Industrie + Wasser
Aquaponik nutzt Grauwasser
Projektdaten Wasserkonzept Block 6
Adresse: Dessauer Straße/Bernburger Straße, 10963 BerlinFertigstellung: im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Berlin 1987
Begleitforschung: Technische Universität Berlin bis 1993
Optimierung/Umgestaltung: 2006-2007
Auszeichnung: Preisträger des deutschlandweiten Wettbewerbs, „365 Orte im Land der Ideen“, 2009
Erweiterung: Integration in das Verbundprojekt „Roof Water-Farm“, 2013-2016
Präsentation: im Rahmen des Ökologischen Stadtplans Berlin, 2017 unter www.stadtentwicklung.berlin.de/oekologischer-stadtplan/ sowie im Rahmen des Roof Water-Farm Forschungsprojekts unter www.roofwaterfarm.com
Langzeittest in Berlin
Ziel war es, den Bestand als technisches Denkmal für Stadtökologie und umweltgerechtes Bauen zu sichern und zu optimieren sowie die Betriebsführung unter wirtschaftlichen Bedingungen zu ermöglichen. In die ursprüngliche Pflanzenkläranlage wird seither das auf dem Gelände anfallende Niederschlagswasser eingeleitet, um zu verdunsten. Der Überlauf versickert. Für das Recycling des Abwassers wurde 2007 ein Betriebsgebäude erstellt, in dem Abflüsse von Badewannen, Duschen und Handwaschbecken sowie Waschmaschinen und Küchenspülen (Grauwasser) von 250 Bewohnern der umliegenden mehrgeschossigen Wohnhäuser aufbereitet werden.Im Jahr 2014 kam eine Versuchsanlage hinzu, die im Innenhof des Blocks 6 in einem Gewächshaus das Recyclingwasser für Fischzucht und Gemüseanbau verwendet. Zusätzlich wird an der Wiederverwendung des Abwassers von Toiletten (Schwarzwasser) zum Düngen und Bewässern der Gemüsekulturen geforscht. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte „Roof Water-Farm“-Projekt sucht Antworten auf Fragen, wie in Großstädten trotz begrenzter Ressourcen das Potential an Dachflächen und Wasser besser als bisher genutzt werden kann.

Bild 2 Schema des mehrstufigen Reinigungsverfahrens für Grauwasser, seit 2007 im Betriebsgebäude untergebracht
Lebensmittel aus Recyclingwasser
Fisch- und Gemüsezucht in der City mit Recyclingwasser? Fäkalien der Stadtbewohner wurden, bis zur Einführung der Kanalisation, als Düngemittel aufs Land hinaus transportiert, Lebensmittel werden bis heute in großem Umfang in die Stadt hinein gefahren. Nahrungsmittel zu produzieren war für Jahrhunderte ein Privileg der „Land“-Wirtschaft. Das könnte sich bald ändern, wenn Kreislaufwirtschaft im Sinne der Ressourcen schonenden regionalen Wertschöpfung in der Stadt Fortschritte macht. Gemüseanbau in der Stadt ist unter dem Namen Urban Gardening bekannt, aber auch belächelt worden. Zu Unrecht, wie das Berliner Modellvorhaben Roof Water-Farm im Block 6 zeigt. Die vier Jahre dauernde Förderung war Teil des Programms „Forschung für Nachhaltige Entwicklungen“ (FONA). Speziell ging es um „Intelligente und nachhaltige Infrastruktursysteme für eine zukunftsfähige Wasserversorgung und Abwasserentsorgung“ (INIS).Sämtliches Abwasser wird in biologischen Prozessen aufbereitet und wiederverwendet. Die Recyclinganlage liefert Badegewässerqualität, ohne Einsatz chemischer Mittel. Und diese Qualität kommt den Fischen zugute, die sich im Gewächshaus im Recyclingwasser tummeln. Deren Ausscheidungen sind Dünger für die Pflanzenzucht. Das hat System – es ist die Kombination von Aquakultur und Hydroponik, die so genannte Aquaponik. Ponik/Ponos bedeutet im Altgriechischen Arbeit, gemeint ist hier die Arbeit des Düngens, die nun das Wasser übernimmt.

