Jung Pumpen
Sieben Sichtweisen auf das Feuchttücher-Problem in Abwasseranlagen
Die Tatsache der zunehmenden Anzahl an Feuchttüchern im Abwasser und die dadurch stark zunehmenden Verstopfungen von öffentlichen Pumpwerken war unstrittig. Die Herangehensweisen zur Lösung des Problems wie z. B. die Übernahme von Verantwortlichkeiten, die Frage wer welche Kosten übernimmt, was rechtens ist und wer wie handeln sollte, wurden lebhaft diskutiert. Marco Koch (Jung Pumpen GmbH) und Murat Ceylan (ATB Water GmbH) moderierten.
Aus Sicht der Forschung
Als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Fluidsystemdynamik am Lehrstuhl von Prof. Thamsen an der TU Berlin, hat Raja-Louisa Mitchell in Labortests die Zusammensetzung von Abwasser im Hinblick auf Feuchttücher untersucht. Zu Beginn der Diskussion stellt sie die wichtige Unterscheidung heraus zwischen feuchtem Toilettenpapier einerseits und Vliestüchern wie Baby-oder Kosmetiktüchern andererseits. Beide finden sich in großer Menge im Abwasser. Ersteres ist meist nicht Verursacher für die Verzopfung und Verstopfung von Pumpsystemen, da feuchtes Toilettenpapier „spülbar“ ist. Wenn es den Spülbarkeitsrichtlinien der Vliestuchindustrie entspricht, zerfällt es im Wasser und ist somit für die Entsorgung über die Toilette als auch für den Durchgang durch die Pumpen geeignet.Problematisch sind Baby- und Kosmetiktücher, die aus synthetischen, reißfesten Fasern bestehen. Sie sind „nicht spülbar“, da sie nicht zerfallen, sondern sich im Gegenteil in den Pumpen festsetzen und diese verstopfen. Bei einer Abwasseruntersuchung im Hauptpumpwerk Lichtenberg in Berlin brachte eine Untersuchung der Inhalte in einer verstopften Pumpe 54 % nicht spülbare Tücher zutage. Als „Haupttäter“ hat Mitchell in Untersuchungen Personen im Alter von 24 bis 44 Jahren identifiziert, die Kinder haben. Sie lernen die Tücher über die Babypflege kennen und gleichzeitig für sich selbst zu schätzen. Sie sieht in mangelnder Verbraucherinformation als auch in irreführender Verpackungsbeschriftung Ursachen dafür, dass Verbraucher die Tücher fälschlich über die Toilette entsorgen und so zu den zunehmenden Pumpenverstopfungen beitragen.
Aus Sicht eines Feuchttücher-Herstellers
Die Albaad Deutschland GmbH beliefert nach eigenen Angaben den Großteil des deutschen Einzelhandels und der Drogerieketten mit diversen Vliesprodukten. Das Produktportfolio umfasst neben feuchtem Toilettenpapier auch Feuchttücher zur Haushaltsreinigung, für Kosmetik und Babypflege. Geschäftsführer Wolfgang Tenbusch sieht sich häufig dem Vorwurf ausgesetzt, er sei für die Probleme in den Pumpwerken verantwortlich, immerhin bringe seine Firma die Tücher auf den Markt. Dies sieht er naturgemäß anders und argumentiert, er liefere nur das, was der Markt wolle.Als feuchtes Toilettenpapier in Deutschland vor ca. 30 Jahren auf den Markt kam, bestand es aus Zellulosefasern, die mittels eines wasserlöslichen Klebers verbunden wurden. Diese Tücher seien schnell im Wasser zerfallen und hätten keine Probleme verursacht, so Tenbusch. Später verlangte der Markt auch für andere Anwendungsgebiete wie Kosmetik oder Babypflege feuchte Tücher, diese aber mit einer höheren Festigkeit. So begann man, synthetische Fasern zu Vlies zu verarbeiten, was die gewünschte Eigenschaft brachte. Im Gegensatz zu feuchtem Toilettenpapier lösen sich Vliestücher aus synthetischen Fasern nicht im Wasser auf und sind auch nicht abbaubar, sie gehören daher in den Hausmüll und nicht ins Abwasser.
Dies an den Verbraucher zu kommunizieren sei Sache des Handels, meint Tenbusch, denn dieser gestalte die Verpackungen der eigenen Handelsmarken und habe so die Chance, den Verbraucher auf Spülbarkeit oder Nichtspülbarkeit der Tücher hinzuweisen. Für gemeinsame Verbraucher-Informationskampagnen zeigt er sich offen. Im Übrigen biete Albaad auch spülbares, biologisch abbaubares, feuchtes Toilettenpapier an, was allerdings etwas teurer sei und sich daher langsamer durchsetze.

