. So berichten Lecher und Rammler 2011, dass ein österreichischer Plastikproduzent Schätzungen zu folge täglich 200 g Mikroplastik über sein Abwasser in die Umwelt abgibt. Der Eintrag kann hierbei durch Regenfälle, welche Plastikpellets von dem Gelände in die Kanalisation spülen, stark ansteigen, Schätzungen zu folge auf 50-200 kg pro Regenereignis /13/.

Lacke und Farben bestehen zum Großteil aus synthetischen Kunstharzen und anderen Polymeren und fallen somit auch unter den Begriff Kunststoff. Auch hier können hohe Austräge anfallen, gerade in lackverarbeitenden Betrieben, wo durch das Abtragen von Lacken und bei Schleifarbeiten Mikroplastik erzeugt wird /14/.

Weitere Beispiele für in der Industrie verwendetes Mikroplastik sind in den verbauten Teilen vieler Anlagen zu finden. Aber auch Mikroplastikpartikel, die Kosmetika, vor allem Peelings, zugesetzt werden, sind zu nennen /15/. Auch viele Polier- und Reinigungsmittel enthalten synthetisches Mikroplastik, sowohl als abrasiv als auch als Wachs-Dispersion zur Oberflächenversiegelung. Des Weiteren gibt es verschiedene Wachse für technische Anwendungen, die im Größenbereich weniger Mikrometer produziert werden und u. a. als Additive für Lacke, Farben, Klebstoffe oder in der Oberflächenbeschichtung Verwendung finden.

Bei Monitorings von Mikroplastik in der Umwelt fällt immer wieder auf, dass sich besonders in der Nähe von Industriegebieten, vor allem der Plastikindustrie, erhöhte Mikroplastikkonzentrationen in Seen, Flüssen, Ufersedimenten und an Stränden finden.

Bei der Beprobung eines Bachs in der Nähe des einzigen Polyethylenproduzenten in Schweden wurde eine Fracht von 4086 Polyethylenpellets pro Stunde und eine starke Kontamination der umliegenden Ufergebiete erfasst /16/. Ein umfangreiches Monitoring der Mikroplastikbelastung des Oberflächenwassers des Rheins zeigte auch eine deutliche Erhöhung der Mikroplastikkontamination in der Nähe von stark industrialisierten Gebieten /17/. Die dort gefundene Erhöhung konnte zu Großenteilen auf Plastikgranulat aus der Plastikindustrie oder Mikroplastikpartikel aus Reinigern, Sandstrahlpulvern oder aus Kosmetika zurückgeführt werden. In einem Monitoring der Donau konnten sogar 79,4 % des gefundenen Mikroplastiks auf industrielle Quellen zurückgeführt werden /18/. Für die großen Seen und den Sankt-Lorentz-Strom (Nord-Amerika) ergab die Analyse verschiedener Studien der Mikroplastikkontamination, dass auch hier die Nähe zu Industriegebieten in einer deutlichen Erhöhung der gemessenen Mikroplastikkonzentration mündet /19/.
Neben diesen Beispielen gibt es zahlreiche weitere Studie mit ähnlichen Ergebnissen. Trotz fehlender Daten für die Mikroplastikbelastung industrieller Abwässer ist im Einzelfall davon auszugehen, dass diese einen wichtigen Eintragspfad in die Umwelt darstellen. Hier gibt es einen dringenden Bedarf an einer erweiterten Abwasserbehandlung zur Reduktion dieses Eintrags. Die Herausforderung liegt hier insbesondere in der Entfernung kleiner Plastikpartikel im Mikrometerbereich, da hier herkömmliche Filtrationsmethoden schnell an ihre Grenzen kommen /20, 21/.

Stand der Technik und Ausblick

Lösungen, wie Mikroplastikpartikel aus dem Wasser entfernt werden können, werden derzeit nur sporadisch diskutiert. Forschungsaktivitäten in diesen Bereichen beschränken sich in der Regel auf den Stand der Technik im Bereich Filtrationen.

Viele Wissenschaftler kommunizieren ihre Ideen, Denkansätze und Ergebnisse auf Basis von Laborexperimenten. Die Übertragung auf reale Anwendungen steht oftmals wenig oder zeitlich nachgelagert im Fokus der universitären Forschung. Mehrere Studien untersuchten die Fähigkeit konventioneller und innovativer Klärtechnologien, Kunststoffe zu entfernen. Diese Studien zeigen, dass konventionelle Abwasserbehandlungen einen hohen Prozentsatz der vorhandenen Mikroplastikpartikel reduzieren (zwischen 90 und 98 %).