Bild 3 Mehrstufige Aufbereitungsanlage für Grauwasser, seit 2007 im Betriebsgebäude untergebracht
Düngemittel frei Haus
Ebenfalls im Gewächshaus, neben dem Fischbecken, stehen Pflanztische mit Töpfen ohne Erde. Die Wurzeln ragen in das durchfließende Wasser, dem Ablauf der Aquakultur – also des Beckens, in dem Schleien und Afrika-Welse gezüchtet werden. So wird der Fischkot als willkommener Dünger für Endiviensalat und Pak-Choi-Kohl in gelöster Form gleich mitgeliefert. Durch den ständigen Kreislauf sinkt der Wasserstand bei den Fischen. Der Ausgleich dafür kommt aus dem letzten Behälter der Grauwasseranlage. Das dort lagernde glasklare Betriebswasser wird einerseits zur Toilettenspülung in den 73 Haushalten des Blocks 6 genutzt, andererseits zur Versorgung der Aquakultur. Man könnte es auch so ausdrücken: Aquaponik = Betriebswasser aus Grauwasser + Aquakultur + Hydroponik.Ein weiterer Pflanztisch im Gewächshaus erhält das Betriebswasser direkt, ohne Umweg über die Fischzucht. Damit fehlt der tierische Dünger. Dieser wird ersetzt durch einen Flüssigdünger, erzeugt in der zweiten Abwasserrecycling-„Straße“ des Blocks 6. Hier entsteht aus dem Schwarzwasser von 50 Bewohnern Flüssigdünger – so genanntes Goldwasser, hausintern aufbereitet und bei der Bewässerung zugesetzt. Er enthält unter anderem die für Pflanzenwachstum unerlässlichen Elemente Stickstoff, Phosphat und Kalium. Kurz gefasst: System Hydroponik = Betriebswasser aus Grauwasser + Flüssigdünger aus Schwarzwasser. Zwischenergebnisse der Forscher belegen, dass die Qualität der Aquaponik-Produkte als Nahrungsmittel unbedenklich ist; und dass mit einem 400 m² großen Gewächshaus 70 Bewohner eines mehrgeschossigen Wohnblocks 80 % ihres Bedarfs an Fisch, Gemüse und Obst decken könnten.
Betriebswasser aus Regen- und Grauwasser
Regenwasser und aufbereitetes Grauwasser eignen sich für dieselbe Verwendung. Beide Arten gelten als Betriebswasser, das keine Trinkwasserqualität hat. Damit darf in Deutschland u. a. der Garten gegossen, die Toilette gespült und die Wäsche gewaschen werden. Mindestanforderung ist eine Wasserqualität gemäß der europäischen Badegewässerrichtlinie. Bei Stichproben werden regelmäßig deutlich bessere Werte, als dort gefordert, gefunden. Eine Nachweispflicht besteht nicht.Derzeit wird in Abstimmung mit den europäischen Gremien ein einheitliches DIN-EN-Regelwerk erstellt, sowohl für die Regenwasser-, als auch für die Grauwassernutzung. Dies geschieht im DIN-Ausschuss NA 119-05-08 AA „Wasserrecycling“, seit dieser im Jahr 2013 als nationaler Spiegelausschuss des europäischen Arbeitskreises CEN/TC 165/WG 50 benannt wurde. EN 16941 ist als Teil 1 für Regenwasser bereits veröffentlicht, Teil 2 für Grauwasser wird für Anfang 2020 erwartet. Beide Betriebswasserarten gelten als ökologisch wertvoll, Trinkwasser und Kosten sparend.