Bild 2 Feuchttücher sind bei Verbrauchern sehr gefragt und werden daher in großen Mengen hergestellt.
Aus juristischer Sicht
Ob es denn nicht ein Gesetz gäbe oder geben müsse, das die Personen rechtlich zur Verantwortung ziehe, die nicht spülbare Tücher in das Abwassersystem brächten und so die Verstopfung von Pumpsystemen verursachten, wird Rechtsanwalt Han Christian Jung gefragt. Jung, von der Kanzlei Schiche & Jung aus Mertingen, stellt zunächst klar, dass der Begriff „spülbar“ gesetzlich bisher nicht definiert ist und daher zunächst der Bundesgerichtshof gefragt ist. Demzufolge kann auch keinem Händler verboten werden, auf seinen Feuchttücher-Verpackungen irreführend „spülbar“ zu schreiben, obwohl die Tücher sich nicht auflösen und dadurch die Probleme in den Pumpanlagen verursachen.Auch den Verbrauchern, die die Tücher über die Toilette entsorgen, ist gesetzlich nicht beizukommen, da vor Gericht immer der Verursacher eines Schadens festgestellt werden muss. Wem soll man aber nun das eine Feuchttuch zuordnen, das den Anfang einer Pumpenverstopfung in Gang setzt? Und selbst wenn das theoretisch möglich wäre, was ist mit dem, der das zweite Tuch abgespült hat, das vielleicht problemlos die Pumpe passiert hätte, wäre da nicht schon eines gewesen? Und sind nun beide Verursacher oder erst der Dritte, dessen Tuch die Verstopfung schließlich perfekt macht?

Bild 3 Inhalt einer verstopften Pumpe nach 10 Minuten Laufzeit im Hauptpumpwerk Lichtenberg in Berlin
Aus Sicht der Stadtentwässerung
Jana Wenke, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit der Stadtentwässerung Dresden, ist Initiatorin der vielbeachteten Kampagne der Stadt „Kein Müll ins Klo“. Sie will nicht nur aus Umweltgründen, sondern auch aus Kostengründen ihre Mitbürger aufrütteln und informieren. Normalerweise denken Bürger nicht darüber nach, was mit dem Abwasser passiert, nachdem sie die Toilettenspülung betätigt haben. Auf der Internetseite www.kein-muell-ins-Klo.de können die Dresdner den Weg ihres Abwassers in einem unterhaltsamen und informativen Film mitverfolgen und lernen, wie aufwendig es ist, alle dem Abwasser zugeführten Stoffe wieder heraus zu bekommen und auch, welche Folgen feuchte Kosmetik- oder Babytücher für die Pumpentechnik haben. Sie setzt auf Information und Kommunikation, denn am Ende sind es die Bürger, die über steigende Gebühren die Mehrkosten für die steigende Anzahl der Reparaturen der kommunalen Pumpwerke zahlen.Aus Sicht eines Anlagenbauers
Die Olbring Systemtechnik GmbH aus Ahaus ist ein mittelständischer Betrieb im Anlagenbau im Bereich Abwasserbehandlung und -entsorgung. Inhaber André Olbring und seine Mitarbeiter sind täglich mit Pumpwerksstörungen konfrontiert und dies in zunehmendem Maße. Olbring berichtet, dass es immer mehr öffentliche „Problempumpwerke“ gibt, die mit den zunehmenden Mengen an Kosmetik- und Babytüchern nicht fertig werden. Die Pumpen sind kaum von langen Zöpfen aus Fasern und Vlies befreit, da droht schon die nächste Verstopfung. Die Anzahl der Reparatureinsätze nimmt kontinuierlich zu. Dies gelte bemerkenswerter Weise nicht für private Pumpstationen, so Olbring, da kämen Verstopfungen eher selten vor, vermutlich, weil der Verursacher dann selbst den Schaden habe. Das scheine zu vernünftigem Verhalten zu führen.
Bild 4 In der Podiumsdiskussion zum Thema „Feuchttücher – ein globales Problem ohne Lösung?“ kommen Experten aus Recht, Forschung und Technik, Feuchttücher-Industrie, Kommunen, Anlagenbau und Erfinder alternativer Lösungen zu Wort.
