Ist die Rohrleitungsbranche zukunftsfähig aufgestellt?
35. Oldenburger Rohrleitungsforum zieht mit hochaktuellen Themen die Branche an

05.04.2023 Unter dem Leitthema „Rohre und Kabel – kritische Infrastruktur und Versorgungssicherheit“ standen bei der 35. Auflage des Oldenburger Rohrleitungsforums am 30./31. März 2023 hochaktuelle Themen auf der Tagesordnung. Neben der Notwendigkeit eines veränderten Regenwassermanagements gilt es, die Verknüpfung von Gas und Strom sowie den Kabelleitungsbau und die Chancen der Digitalisierung auszuloten. 

Glanzvoller Auftritt im neuen Gewand: Das 35. Oldenburger Rohrleitungsforum fand erstmalig in der Weser-Ems-Halle statt. Besucher wie Aussteller sind vom Veranstaltungskonzept begeistert.
© Foto: iro
Glanzvoller Auftritt im neuen Gewand: Das 35. Oldenburger Rohrleitungsforum fand erstmalig in der Weser-Ems-Halle statt. Besucher wie Aussteller sind vom Veranstaltungskonzept begeistert.

Erwartungsgemäß standen beim diesjährigen Oldenburger Rohrleitungsforum vor dem Hintergrund der derzeitigen Energiekrise insbesondere Fragen zur Versorgungssicherheit und der Energieversorgung der Zukunft im Fokus. Aber auch die klimatischen Veränderungen und ihre Auswirkungen bildeten einen Schwerpunkt der Diskussion. „Thematisiert werden soll der Umgang der Menschen mit den natürlichen Ressourcen, mit dem Klimawandel, mit dem Wassermangel, aber auch mit der Energiegewinnung und -verteilung“, fasst Prof. Dipl.-Ing. Thomas Wegener, Vorstandsmitglied des Instituts für Rohrleitungsbau an der Fachhochschule Oldenburg e. V. und Geschäftsführer der iro GmbH Oldenburg die thematische Bandbreite zusammen.

Herausforderungen für die Wasserversorgung steigen


Für den Hausherrn sind die Themen sattsam bekannt und hochaktuell. „In der Trinkwasserversorgung werden die Folgen des Klimawandels spürbar“, so Wegener. „Eines der zentralen Themen ist die Sicherstellung der Resilienz in der Wasserversorgung.“ Sicher ist, dass mit der Ressource Grundwasser zukünftig auch in den grundwasserreichen Gebieten Mitteleuropas vorsichtiger und achtsamer umgegangen werden muss. Steigender Bedarf, sich verändernde Niederschlagsmuster, zunehmende Belastungen durch Eintragungen sowie potenziell anspruchsvollere regulatorische Anforderungen an das Lebensmittel „Trinkwasser“ erfordern geplantes, zielgerichtetes und abgestimmtes Verhalten in der gesamten Wertschöpfungskette, aber auch den bewussten Umgang mit dem Grundnahrungsmittel Wasser auf der Verbraucherseite. Diese sich wandelnden Niederschlagsereignisse stellen auch das Regenwassermanagement vor neue Herausforderungen und sind beim fortschreitenden Umbau der Städte zu berücksichtigen. Starke Oberflächenversiegelung führt zu schwer beherrschbaren Wassermengen in den Städten, lang ausbleibender Niederschlag erfordert ein geändertes Wassermanagement auch in ländlichen Regionen und auch in den Gebieten, in denen in der Vergangenheit die Entwässerung der Fläche im Vordergrund stand.