Vernachlässigt wird jedoch bei der Kommunikation dieses Ergebnisses, dass die Mikroplastik-Partikel zwar „formal“ aus dem Wasser entfernt werden, wenn man die Ergebnisse standardisierter wasseranalytischer Untersuchungen auswertet. Es gilt jedoch zu berücksichtigen, dass diese synthetischen Kunststoffpartikel in der Regel durch ihre Eigenschaften (Aufschwimmen oder Absinken, lange Zersetzungsperioden bis mehrere hundert Jahre) nicht verschwinden, sondern weiterhin vorhanden sind und somit im Wasserkreislauf verbleiben /22/.

Die Suche nach den Mikroplastikpartikeln bedarf einer standardisierten analytischen Methodik und eines gezielten Beprobungsszenarios (Festlegung des Ortes, des Entnahmeablaufs, der Messmethodik) um belastbare Werte zu generieren, die für weitergehende Diskussionen hinsichtlich der realen Belastungsproblematiken und darauf aufbauend auf die Festlegung von Maßnahmen zur Lösung herangezogen werden. Ohne eine einheitliche analytische Methoden- und Verfahrensbeschreibung, sind die aktuell diskutierten Werte situative Einzelanalysen, die keine Vergleichbarkeit mit sich bringen.
Bild 3 Schema des Entwicklungsprozesses einer auf Industrieanlagen zugeschnittenen Abwsserraufbereitung /11/
Bild 3 Schema des Entwicklungsprozesses einer auf Industrieanlagen zugeschnittenen Abwsserraufbereitung /11/

Selbst wenn die Mikroplastikpartikel zum genannten Prozentsatz vollständig im Klärschlamm verbleiben, sind die Mikroplastikpartikel immer noch vorhanden. Erst eine Anschlussmaßnahme wie die Monoverbrennung und die damit einhergehende Zersetzung der Kunststoffpartikel zu Aschen, Kohlenstoffdioxid und weiteren Nebenprodukten liefert eine Elimination aus dem Ökosystem /23, 24, 25/.

Pilotanlagen mit Wasser 3.0 PE-X in Betrieb

Zu den neueren Verfahren im Bereich der Abwassertechnologien zählt die durch Wasser induzierte Agglomeration und anschließende Entfernung von Partikeln aus Wasser (Verfahrensname: Wasser 3.0 PE-X* /26/. Der zweistufige Prozess umfasst einerseits eine Lokalisierung (Zusammenlagerung) und andererseits eine Aggregation mit chemischer Fixierung von Mikroplastik-Partikeln im Mikrometerbereich über einen einen physikochemischen Prozess. Dieses Verfahren ist im Bereich Abwässer als auch in anderen Wassersystemen anwendbar und kann neben Mikroplastik auch für die Entfernung anderer Mikroschadstoffe eingesetzt werden /27/. Hierzu kann der Prozess je nach enthaltenen Stoffen und chemischer Zusammensetzung des Wassers speziell auf die gegebenen Umstände abgestimmt werden. Im Fokus derzeit stehen neben Mikroplastik derzeit vor allem organische Spurenstoffe wie pharmazeutische Rückstände, polyfluorierte Verbindungen und Organophosphate. Das Verfahren Wasser 3.0 PE-X erweist sich nach jetzigem Stand der Arbeiten als übertragbar und liefert skalierbare und reproduzierbar Ergebnisse vom Labormaßstab bis in den industriellen Maßstab. Auch im Salzwassermilieu konnten die ersten Technikumsversuche erfolgreich absolviert werden /28/. Anfang Juli 2019 wurde die erste kontinuierlich betriebene adaptive Versuchsanlage für Wasser 3.0 PE-X in Kläranlagen-Umgebung getestet (Bild 3). Neben umfangreichen Datenerhebungen im Bereich Mikroplastik fanden auch gesamt-analytische Abwasserbeprobungen statt. Die Daten aus der Studie werden in Kürze veröffentlicht werden.

Danksagung
Die Forschungsprojekte von Wasser 3.0 (www.wasserdreinull.de) werden durch die finanzielle Unterstützung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie durch die Bereitstellung von ZIM-Fördermitteln (Zentrales Innovationsprogramm für KMU) durchgeführt. Michael Sturm dankt an dieser Stelle zusätzlich der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) für den Erhalt eines Promotionsstipendiums.

LITERATUR
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/4/    Kreis Höxter, MERKBLATT zur Indirekteinleitergenehmigung Gem. § 58 Wasserhaushaltsgesetz – WHG –, Höxter, 2017
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Ein Beitrag von Michael Sturm; Dennis Schober; Nils Poppelreiter; Sebastian Pöhlmann; Katrin Schuhen

Fachartikel aus wwt wasserwirtschaft wassertechnik Nr. 9/2019

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