Aus technischer Sicht
Professor Thamsen, Inhaber des Lehrstuhls für Fluidsystemdynamik an der TU Berlin verweist auf den Funktionsprüfstand für Abwasserpumpen seines Fachgebietes, mit dem das Verstopfungsverhalten unterschiedlicher Pumpentypen getestet wird. Bei diesen Untersuchungen werden unterschiedliche Mengen an Vliestüchern einer definierten Menge Wasser zugegeben, um unterschiedlich stark belastete Abwasserklassen darzustellen. Bei einer systematischen Untersuchung von 20 unterschiedlichen Pumpentypen zeigte sich, dass herkömmliche Annahmen zu Abwasserpumpen (z. B. „Freistromräder sind immer weniger verstopfungsanfällig als Mehrschaufler“) nicht stimmen – vielmehr ist die Fähigkeit, tücherbelastetes Abwasser zu pumpen ohne zu verstopfen, von Laufrad zu Laufrad unterschiedlich. So können Mehrschaufler durchaus weniger verstopfungsanfällig als Freistromräder sein. Die jeweilige Funktionalität eines Laufrades lässt sich also nicht aus der allgemeinen Bauform ableiten.Ein Publikumsbeitrag brachte den Blick auf die „vorausschauende Wartung“. Dazu werden Pumpen mit Sensoren ausgerüstet und aufgrund der gesendeten Daten kann bereits eine beginnende Verstopfung detektiert werden. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn die Leistungsaufnahme stiege oder die Förderleistung abnähme. Die Pumpe könnte dann z. B. durch ein Vorwärts- und Rückwärtslaufen des Laufrades selbstständig eine Reinigungssequenz einleiten und so eine Verstopfung abwenden.
Aus alternativer Sicht
Der Chemiker Dr. Josef Eckl ist selbstständiger Berater und Produktentwickler im Bereich der Grenzflächenchemie von Textil, Papier und Folien. Für ihn und seine mittelständischen Partner bei der CheM&M GmbH & Co KG in Nürnberg sind die Ursachen der Problematik seit langem klar, was schließlich auch die Basis für ein gemeinsames Produktentwicklungsprojekt war. Das Ergebnis ist ein feuchtes Toilettenpapier aus 100 % Zellulose (100 % biologisch abbaubar), das zerfällt wie normales Toilettenpapier und dennoch die Festigkeit eines Vlieses aufweist. Mit seinem Produkt steht er kurz vor der Markteinführung und ließ es die Teilnehmer des OWL-Abwassertages gleich einmal testen. Er hat den Abwasserstrom als wesentlich für die Auflösung von Feuchttüchern ausgemacht.Was die Angaben von Zerfallseigenschaften von Vliestüchern angeht, so hat Eckl seine Zweifel. Derzeit existiere keine zuverlässige und verbindliche Vorschrift zur Durchführung und Bewertung von Zerfallstests bei Vliestüchern. Lediglich die EDANA, eine europäische Vereinigung von Vliesstoffherstellern, habe ein eigenes Testprogramm entwickelt, dieses berücksichtige unter anderem den Abwasserstrom in Rohrleitungen nicht ausreichend und sei daher wenig realistisch, so Eckl.
Auch Professor Thamsen sieht hier Mängel, es würde nur mit einem Pumpentyp unter sehr unrealistischen Bedingungen getestet.

Bild 5 Bild aus der Kampagne „Kein Müll ins Klo“ der Dresdner Stadtentwässerung
Fazit
Alle Beteiligten haben die zunehmende Menge und die Beschaffenheit bestimmter Feuchttücher im Abwasser als Verursacher für Pumpenverstopfungen erkannt, in ihrer Diskussion wurde aber klar, dass die Lösung dieses Problems mehrschichtig ist. Übereinstimmend war man sich einig, dass die Information der Verbraucher eine wichtige Rolle spielt. Diese müssen einerseits auf das Problem aufmerksam gemacht werden und gleichzeitig verlässliche Entscheidungshilfen beim Kauf an die Hand bekommen, wie zum Beispiel ein Verbraucher-Siegel, das die Spülbarkeit oder auch Umweltverträglichkeit garantiert. Auf die Frage, wem diese Aufgabe zufallen soll, gab es keine einheitliche Meinung. Einige Städte nehmen die Verbraucherinformation bereits selbst in die Hand. Der Handel soll für eine korrekte Produktkennzeichnung sorgen und auch die Hersteller der Feuchttücher sind hier in der Pflicht.Parallel wird an der Weiterentwicklung der Feuchttücher als auch an der technischen Verbesserung der Pumpen gearbeitet. Erste Ergebnisse sind schon zu verzeichnen. Gesetzliche Vorgaben oder Verbote sind wenig praktikabel, da einzelne Verursacher von Pumpenverstopfungen nicht wirklich identifiziert werden können.
Ein Beitrag von Monika Sartor
Fachartikel aus wwt wasserwirtschaft wassertechnik Nr. 7-8/2019
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