Tab. 1: Häusliches Abwasser als eine Ressource für Wasser, Energie und Nährstoffe (grün markiert sind die höchsten Recyclingpotenziale). Untersuchungen von Nolde & Partner sowie Berechnungen, basierend auf /4/

Tab. 2: Typische Zulauf- und Ablaufkonzentrationen der Grauwasserrecyclinganlage im Block 6 im Vergleich zu üblichen Konzentrationen von Berliner Großkläranlagen
Doppeltes Leitungsnetz als Standard
Der Block 6 in Kreuzberg bot sich für derlei Versuche an, denn die (für die Verwertung interessanten) Wasserströme sind dort schon getrennt. 1987 wurde beim Bau der Häuser ein zweites Leitungssystem für Wasserver- und -entsorgung eingebaut. Konkret ist außer der Sammelleitung für das Schwarzwasser ein Rohrsystem vorhanden, das nur Grauwasser aufnimmt. Und neben den Leitungen zu den Verbrauchsstellen für Trinkwasser existieren separate Rohre zur Versorgung der Toilettenspülkästen mit Betriebswasser aus aufbereitetem Grauwasser. „Die Investition in doppelte Leitungsnetze kostet erst einmal, bevor mit Gebühreneinsparungen, Wärmerückgewinnung und Flüssigdünger an eine Amortisation zu denken ist“, sagt Erwin Nolde. Als Umweltingenieur ist er Geschäftsführer von Nolde und Partner und betreut neben anderen Grauwasseranlagen in Deutschland auch das Wasserrecycling im Block 6. Die Optimierung und Umgestaltung des Grau- und Regenwasserkonzepts nach 14 Jahren Stillstand ging auf seine Planung zurück.Der reibungslose Betrieb ist seiner regelmäßigen Inspektion und Wartung zu verdanken. „Eigentlich fehlt nur die Wärmerückgewinnung – die haben wir erst 2012 beim Neubau eines Mehrfamilienhauses am Berliner Arnimplatz mit ins Programm genommen“, gesteht der Pionier. „Seither planen, bauen und betreiben wir Klima-positive Grauwasserrecyclinganlagen und tragen damit deutlich zur CO2-Reduktion bei“. Noldes Spezialität ist der objektspezifische Anlagenbau, in Zusammenarbeit mit Rudi Büttner und dessen Firma Lokus. Beide bevorzugen für die Grauwasseraufbereitung das Wirbelbettverfahren, das sowohl wenig Energie als auch wenig Wartung benötigt und sich seit mehr als 15 Jahren als sehr robust erwiesen hat – selbst dann, wenn seitens der Mieter versehentlich Wandfarbe und Desinfektionsmittel eingeleitet wurden. Seit 2011 wenden Nolde und Büttner in der Abwasseraufbereitung das Prinzip „Internet of Things“ (IoT) an. Das heißt, dass sich die Anlagensteuerung selbst kontrolliert und Unregelmäßigkeiten per E-Mail oder SMS an den Betreiber meldet. Die vernetzten Geräte stellen über das Internet eine Schnittstelle zur Verfügung, über die sie sich von einem beliebigen Ort aus bedienen und steuern lassen. Dadurch, so Nolde, konnten die Recycling-Erträge deutlich erhöht und der Wartungsaufwand gesenkt werden.
Und wer sind die typischen Auftraggeber? Grauwasserrecycling ist insbesondere dort lukrativ, wo viele Bewohner in mehrgeschossigen Gebäuden untergebracht sind, zum Beispiel in Hotels, Wohnheimen und im mehrgeschossigen Wohnungsbau. Das separat gesammelte Grauwasser dient den 250 Bewohnern im Block 6 in Berlin-Kreuzberg nach Aufbereitung innerhalb des Gebäudes als Betriebswasser für die Toilettenspülung – und hilft ihnen so, etwa ein Drittel der Trink- und Abwassergebühren zu sparen.

Bild 5 Pflanztisch für Hydroponik mit Endiviensalat und Pak-Choi-Kohl. Die Wurzeln ragen in den durchfließenden Ablauf der Aquakultur. Der Fischkot ist willkommener Dünger.
