Das Geschäft mit dem Klärschlamm und der Phosphor-Rückgewinnung ist unübersichtlich
Viele surfen auf der ,braunen Welle’
Die Vorgaben der Klärschlammverordnung gelten eigentlich nur für Schlämme aus Kläranlagen mit Anschlussleistungen über 50.000 Einwohner und für Klärschlammaschen. Durch eine Vielzahl von neuen administrativen Vorgaben und Qualitätssicherungsmaßnahmen wird aber auch die landwirtschaftliche Verwertung von Schlämmen aus kleineren Kläranlagen zurückgehen. Unterstützt wird dieser Trend durch die Vorgaben der Düngemittelverordnung, die eine Aufbringung von Klärschlamm mit polymeren Flockungshilfsmitteln schon Anfang 2017 verboten hat. Allerdings wurde dieser Passus direkt wieder für zwei Jahre ausgesetzt. Das weitere Vorgehen wird geprüft. Trotz dieser Inkonsequenzen ist der Druck auf die landwirtschaftliche Verwertung gestiegen.
Für die Umsetzung der oben angesprochenen Vorgaben der Klärschlammverordnung gewährt der Gesetzgeber eine Frist von über zehn Jahren (je nach Anlagengröße bis 2029 bzw. 2032). Allerdings muss schon bis Ende 2023 ein Konzept ausgearbeitet und vorgelegt werden. Dieser Zeitrahmen mag zunächst auskömmlich erscheinen. Allerdings sind die kommunalen Entscheider nicht unbedingt flächendeckend darin geübt, zukunftsweisende Großprojekte zu entwickeln, deren technische Rahmenbedingungen, wie im Fall der Phosphor-Rückgewinnung, bislang noch nicht abschließend geklärt sind. Hinzu kommen die Fallstricke der interkommunalen Zusammenarbeit, weil selbst in größeren Städten die produzierten Häufchen nicht ausreichen, um ein autarkes Vorgehen bei der Klärschlammentsorgung zu rechtfertigen.
Für viele Verantwortliche und Geschäftstüchtige stellt sich aktuell also die Frage nach dem zukünftigen Konzept zur Klärschlammverwertung und Phosphor-Rückgewinnung. Von Interesse ist hierbei natürlich der Punkt, wie der Phosphor im Klärschlamm am günstigsten in den Nährstoffkreislauf zurückgeführt werden kann. Prinzipiell besteht die Möglichkeit der Phosphor-Rückgewinnung aus dem Abwasser (P-Konzentration ca. 0,006 g/l), aus dem Nassschlamm (2 g/l), aus dem entwässerten Klärschlamm (8 g/l) und aus der Klärschlamm- asche (62 g/l).
Auswahl des konkreten Prozesses
Eine möglichst hohe Phosphorkonzentration im Stoffstrom ist ein wesentliches Argument, das erzeugte Produkt und dessen Vermarktbarkeit ein anderes. Werden Verfahren betrachtet, die auf eine Nutzung der gesamten Klärschlammasche, in der Regel nach Abreicherung der Schwermetalle, als Düngemittel zielen, ist auch die Pflanzenverfügbarkeit, also die chemische Bindung des Phosphors, zu beachten. Noch schwieriger als die Frage, aus welchem Stoffstrom der Phosphor zurückgewonnen werden soll, ist jene nach der Auswahl des konkreten Prozesses. Hierzu sind bisher allenfalls Ergebnisse aus Pilotanlagen bekannt.

Die Technik ist vorhanden
Im Gegensatz zur Phosphor-Rückgewinnung ist die Frage nach der Verbrennungstechnik relativ einfach zu beantworten: Wer vernünftig ist, setzt auf stationäre Wirbelschichtverbrennung. Ob dies nun unbedingt in einer Anlagengröße für 30.000 t Trockensubstanz sein muss, wie so manches führende Ingenieurbüro empfiehlt, oder ob auch kleinere Anlagen, zumindest bei günstigen Rahmenbedingungen, ebenfalls wirtschaftlich betrieben werden können, ist im Einzelfall zu prüfen. Die Technik ist jedenfalls erprobt, zuverlässig und für diese Anwendung bestens geeignet. Früher ebenfalls häufiger eingesetzte Etagenöfen und auch die sogenannte Zykloidfeuerung konnten sich nicht durchsetzen. Ein Ansatz, der schon seit Jahren in der Schweiz technisch umgesetzt ist und aufgrund der interessanten Option zur Phosphor-Rückgewinnung bzw. -nutzung von sich reden macht, ist der Einsatz von Drehrohren im Koppelbetrieb mit anderen thermischen Anlagen. Ein solches Projekt wird aktuell im großtechnischen Maßstab in Mannheim vorbereitet.
Alternativen sorgfältig prüfen
Natürlich surfen auch die Anbieter alternativer thermischer Abfallbehandlungsverfahren auf der neuen ,braunen Welle’. So mancher Konstrukteur von abenteuerlichen thermochemischen Wundermaschinen, dem vor der Novellierung der Klärschlammverordnung die Existenz von Phosphat vermutlich allenfalls von der Zusatzstoffliste auf der Autobahnraststätte geläufig war, hatte über Nacht angeblich ausgereifte Konzepte in sein Konstrukt integriert, um den Phosphor mit 100-prozentiger Reinheit, absoluter Pflanzenverfügbarkeit und natürlich vollständig aus dem Klärschlamm zurückzugewinnen. Dies verwundert nicht, ist diese Unterspezies des okkulten Anlagenbaus doch generell recht großzügig im Umgang mit den Grundgesetzen der Thermodynamik.