Digitalisierung im Leitungsbau


Unzweifelhaft scheint zu sein, dass vor dem Hintergrund von Energiewende und Klimaneutralität die gesamte Infrastruktur einer umfassenden Neustrukturierung unterzogen werden muss. In diesem Kontext bietet gerade auch die Digitalisierung relevanter Management- und Organisationsprozesse für den Tief- und Leitungsbau entscheidende Ansätze einer nachhaltigen Effizienzsteigerung. „Den Leitungsbau beschäftigt die Zukunft heute viel stärker als früher“, erklärt Dipl.-Ing. Andreas Hüttemann vom Rohrleitungsbauverband e. V. (rbv). „Die großen Transformationsthemen Digitalisierung, Energiewende und Klimaneutralität sind schon lange keine Angelegenheiten der Zukunft mehr, sondern erfordern bereits heute weitreichende Entscheidungen. Und – ein entscheidender Aspekt – alle diese Aufgaben sind in ihrer großen Vielfalt dennoch eng miteinander verknüpft und stellen die Branche auch im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel und dem Fachkräftemangel vor große Herausforderungen. Das macht unseren Auftrag für einen qualitätsorientierten und sicheren Erhalt und Ausbau der leitungsgebundenen Infrastruktur noch komplexer.“

Ansätze vorhanden


Aber viele Spielarten der Digitalisierung sind laut Hüttemann gleichwohl längst im täglichen Workflow der Leitungsbauunternehmen angekommen. Ausdruck dafür seien u. a. der umfassende Einsatz von Smartphones oder Tablets auf der Baustelle, die Übermittlung von detaillierten Projektdokumentationen in das Firmennetzwerk oder in die Cloud, oder eine umfassende Digitalisierung der Bürokommunikation sowie weiterer Organisationsprozesse. Allerdings befänden sich gerade die Leitungsbauunternehmen in sehr unterschiedlichen Phasen der Digitalisierung. Zudem herrsche auch kein allgemeiner Konsens darüber, was Digitalisierung im Leitungsbau genau bedeute und inwiefern sich digitale von analogen Strukturen unterscheiden würden. „Die für eine Automatisierung der Prozesse grundlegenden Informations- und Kommunikationstechnologien in der Baubranche werden nur eingeschränkt genutzt“, ist Hüttemann überzeugt, „obwohl diese bei mit der stationären Industrie vergleichbaren Prozessen ein großes Optimierungspotential versprechen.“ So seien digitalisierte und intelligent vernetzte Produktionssysteme in der Bauindustrie bzw. Bauausführung gegenwärtig nicht weit verbreitet. Ein strukturierter und kontinuierlicher Informationsfluss sei die Hauptherausforderung in der effizienten Projektabwicklung. Dies gelte insbesondere für die Phase der Bauausführung. Allerdings gäbe es auch signifikante Unterschiede zwischen der stationären Industrie und speziell dem Leitungsbau im Bestand. Aber im Pipelinebau seien Unternehmen dabei, Erfahrungen zu sammeln – etwa wie die Möglichkeiten von Lean-Management-Methoden angewendet werden könnten, um Baustellen zu Takten und just-in-time abzuwickeln.

Effizienzsteigerungen möglich


„Und schließlich verheißt die Digitalisierung auch eine Effizienzsteigerung durch redundanzfreie Datenerfassung, -übermittlung und -verarbeitung“, ist Hüttemann sicher. „Damit kann über das Leitungsbauunternehmen hinaus auch die Zusammenarbeit mit Planern und Netzbetreibern optimiert und effizienter gestaltet werden. Deshalb zählen mit fortschreitender Digitalisierung und zunehmender Vernetzung auch BIM – Building Information Modeling – für den Infrastrukturbau und damit auch Leitungsbau zu den Themen, mit denen man sich auseinandersetzen muss.“ Während die Digitalisierung der internen Prozesse und Abläufe im Leitungsbauunternehmen vielfach in Teilbereichen und für einzelne Aufgabenstellungen bereits realisiert würde, sei eine durchgängige digitale Arbeitsweise von einer systemischen Anwendung noch weit entfernt. Speziell BIM-Pilotprojekte im erdverlegten Rohrleitungsbau seien daher aktuell noch sehr schwer zu finden; und obwohl die einschlägigen Handreichungen und Positionspapiere schon klare Vorteile der BIM-Methodik für die Branche formulierten, sei die Akzeptanz bei Betreibern und Anwendern noch verhalten.


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