Ökologisches Gesamtkonzept von Block 6
- Grau- und Schwarzwasserrecycling spart Trinkwasser, reduziert Abwasserableitung und erzeugt Flüssigdünger für Hydroponik
- Regenwasserbewirtschaftung spart Trinkwasser und reduziert Abwasserableitung, verbessert das Mikroklima durch Verdunstung (Kühlung und Luftfeuchte), verstärkt die Grundwasserneubildung durch Versickerung
- Gebäudeintegrierte Farmwirtschaft erzeugt Nahrungsmittel mit Aquaponik (Fisch- und Pflanzenzucht), urbaner Standort reduziert Lebensmitteltransporte
- Dachbegrünung und ehemalige Pflanzenkläranlage (heute Regenwasserdepot zur Verdunstung) erhöhen die Biodiversität
- Betriebsgebäude der Wasseraufbereitung und Roof Water-Farm bieten Möglichkeiten zur Schulung/Exkursion im Sinne von Umweltbildungsmaßnahmen
Grauwasser reinigen ohne Zusätze
Bei der Wirbelbett-Anlage im Berliner Block 6 durchläuft das Grauwasser neun Reinigungsstufen, bevor es glasklar im letzten Behälter als so genanntes Betriebswasser für die weitere Verwendung lagert. Die besondere Herausforderung bei diesem Objekt ist laut Nolde die hohe Belastung mit organischem Material, da im Gegensatz zu heute üblichen Grauwassersystemen hier zusätzlich Waschmaschinen und Küchenspülen angeschlossen sind. Partikel werden gleich zu Beginn des Reinigungsprozesses herausgesiebt. Erwünschte biologische Abbauprozesse kommen durch Belüftung des Wassers in Gang. Als Folge setzt sich Schlamm am Behälterboden ab, der periodisch abgelassen wird. Die hydraulische Aufenthaltszeit beträgt je nach Belastung etwas mehr als 24 Stunden. Wenn die Bedingungen stimmen, übernehmen Mikroorganismen, die sich von selbst in der Anlage ansiedeln, die Arbeit der Reinigung. Sandfilter und UV-Licht-Desinfektion sind die letzten Aufbereitungsschritte.Zugabe von biologischen oder chemischen Stoffen ist nicht erforderlich. Einige der Behälter haben kleine Zapfventile, aus denen Wasserproben zur Analyse gezogen werden können. Besucher erhalten von Nolde üblicherweise an der letzten Station der Prozesskette, dem Betriebswassertank, ein Glas gezapft – nicht zum Trinken, aber zum optischen und olfaktorischen Begutachten. Das Wasser ist, für Laien erstaunlich, frei von Geruch und glasklar. Die jahrelangen Untersuchungen im Rahmen der Forschungsprojekte bestätigen diesen subjektiv gewonnenen positiven Eindruck. Das Betriebswasser im Block 6 hat Badegewässerqualität. Deshalb darf es über die Toilettenspülung hinaus auch für die Roof Water-Farm verwendet werden.
Mögliche Grauwasser-Verfahren
Pilotprojekte der letzten 30 Jahre lassen sich unterscheiden in- Pflanzenkläranlagen, Besonderheit: Die Überwachung der Anlage erfordert biologische Kenntnisse und ausreichend Platz im Gelände.
- Wirbelbett- bzw. belüftete Festbettanlagen, Besonderheit: Als vorgefertigte Haustechnik-Module seit 20 Jahren am Markt, insbesondere für Projekte ab ca. 40 Nutzer geeignet.
- Membrananlagen/Ultrafiltration, Besonderheit: Als vorgefertigte Haustechnik seit 15 Jahren am Markt, auch für kleine Projekte geeignet.
LITERATUR
/1/ fbr-Hinweisblatt H 202. Hinweise zur Auslegung von Anlagen zur Behandlung und Nutzung von Grauwasser und Grauwasserteilströmen. Hrsg.: Fachvereinigung Betriebs- und Regenwassernutzung e. V. (fbr). Darmstadt, Okt. 2017.
/2/ König, K. W.: Grauwassernutzung – ökologisch notwendig, ökonomisch sinnvoll. Fachbuch mit farbigen Abbildungen, 1. Aufl., 130 S. Verlag: iWater Wassertechnik, Troisdorf, 2013.
/3/ Nolde, E.: Getrennte Erfassung von Grauwasser. Ein Weg zu mehr Ressourceneffizienz in der Siedlungswasserwirtschaft. In: fbr-wasserspiegel, Ausgabe 1/17. Hrsg.: Fachvereinigung Betriebs- und Regenwassernutzung e. V. (fbr). Darmstadt, 2017.
/4/ Neuartige Sanitärsysteme – Weiterbildendes Studium Wasser und Umwelt. Bauhaus-Universität Weimar, 2009, S. 13 – 14.
Ein Beitrag von Klaus W. König
Fachartikel aus wwt wasserwirtschaft wassertechnik Nr. 9/2019
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