Die Wahrheit sieht natürlich anders aus. Falls die Maschinen tatsächlich irgendwann laufen sollten, wird auch gern mal ein schlecht verkokeltes Produkt erzeugt, dessen einziger Wertzuwachs beim Entsorgungspreis liegt, der für den entstandenen Sondermüll anschließend beglichen werden muss.
Neben der Technikauswahl nimmt die Standortsuche bei vielen Projekten aktuell großen Raum ein. Mit deutscher Gründlichkeit und regionalem Impetus werden CO2-Gutschriften und Lkw-Durchfahrten bis in die siebte Nachkommastelle bilanziert, um die jeweiligen Vorlieben nachhaltig zu untermauern. Grundsätzlich ist eine intelligente Standortwahl aber natürlich der Schlüssel zum (wirtschaftlichen) Erfolg einer solchen Anlage. Wie sich beispielsweise bereits an mehreren konkreten Projekten gezeigt hat, gibt es – abhängig vom Baujahr – Müllverbrennungsanlagen, die in der Lage sind, das komplette Rauchgas aus der Verbrennung der oben zitierten 30.000 t Klärschlammtrockenmasse ohne große bauliche Veränderung zusätzlich zum Rauchgas aus den eigenen Müllkesseln mitzubehandeln. Hierdurch sind natürlich enorme Kosteneinsparungen zu realisieren.
Aber auch die Option zur Behandlung von Brüden aus einer Schlammtrocknungsanlage, sei es flüssig in der Kläranlage oder direkt dampfförmig im Kessel einer Feuerung, kann den Ausschlag für einen Standort geben. Grundsätzlich sind bereits abfallwirtschaftlich genutzte Standorte mit entsprechender personeller Fachkompetenz und möglichst guter Infrastrukturanbindung zu bevorzugen. Dies entspricht auch dem Trend zur optimierten Stoffstromwirtschaft und funktioniert am besten an integrierten Standorten.

Bisher noch völlig offen ist die künftige Rolle der Kohlekraftwerke und der Zementwerke, die aktuell signifikante Mengen an Klärschlämmen verwerten. Es ist durchaus denkbar, dass Klärschlamm, den der Phosphor vorher entzogen wurde, beispielsweise noch auf der Kläranlage, auch weiterhin in den Zementwerken eingesetzt wird. Trotz oder sogar wegen des vorgezeichneten Ausstiegs aus der Kohlekraft, ist das Ende der Klärschlammverbrennung in Kohlekraftwerken noch nicht absehbar. Betreiber gehen davon aus, dass bei entsprechend hohen Verbrennungsanteilen auch eine Phosphor-Rückgewinnung aus der Mitverbrennungs- asche möglich sein wird. Die Größenordnung solcher Anlagen würde dabei vermutlich zu einer enormen Kostendegression und damit unter Umständen zu wirtschaftlichen Vorteilen gegenüber dezentralen Wirbelschichtlösungen führen, insbesondere wenn die Kohlekraftwerke abgeschrieben sind. Ein weiterer interessanter Aspekt bei der künftigen Klärschlammverwertung sind mögliche Kombinationsanlagen unter Einsatz von Tiermehl. In diesem Stoffstrom ist die Phosphorkonzentration noch deutlich höher als im Klärschlamm. Dies macht das Tiermehl hochinteressant für den Betrieb von Phosphor-Rückgewinnungs-Anlagen, deren Ertrag durch die Produktvermarktung generiert werden soll.
Wie immer in der Abfallwirtschaft: Es bleibt spannend!
Ein Beitrag von Prof. Dr.-Ing. Peter Quicker, Lehr- und Forschungsgebiet Technologie der Energierohstoffe, RWTH Aachen.
Fachartikel aus dem Entsorga-Magazin Nr. 2/2019
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